Die blaue Maske des Todes: Eine Geschichte der Totenmasken
„ Wissen Sie“, hat mich der Moderator der Fernsehreihe „Aussenseiter-Spitzenreiter“, Herr Wolfram, gefragt, „ zu meiner Zeit gab es einen ganz bekannten Film: Die blaue Maske, der immer wieder aus gestrahlt wurde und den unser Fernsehpublikum in den neuen Bundesländern deshalb noch gut in Erinnerung hat. Gibt es in Ihrem internationalen Maskenmuseum in Diedorf nicht unter all den 6000 Masken auch eine Blaue, die wir mit einer lustigen Geschichte drum herum dann ganz in den Mittelpunkt unserer Dreharbeiten stellen könnten?“ Natürlich gab es sogar eine ganze Menge bläuliche Masken im Museum, aber während unserer Umbauarbeiten zum großen Teil weg gepackt und zudem nicht in dem tiefen Ultramarinblau von dem der Fernsehmoderator so sehr an getan war.
Das war ja auch ganz verständlich, weil die alten und authentisch getragenen Masken in unserem Museum einmal meistens weitab jedweden industriellen Fortschritts mit Natur- und Mineralfarben bemalt geworden sind. An den Import von wertvollstem Lapislazuli-blau aus Afghanistan war aus Kostengründen nicht zu denken und das synthetisch aus Blutlaugensalz und Eisenchlorid hergestellte tiefdunkle Berlinerblau kam im 18. Jhdt. natürlich noch niemals bis nach Afrika oder in die Südsee. Blautöne gab es dort, von den Missionaren mit Beginn des 20. Jhdts. im Handgepäck mitgebracht, dann allerdings schon, allerdings nur in ganz heller Ausführung von sogenanntem „Waschblau“, einer synthetisch billigen Anilinfarbe. Nachdem die weißen Mönchskutten, in den lehmgelben Flüssen gewaschen, schon bald eine schmutzig-orange-braune Farbe annahmen, hatte man den Mönchen geraten, beim Nachwaschen im Bottich doch einfach eine Prise blaues Farbpulver mit hinein zu geben und schon kamen - oh Wunder - alle Mönchskutten in edlem Hellgrau von der Leine. Natürlich reduzierte sich der Vorrat an Waschblau schneller als gedacht, als die einheimischen Diener die Eignung der Farbe auch für die Initiations- und Kultmasken entdeckten. Gleiches geschah , nebenbei bemerkt, natürlich auch mit den Resten hellblauer Bootslacke vor allem am Niger in Westafrika und am Sepik in Neuguinea, die die Kolonisatoren zur Reparatur ihrer Boote mit dabei hatten.
„ Völlig ungeeignet, viel zu hell“ meinte der mittlerweile leider verstorbene Reporter des MDR. Von tiefdunkelblauen Masken aus moderner Künstler- und Kinderhand hielt er dann aber wohl auch nichts.
Die Sendung wurde also ohne Reminiszenz an das filmische Vorbild abgedreht. Das war auch kein Problem, lies mich selber aber nicht mehr so recht in Ruhe, sodass ich jetzt hier zumindest eine der Geschichten reflektiere und in einen größeren Zusammenhang stelle. Fürs Fernsehen und für ganz schwache Gemüter wäre dieser für manche Leute möglicherweise eher traurige Exkurs sicher nicht geeignet gewesen.
Hellblau ist eine sauber wirkende, sehr kalte und kühl berechnende Farbe, noch mehr als das weisliche Grün und Türkis, das uns in Krankenhäusern und Sanitärräumen ebenso begegnet wie in den Innenräumen, mediteraner Häuser , die es gilt, kühl wirken zu lassen.
Hellblau ist die Farbe , die hier bei der Maske, um die es in unserer Geschichte geht, einen rational beruhigenden Hintergrund geben soll. Gitterförmig angeordnete Kohlefasern wurden mit hellblau eingefärbter UV-härtender hautverträglicher Masse getränkt und einem jugendlichen Gesicht angepasst. Augen und Mund wurden freigeschnitten. Auf der Maske sind eine Reihe an Markierungen auf gezeichnet. Es ist eine Maske, deren kindlicher Träger, anhand der Markierungen einer gezielten Strahlenterapie bei Hirntumor ausgesetzt wurde. Mitgefühl kommt auf. Die Maske wurde bei Ebay angeboten: Pietätlosigkeit von Verkäufer wie vom Käufer, dem Macher des Maskenmuseums und Autor? Was ist mit dem jugendlichen Träger passiert? War die Bestrahlung hoffentlich ganz erfolgreich und die Maske damit nicht mehr gebraucht oder wurde die Maske abgegeben, weil er den Kampf gegen den Krebs verloren hat?
Zeige ich diese Maske bei Führungen, läuft es mir kalt den Rücken herunter. Weit harmloser erscheinen mir daneben in unserer Sammlung jene Totenmasken, die in weißen neutralen Gips abgegossen die Gesichter von Verstorbenen für die Ewigkeit bewahren. Gelöst, fast freundlich wirken da ihre Gesichtszüge. Kaum ein Unterschied zwischen dem ausgestellten Lebendabguss von Beethoven zu seiner ebenfalls daneben ruhenden Totenmaske. Die Unbekannte von der Seine, deren Gesicht man im 19. Jhdt. nach ihrem feuchten, wie es heißt, aus Liebeskummer gesuchten, Freitod, zur Identifizierung ab gegossen hat, hat mit dieser Totenmaske im Nachhinein so viel tausende glühender Verehrer gefunden, die den romantischen Freitod wohl hätten hindern mögen.
Doch lassen Sie uns jetzt einen großen Zeitsprung aus unserer hochtechnisierten kalt rationalen Welt zurück in die Antike machen, um die Ursprünge Masken, im Besonderen der Totenmasken zu ergründen.
Masken hat es bei den Etruskern bei Feiern im Heiligtum des Gottes Persen gegeben, daher soll sich der römische Name für die Maske: Persona ableiten lassen – und nicht, wie sonst behauptet von personare: durchtönen, den Schall verstärken. Der deutsche Begriff Person leitet sich also von den charakterisierenden Rollen des Schauspielers her.
Masken hat es auch bei den Kulten des griechischen Gottes Dionysos gegeben. Das griechische Theater mit seinen grotesk karikierten Masken soll dort als Teil des Gottesdienstes und als Rollenspiel zu Ehren des Gottes entstanden sein. Da der dionysische Kult ein Mysterienkult war, der so wie das Christentum ewiges Leben versprach und dieses im Spiel auch sichtbar machen wollte, wäre es denkbar, dass dort zunächst Masken von Verstorbenen auftraten, deren Physiognomie später übertrieben charakterisiert und damit auch übertragbar für verschiedene Berufs- und Gesellschaftsgruppen ein gesetzt wurde. In unseren Museen sind eine große Menge an Masken aus Ton und architektonischer Maskenformen aus Stein erhalten. Natürlich wurden diese Masken wegen des Gewichts so nicht getragen. Auf Vasenbildern und Wandmalereien wird deutlich, dass es sich um viel leichtere Ausgangsmaterialien gehandelt haben muss. Schnell denkt man an Leder, das in ungegerbter und feuchter Form über einer tönernen, steinernen oder hölzernen Grundform leicht formbar ist. Gleiches gilt für Tuche, die in Leimwasser getränkt wurden. Waren die gefundenen tönernen Masken vielleicht nur die Matrizen, über die das Leder und der Stoff gezogen wurde, um mehrere der leicht zerstörbaren Masken zu bekommen? Natürlich sind solche griechische Masken aus solchen vergänglichen Materialien nicht in unseren Museen zu finden.
Konstant trockenes Klima hat allerdings aus Ägypten eine ganze Menge an Masken überliefert, die den Toten der späteren Ptolemäerzeit und den im Land gestorbenen römischen Vornehmen, die danach das Land verwalteten, aufs Gesicht gelegt wurden. Diese Totenmasken sollten in späterer Zeit den Verstorbenen bis auf jedes Fältchen genau in Erinnerung halten und waren, auf Leinwand oder Holztafeln gemalt , als Mumienportrait kaum mehr plastisch durch gebildet. Nur wenigen der Portraitkünstlern gelang es andererseits auch das mit Leim getränkte Tuch des Malgrundes an das Gesicht des Verstorbenen an zu passen und dann in Enkaustiktechnik zu bemalen. Auch der mit Binden umwickelte Körper wurde aus Kostengründen in späterer Zeit meist nicht mehr in einen geschnitzten oder gar vergoldeten Sarkophag bestattet , sondern das umhüllende Tuch mit lebensechten Gewändern bemalt.
Die in unserem Museum gezeigte hölzerne Mumienmaske stammt dagegen aus eher früherer Zeit. Bemalt ist sie mit warmen Erdfarbtönen. Roter und gelber Ocker waren schon über Jahrtausende früher als Farbe für Blut, Leben und den Menschen selber bekannt. Daneben kannten die ägyptischen Künstler im Übrigen schon ein sehr helles Grün aus Kupfermineralien und ein schönes helleres Blau aus pulverisiertem Kobaltglas. Blau war allerdings die Farbe des kühlen Sternenhimmels, der von der Himmelsgöttin Nut überspannt wurde. Viele der so ausgestatteten und mit bemaltem Tuch fürs Jenseits und die Zukunft präparierten Tote, wurden ohne weiteren Sarkophag einfach im heißen trockenen Wüstenboden vergraben und sind so dennoch bis heute erhalten geblieben. Auch in vielen nachfolgenden Kulturen, auch dem Islam, ist das Beerdigen im geschnürten Leinen immer noch üblich.
Das Bandagieren des toten Körpers in vielen Kulturen dient neben der konservatorischen Funktion zur Erhaltung des Körpers auch noch zur Beruhigung der Hinterbliebenen. Durch das Binden und Einnähen in Tuch konnte man sich sicher sein, dass der Verstorbene nicht als Wiedergänger seine Verwandten terrorisiert. Tatsächlich hatte man Angst, sich ja andersherum den Vorwürfen und Verfolgungen durch den Toten aussetzen zu müssen. Träumte man gar von den Verwandten, war man sich wie bei vielen lebhaften Träumen, gar nicht mehr so sicher, ob es sich um eine reale Begebenheit gehandelt hätte.
Wie man aus einigen afrikanischen Totenritualen weiß, wird der Verstorbene deshalb bei Familienfeiern auch heute noch durch Maskenträger gespielt und kann so durch entsprechende schauspielerische Sequenzen und Äußerungen zur Beruhigung der Erben beitragen. Die Farbe des Verstorbenen in Afrika ist im Übrigen weiß. Damit der Tote, als möglicher Wiedergänger, nach seiner Beerdigung aber nun auch nicht mehr zum Dorf und seiner Familie zurück findet, wird er von den Leichenträger im Tuch eingenäht gedreht und gewendet, einmal vorwärts und dann wieder rückwärts aus dem Dorf zum Friedhof hinaus getragen.
Ähnliche Vorsorgemaßnahmen mag man sich auch in vielen anderen früheren Kulturen vorstellen. So soll auch der Begriff Maske vom langobardischen Masche, also dem gewebten Stoff der Leichen-bandagierung her rühren ( Maskerade kommt dagegen aus dem Arabischen für Possenreiser). Hier östlich von Venedig, wo dieser germanische Stamm sich niedergelassen und einige der antiken Lebensgewohnheiten übernommen hatte, hat sich später auch die Herstellung von Theatermasken aus Leder und geleimtem Tuch zur Comedia dell Arte etabliert. Kleine skurile Dorferlebnisse wurden auf dem Dorfplatz zunächst für die Marktbesucher mit grotesken Masken gegen Geld vor gespielt und fanden dann auch bei den Dogen und dem Adel Kunstliebhaber. Zu Zeiten des schwarzen Todes , der Pest, wurden von den Pestärzten gerne langnäsige Charaktermasken der Comedia dell Arte aus Leder und Tuch getragen, um sich mit wohlriechenden Ingredienzien im langen Riechorgan vor den üblen Ausdünstungen der Kanäle, die man für den Auslöser der Pest hielt, zu schützen. Für die Maler der Barockzeit wurde die Maske damit auch zum Symbol der Vergänglichkeit und des falschen Scheins (Memento mori).
Bald wird es wieder Fasching und Karneval. In Basel wo die maskierten Guggenmusiken mit Pauken und Trompeten eine ganze Woche hinter der Zeit her sind und ihren schrägen Sound zelebrieren sind die großen dort „Griend“, hier in Deutschland“ Schwellköpf“ genannten Masken längst nicht mehr aus Pappmaschee oder verleimtem Tuch sondern aus Polyester und Glasfaser, aus Kohleverbundfaser und UV-härtendem Kunststoff. Ist das nicht lustig? Ich glaube hinten im Gemenge habe ich jetzt sogar eine richtig blaue Maske gesehen.
Bürgerreporter:in:Maskenmuseum Michael Stöhr aus Diedorf |
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