Hilfsgeister der Tschukschen in Sibirien
"Rolling Stones"
Es ist nicht gerade sehr gemütlich in den Dörfern der Tschukschen im äußersten Nordosten Sibiriens an den mehr als ein halbes Jahr zugefrorenen Ufern Küsten des Pazifischen Ozeans. Es liegt nicht an den zwar eher derben aber gastfreundlichen Menschen dort , es liegt einfach an der für unser Empfinden unzumutbaren Kälte. Offiziell sind die Menschen hier seit fast hundert Jahren im orthodoxen Glauben christianisiert aber darum kümmert sich hier auch niemand wirklich, wo es doch nur ums materielle Überleben geht. Wenngleich auch Christus bei dieser Kälte kaum Schwierigkeiten gehabt hätte, glaubwürdig über das zugefrorene Meer zu wandern, ohne den Glauben an die Geister, die sich heulend mit dem Wind und kreischend mit dem brechenden Eis ins Gedächtnis rufen, geht hier nichts.
Wenngleich die Strömungen aus dem Süden das Meerwasser eher temperiert halten, bläst doch ein eiseskalter Wind durch die Ritzen der aus dicken Balken gehauenen Blockhäuser. Alle sind Fischer, an Ackerbau ist nicht zu denken, obwohl der lehmige Boden durch die Asche naher Vulkane auf der Kamchatka und vom fernen Sachalin für guten Boden sorgen würde. Doch der Boden ist tiefer im Land ein Stück von der Küste weg viel zu lange zugefroren.
Wenn der Lehm dann mal taut geben die Schlammmassen oft Knochen, Zähne, Fell oder ganze Körperteile von Tausenden vor Jahren hier verendeter Mammute und Wollnashörner frei, die eingefroren seit der letzten Eiszeit hier liegen und kleine schalig aufgebaute Kristallkugeln, zu denen die dort Handel treibenden Russen amerikanisiert Rolling stones (Роллинг Стоунз) , die weiter nordöstlich lebenden Eskimo uijjaarniq oder mikittunik inungnik (kleine Menschen) sagen. Die vielen Korjaken dort interessiert das nicht, sie haben zu viel zu tun und auch genug Wodka, um unnütze Gedanken zu verdrängen. Dinge, die kein Geld bringen, nützen nichts und über Nutzloses redet man hier nicht . Man redet ohnedies nicht viel. Dafür ist es zu kalt. Der Atem gefriert hier schnell zu Eiskristallen im Bart.
Aber alle glauben, dass diese kleinen Knollen gutmeinende Hilfsgeister (ikajurniq tarnirmik) sind, tief eingepackt in ein dickes ebenfalls vor Eiskristallen glitzerndes Fell, das am geöffneten Halsausschnitt die dunkle Haut von Geistern zeigt, so wie Geister eben auch auszusehen haben. Wer einen solchen Geist gefunden hat, einfach so darüber gestolpert ist, darf ihn nicht mehr gehen lassen und hält ihn tief in der Hosentasche immer schön warm, damit er sich nicht erkältet und dann evtl. nutzlos wird. Da fühlt er sich zumindest beruhigend an und stört auch niemanden.
Bürgerreporter:in:Haus der Kulturen michael stöhr aus Diedorf |
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