Ein Märchen aus China:
Dem Tod kann man nicht davon laufen!
Mit viel Sorgfalt jätete der Alte Mann die Beete im Sommerpalast des großen Jadekaisers in Lijiang. Alles was die gleichmäßige rote Farbe des Lateritbodens unterbrochen hätte, fiel , Unkraut oder nicht, seinen flinken Händen zum Opfer. Gemahlener gelber Lehm aus Quinghai ganz weit im Osten, wo der große Fluss Jangtse sich durch weite Lehmterassen schlängelt, sollte dort auf den sauber gerechten Beeten eben genau diesen Fluss und seine Windungen in der wirklichen Landschaft wiedergeben. Weißer und grauer Sand aus dem Osten des Reiches, dort wo der Jangtse sich im breiten Flussdelta bei Shanghai ins Meer hinein ergießt, sollte wiederum diese Gegend am anderen Ende des Jadereiches zum Bild werden lassen. Bald würde das Erdgebilde fertig sein, nur mehr den Süden des Reiches bis Laos und Vietnam und die Gebiete im Norden bis zur großen Mauer wollte er in den nächsten Tagen noch vorbereiten. Dann würde er das Erdbild seinem Herrn Lao Tse zeigen können, der ihn darum gebeten hatte. Der große weise Mann wollte das Bild des gesamten Reiches dem großen Kaiser, seinem Herrn, zu seinem Geburtstag als Geschenk machen. La Tse hatte ihm, dem einfachen Gärtner, gegenüber immer wieder betont, worauf es ihm dabei ankam: Ebenso, wie man unweit von Lijang der Sommerresidenz des Kaisers in den tobenden Fluten des Jangtse in der Tigersprungschlucht solche rotgelbweiss gebänderten Achate fände, deren wahres Inneres mit all seinem Feuer im derben Außenrund des Kiesels solange verborgen bliebe, bis die Steinmetze daraus dünne Scheiben schnitten, ebenso sollte der Sinn dieser Beetgestaltungen dem Kaiser erst dann zur Deutung kommen, wenn er auf der obersten Plattform seines Palastes daran vorbei wandeln würde. Herrlich brandete das Dunkelrot der Edelsteine, das sich zwischen Gelb und Feuerrot im Licht der Sonne hindurchschängelte, gegen Küstenlinien aus weißem Meeresschaum. Denn im Kleinen erscheint uns die Ordnung der großen Dinge, und erst wer die großen Dinge von unten herauf deutend verstünde, könnte sich anmaßen auch die gesamte Weltordnung zu durchleuchten wie es der große Jadekaiser als seine Aufgabe zugelost bekommen hatte. So in Gedanken versunken sass der Gärtner und harkte fleissig Kraut um Kraut aus der roten Eisenerde heraus. Warm schien die Sonne und schöne Gedanken um des Lobs für dieses Kunstwerk umschwebten seine Stirn. … und plötzlich mitten in warmer Sonne wurde im kalt und wie erschaudernd rann ihm das Grausen über seinen Rücken. Hatte er da nicht ganz im hintersten Augenwinkel eine hagere Gestalt hinter den Hibiskusbüschen erblickt. Rasch und verstohlen blickte er zu besagter Stelle, meinte auch eine im ungesunden Weiss gefärbte Bewegung mitten in den grünen und in sanftem Rosa blühenden Büschen erhascht zu haben, war sich aber dessen nicht mehr sicher. Zögerlich näherte er sich den blühenden Stauden und siehe Ihre Blüten waren braun und verblichen. Tief verstört schlich er sich davon, ohne die ihm gestellte Aufgabe auch nur halbwegs erledigt zu haben. Er zitterte, als er seinem Dienstherrn , dem Weisen Lao Tse, von seiner allzu tief sitzenden Angst berichtete: Ich glaube, ich habe meinen Tod gesehen. Ich muss meine Arbeit unfertig und im Stich lassen. Bitte lasst mich auf dem Schiff, das da den Jangtse hinab bis zur Winterresidenz des Kaisers am großen Meer fahren soll, die runden Brocken Achats aus der Tigersprungschlucht beaufsichtigen, die die Steinschneider für den Kaiser dort im Osten aufschneiden sollen. Gerne will ich dort Tag und Nacht ohne Schlaf arbeiten, um dort für den Kaiser, der ja bald nachkommt, unser Erdbild noch einmal von vorne zu gestalten. Doch bitte lasst mich gehen. Hier kann ich nicht mehr bleiben!
Der Weise, wohl wissend, dass ein Mann überwältigt von unmenschlicher Angst hier mitnichten von Nutzen war, drückte den Gärtner fest an sich und lies ihn gehen. Am nächsten Tag als die Geschäfte es zu ließen , ging Lao Tse ohne weiteres Zögern in ebenjenen Garten, um sich ein Bild von den Erzählungen seines Dieners zu machen. Auch er sah eine gar sehr dünne, ja ganz dürre Gestalt hinter den Hibiskusbüschen. Ganz ohne Furcht ging er darauf zu und stellte sie zur Rede: Wer seid Ihr , was wollt Ihr, Seid ihr der Tod und kommt ,um mich zu holen. So sei es, der mächtige Herr im Himmel weiß, dass sein Diener Lao Tse, immer dafür bereit ist. Immer habe ich so gelebt, dass jede Arbeit erledigt und nichts aufgeschoben war: Lass uns gehen! Darauf der Tod fast verdutzt: Entschuldigt, wenn ich Euch erschreckt hätte. Ja, der Tod bin ich wohl, aber nicht Euch gilt mein Erscheinen. Doch hat mich der Befehl des großen Himmelsherrschers eigentlich zur Winterresidenz des Kaisers an der Mündung des Jangtse ganz im Osten geschickt. Allein ich hatte noch ein paar Tage Zeit und so war ich neugierig, wie wohl der Gärtner, den ich dort im Osten ab zu holen habe, wohl hier so gelebt und gearbeitet hat.
Am Abend des Tages kam die Nachricht, dass das Schiff mit dem Gärtner wohl mitsamt der wertvollen Fracht in den Strudeln des Jangtse im Osten Schiffbruch erlitten hätte.
Aber auch heute noch , auch nach all den gewaltigen Änderungen, die die Landschaft durch den großen Staudamm erfahren hat, findet man die rotgelbweis geflammten Achate in unscheinbaren Knollen im Lehm des Flusses. Geschnitten im Gegenlicht erkennt man bizarre Landschaftsformen. Sollen sie uns an dieses zeitlose Märchen und seine chinesische Landschaft erinnern oder ist es genau umgekehrt, dass wir nämlich das Märchen und seine Landschaft in diese Achate hinein projizieren?
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With much care, the Old Man weeded the beds in the summer palace of the great Jade Emperor in Lijiang. Anything that would have broken the even red color of the laterite ground, weeds or not, fell victim to his nimble hands. Ground yellow clay from Qinghai far to the east, where the great Yangtze River meanders through wide clay terraces, should precisely reproduce this river and its meanders in the real landscape on the neatly proportioned beds. White and gray sand from the east of the empire, where the Yangtze flows into the sea in the wide river delta near Shanghai, should in turn allow this area at the other end of the Jade Empire to become a picture. Soon the earthwork would be finished, In the next few days he only wanted to prepare the south of the empire as far as Laos and Vietnam and the areas in the north up to the Great Wall. Then he would be able to show the earth image to his lord Lao Tse, who had asked him to do so. The great wise man wanted to give the image of the entire empire to the great emperor, his lord, as a gift for his birthday. La Tse had repeatedly emphasized to him, the simple gardener, what was important to him: just as one would find such red-yellow-white banded agates in the raging waters of the Yangtze in the Tiger Leaping Gorge not far from Lijiang, the summer residence of the Emperor, whose true interior with remained hidden from all its fire in the rough outer round of the pebble until the stonemasons cut thin slices out of it, Likewise, the meaning of these bed designs was only to be interpreted by the emperor when he would walk past them on the top platform of his palace. Gloriously the deep red of the jewels, snaking between yellow and fiery red in the sun's light, broke against shorelines of white sea foam. Because the order of big things appears to us in small things, and only those who would understand big things from below could presume to examine the entire world order as the great Jade Emperor had been assigned as his task. So lost in thought, the gardener sat and diligently raked herb after herb out of the red iron earth. The sun shone warmly and beautiful thoughts of praise for this work of art floated around his forehead. … and suddenly in the middle of the warm sun he felt cold and shuddered and shuddered as he ran down his back. Didn't he see a gaunt figure behind the hibiscus bushes in the far corner of his eye? He glanced quickly and furtively at the said spot, thought he had also caught an unhealthy white-colored movement in the middle of the green bushes blooming in soft pink, but was no longer sure of it. Hesitantly, he approached the flowering perennials and behold their flowers were brown and faded. Deeply disturbed, he slipped away without having even half completed the task set for him. He trembled as he told his master, the sage Lao Tse, of his deep-seated fear: I believe I have seen my death. I have to leave my work unfinished and abandoned. Please let me supervise the round chunks of agate from Tiger Leaping Gorge that the stone cutters are supposed to cut open for the Emperor there in the east on the ship that is to sail down the Yangtze to the Emperor's winter residence on the great sea. I would like to work there day and night without sleeping in order to redesign our world from scratch for the Emperor, who will be coming soon. But please let me go I can't stay here anymore! to redesign our earth image from scratch. But please let me go I can't stay here anymore! to redesign our earth image from scratch. But please let me go I can't stay here anymore!
The sage, knowing that a man overcome with inhuman fear was of no use here, hugged the gardener tightly and let him go. The next day, when business allowed, Lao Tse went without further hesitation to that very garden to get an idea of what his servant was telling him. He, too, saw a very thin, even very skinny figure behind the hibiscus bushes. Without fear he went up to them and confronted them: who are you, what do you want, are you death coming to get me. So be it, the mighty Lord in heaven knows that his servant, Lao Tse, is always ready. I have always lived in such a way that every job was done and nothing was postponed: let's go! Then Death, almost taken aback: I'm sorry if I'd scared you. Yes, death I am, but my appearance is not for you. But the command of the great ruler of heaven actually sent me to the emperor's winter residence at the mouth of the Yangtze River in the far east. But I still had a few days left and so I was curious as to how well the gardener I have to pick up there in the East lived and worked here.
In the evening of the day the news came that the ship with the gardener had probably been shipwrecked along with the valuable cargo in the whirlpools of the Yangtze to the east.
But even today, even after all the tremendous changes that the landscape has experienced through the big dam, you can still find the red-yellow-white flamed agates in inconspicuous nodules in the clay of the river. Cut against the light you can see bizarre landscape shapes. Are they meant to remind us of this timeless fairy tale and its Chinese landscape, or is it the other way around, namely that we are projecting the fairy tale and its landscape into these agates?
Bürgerreporter:in:Haus der Kulturen michael stöhr aus Diedorf |
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