„Sei bloß (k)ein Frosch!“- Märchen in Afrika und Europa.

Ein Frosch im Brunnen. Silber und Fluoritscheibe
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Hier in Europa.

Erinnert Ihr Euch noch daran, wie glückselig und darüber dankbar Ihr in den Schlaf geglitten seid, wenn Eure Mama, euer Papa, vielleicht auch die geliebte Oma, die ja leider schon gestorben ist, am Abend an Euer Bett kam und Euch eine Geschichte erzählt oder vorgelesen hat? Ein Kuller-Tränchen zwischendurch, aber dann war es in Eurem Bett dann schließlich doch einfach so angenehm warm. Zufrieden, beruhigt und mit aller Welt versöhnt, sind die Augenlieder so angenehm schwer geworden und Ihr habt davon geträumt, als tapferer und immer vom Glück begünstigter Prinz, als juwelenbekränzte Prinzessin in wertvollen Kleidern selbstsicher durch Eure Träume zu schweben. Ach war das schön!

Heute kommt Ihr selbst als Papa, als Mama von der Arbeit heim, schaufelt im Supermarkt eine Einkaufsladung Luxusnahrung auf den Einkaufswagen, pflügt noch schnell ein paar Bahnen englischen Rasenschnitts durch Euren Vorgarten, zieht Euch im Fitnessstudio ein paar Pflichtminuten Gesundheit rein und landet mit dem Abendbrot endlich erschöpft vor der Flimmerkiste. Was keiner da? Eure Frau, Euer Mann surft im Schlafzimmer durch das Angebot an günstigen Fernreisen, Sohnemann knattert noch ein paar Aliens auf der Spielekonsole nieder, Eure Tochter liegt hingestreckt im Bett und kichert im Deadline-modus des Handys mit Ihrer Freundin. Keiner braucht diese ollen Märchen! Seid beruhigt, keiner braucht Euch als Märchenerzähler!! Der Fernseher entführt Euch in Euer Wunschprogramm.

Als gebildeter Mensch muss ich mich ja doch ohnedies fragen: Sind denn diese Märchen nicht auch schlichtweg schädlich gepolt?

Nehmen wir da doch mal den Froschkönig:
Tiere können nicht sprechen, das ist ja schon mal klar!
So wollt Ihr Eure Tochter doch nicht erziehen: Soll sie als verzogenes Girly enden, das nichts in die Wege kriegt, nur mit teuren Glitzer-Klamotten rum stolziert und sich jedem Nächstbesten in die Arme wirft! Papa Freud und alle, die in der Deutung der menschlichen Psyche Rang und Namen haben- so hast Du es gehört – haben das gesellschaftliche Trugbild der Prinzessin mit Ihrem goldenen Ball längst bis aufs Hemd analysiert, haben ihr die schöne Haut abgezogen , sie skelettiert bis auf die Knochen.
…und dann gar noch der Frosch, ewiger Looser, der sich so ausnützen lässt! Taucht gar ab in die tiefsten Tiefen eigener Psyche, um geplagt von Selbstzweifeln das eigene Ego im Licht des hell strahlenden Balles zu beleuchten. Was soll denn das in unserer auf Effizienz und sicher wohlverdienten Genuss ausgerichteten Arbeitswelt bringen? Nein bleibt mir bloß weg mit diesen Märchen!

Dort daheim in Afrika.

Es hat mir und meiner Frau immer sehr viel bedeutet, mich zu den Menschen anderer Kulturkreise dazu zu setzen, gemeinsam unsere Erfahrungen aus zu tauschen, abends vielleicht, wenn die Gedanken ums tägliche Überleben zur Ruhe gehen und die Geschichten zum Leben erwachen. Ich bin gerne Geschichtensammler und binde die Erinnerung daran an kleine Schmuckstücke, die ich aus den schönen Schmucksteinen des Landes und ein wenig Fantasie forme.
Es gibt aber auch wirklich so schöne Geschichten, die es mit den edlen Steinen auch durchaus aufnehmen können. So schön, dass auch mir heute manchmal noch ein Kuller-Tränchen über die Wangen rinnt. Das ist ein gutes Gefühl!

Sehr oft hat aber leider auch der Erzähler , der mir irgendwo in Afrika so einen in meinem Kopf entstehenden Geschichtenteppich mit schönen Garnen gestrickt hat, irgendwo mitten in der Geschichte anscheinend den Faden verloren. Da hat er die Geschichte dann einfach ohne einen erkennbaren Schluss zu Ende gehen lassen. Manchmal habe ich dann nachgefragt: Das ist eine sehr schöne, vielleicht gar sehr weise Geschichte, mein lieber Freund, aber: Was war denn jetzt der Schluss? Was soll ich denn jetzt für Schlüsse aufs Leben ziehen? Was bringt mir denn die Geschichte an Einsicht, an Nutzen. Ich habe manchmal dann beim späteren Weitererzählen einfach einen „schönen“ Schluss dazu erfunden.

In Afrika hieß es dann aber oft: Ihr Europäer wollt immer Alles ganz aufgeräumt und perfekt. Aber auch die Geschichten im Leben enden manchmal abrupt ohne scheinbaren Sinn. Ja im Leben kommt nicht alles, kommt kaum etwas zu einem guten Schluss. Ja eigentlich ist ein schöner Schluss doch eher die Ausnahme. Eigentlich müsste man sagen: Wenn es manchmal schon am Anfang aussichtslos aus sieht, kommt es sowieso dann meist noch viel schlimmer. Das lässt uns in Afrika, oft gar keine Hoffnung…. und trotzdem sind wir fröhlich und nehmen die Härten des Lebens, wie sie eben kommen. Hoffnungsvoll gut kann eine Geschichte aber freilich nur dann sein, wenn sie innerhalb unseres kurzen Menschenleben noch gar kein bereits erkennbares Ende aufweist. So sind eben dann auch die Geschichten in Afrika, die die Griots erzählen:

Ein Skorpion kam an einen breiten Fluss. Er bat einen Frosch, er möge ihn doch auf seinem Rücken mit ans andere Ufer nehmen. Er würde ihm dafür auch ein nobles Geschenk machen.
Der Frosch sagte: Ich bin doch nicht dumm. Dein „Geschenk“ wird wohl sein, dass Du mich stichst und ich dann sterben muss. Versprich mir, dass Du das nicht machen wirst!
Das verspreche ich, sagte der Skorpion, denn auch ich bin nicht dumm. Wenn ich Dich steche, stirbst Du und gehst unter und ich würde auch sterben.
Da nahm der Frosch den Skorpion auf den Rücken und begann zügig über den Fluss zu schwimmen. Mitten im Fluss bekam der Frosch aber Angst, dass der Skorpion sein Versprechen nicht einhalten würde und ihn vielleicht doch stechen würde. Deshalb wollte er den Skorpion wieder loswerden und begann unter zu tauchen.
Da hat ihn dann der Skorpion gestochen.

Here in Europe.

Do you remember how blissful and grateful you fell asleep when your mum, your dad, maybe even your beloved grandmother, who unfortunately has already passed away, came to your bed in the evening and told you a story or read aloud? A rolling tear in between, but then it was just so pleasantly warm in your bed. Satisfied, calmed and reconciled with the whole world, your eyelids have become so pleasantly heavy and you have dreamed of floating confidently through your dreams as a brave and always fortunate prince, as a jewel-crowned princess in valuable clothes. Oh that was nice!

Today you come home from work as a dad, as a mom, shovel a load of luxury food onto the shopping trolley in the supermarket, quickly plow a few lanes of English lawn clippings through your front yard, get a few obligatory minutes of health in the gym and end up with supper finally exhausted in front of the boob tube. What no one there? Your wife, your husband surfs in the bedroom through the range of cheap long-distance travel, your son rattles down a few more aliens on the game console, your daughter lies stretched out in bed and giggles with her girlfriend in the cell phone's deadline mode. Nobody needs these old fairy tales! Don't worry, no one needs you as a storyteller!! The TV takes you to your desired program.

As an educated person, I have to ask myself anyway: Aren't these fairy tales simply negatively polarized?

Let's take the frog prince as an example:
animals can't speak, that's for sure!
You don't want to bring up your daughter like that: you want her to end up as a spoiled girly who doesn't get in her way, just struts around in expensive glittery clothes and throws herself into everyone's arms! Papa Freud and all those who are of any standing in the interpretation of the human psyche - as you have heard - have long since analyzed the social illusion of the princess with her golden ball down to her shirt, have skinned her beautiful skin, she is skeletal to the bone the bones.
...and then even the frog, eternal loser who lets himself be exploited! Dive into the deepest depths of your own psyche in order to illuminate your own ego in the light of the brightly shining ball, plagued by self-doubt. What is that supposed to bring in our working world, which is geared towards efficiency and well-deserved enjoyment? No, stay away from me with these fairy tales!

There at home in Africa.

It has always meant a lot to me and my wife to sit down with people from other cultures to share our experiences together, perhaps in the evening when thoughts of daily survival settle down and stories come to life. I love being a story collector and tying the memory to little jewels that I fashion using the country's beautiful gemstones and a little imagination.
But there are also really beautiful stories that can definitely compete with the precious stones. It's so beautiful that I still sometimes have a smack of tears running down my cheeks. That's a good feeling!

Unfortunately, the narrator, who somewhere in Africa knitted a tapestry of stories with beautiful yarns that was created in my head, very often seems to have lost the thread somewhere in the middle of the story. Then he just let the story end without a recognizable conclusion. Sometimes I then asked: That is a very beautiful, maybe even very wise story, my dear friend, but: What was the end then? What conclusions should I draw about life now? What insight and benefit does the story bring me? Sometimes I just invented a “nice” ending when telling the story later.

In Africa, however, it was often said: You Europeans always want everything to be tidy and perfect. But even the stories in life sometimes end abruptly without any apparent meaning. Yes, not everything comes to fruition in life, hardly anything comes to a good conclusion. Actually, a nice ending is the exception rather than the rule. Actually, one would have to say: If it sometimes looks hopeless at the beginning, it usually gets much worse anyway. That often leaves us in Africa with no hope at all…. and yet we are happy and take the hardships of life as they come. Of course, a story can only be hopefully good if it does not yet have a recognizable end within our short human life. That's how the stories in Africa are that the griots tell:

A scorpion came to a wide river. He asked a frog to take him to the other bank on his back. He would also give him a noble gift in return.
The frog said: I'm not stupid. Your "gift" will probably be that you sting me and then I have to die. Promise me you won't do that!
I promise, said the scorpion, because I'm not stupid either. If I sting you, you die and perish and I would die too.
Then the frog took the scorpion on its back and began to swim briskly across the river. In the middle of the river, however, the frog became afraid that the scorpion would not keep his promise and might sting him after all. So he wanted to get rid of the scorpion and began to dive under.
Then the scorpion stung him.

Bürgerreporter:in:

Haus der Kulturen michael stöhr aus Diedorf

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