einmal Diedorf dreimal auf einmal

Feuerwehr Diedorf Südeichsfeld am Harz
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Menschenskinder nochmal, da sah ich aber klein aus mit meinen Ein-meter-zwei-und-siebzig. War es vom Selbstverständnis her nicht schon schwierig genug, dass mir schon fast alle meine Achtklässler am Gymnasium in Neusäss auf die Glatze kucken, sich darin spiegeln und alle verbliebene Haare auf die Einserstelle genau abzählen konnten! Hier neben mir stand ein Riese von einem Mann, der mir hier in Diedorf als Bürgermeister die Ehre gab und mich noch Sonntagabend in sein Lieblingslokal ausführen wollte, um gegenseitig und wissbegierig gern ein bisschen vom jeweils anderen Wohnort erfahren zu können.
Herr Rolf Mathes, und nicht Herr Otto Völk, wie Sie jetzt vielleicht an Hand der weltmännischen Offenheit irrtümlich spekuliert hatten und seine Frau waren äußerst gastfreundlich und baten uns, meine Frau und mich , mit Ihnen eine Kleinigkeit zu essen. Der befreundete Wirt ratterte die kleine Speisekarte an traditionellen Spezialitäten für uns in Thüringisch, einer recht verständlichen Abart des Hochschwäbisch, einmal rauf und runter, um uns eine kleine mit Rahmgulasch gefüllte Pastete zu empfehlen, für die unser Herz schon am Vorabend an anderer Stelle ins Schwärmen gekommen war.
Frau Bürgermeister erzählte vom heutigen Besuch des örtlichen Festtagsmarktes mit den Enkeln, die ihr jeweils zwei Drittel aller erspähten essbaren Köstlichkeiten zum letzendlichen Verzehr überlassen hatten. Dem Herrn Bürgermeister stellte der Wirt daraufhin die Gewissensfrage, ob er ihm eine Kleinigkeit so servieren solle, als ob Frau Bürgermeister da sei, oder ungezwungen so , als sei Frau Mathes noch mit den Kindern unterwegs. Mit einem verschwörerischen Blick auf die Frau Bürgermeister konnte der Wirt daraufhin eine Kleinigkeit bestehend aus 2 großen Schnitzeln mit 2 Spiegeleiern und einer doppelten Portion Pommesfrites auf den extragroßen Bürgermeisterteller häufen.
Bürgermeister sein sei schon sehr anstrengend, sagte der Bürgermeister und verwies uns auf das Fest des heute stattfindenden traditionellen Brautmarktes. In Zeiten ohne Disko , was für uns Junge und Jung gebliebene ( Ich bin ja erst 61) ja kaum mehr vorstellbar ist, war dieser Jahrmarkt einmal die einzige Möglichkeit ein wenig ein zu kaufen oder zwei zu kaufen, zum anderen vor allem aber auch natürlich für die jungen Leute die erste und beste Gelegenheit, sich beim anderen Geschlecht in Szene zu setzen und selbst aus zu spähen. Ausspähen würde man heutzutage aber eher alle Parkplätze im gesamten Dorf und so würde heute so rücksichtslos geparkt, dass unser Herr Bürgermeister, weil die Einfahrt zugeparkt, alle Erledigungen des Tages zu Fuss hätte unternehmen müssen. Kaum sei das eine Fest vorbei, müsse schon wieder nach einer neuen Gelegenheit gesucht werden, seine Bürger bei Laune zu halten und so sei das 1225 -jährige noch immer nicht ganz runde, aber dafür groß mit Umzug und mehrtägigem Veranstaltungskalender gefeierte Jubiläum geplant (www.diedorf.de). Panem et circenses, wie ein römischer Soldat in Thuringia gesagt hätte. Cesar lässt grüßen! Nun der war zwar nicht ganz so weit in den Norden gekommen, dafür wurde Diedorf an der Rhön aber eben im Jahr 788 zum ersten Mal urkundlich erwähnt. Mir kommen unsere 9 alten präkarolingischen Leichen aus dem Tuffsteingrab oben an St. Bartholomä in Diedorf Süd in den Sinn, die ich hoffe, im gemeinsamen Poker, um ein paar Jahre vordatieren zu können. Weit gefehlt: Herr Mathes hat bessere Trümpfe: verstreute Steinzeitfunde, Hügelgräber 1800- 500 vor unserer Zeitrechnung, Kelten, Chatten usw..
Jaja die Kelten, durchzuckt mich ein Gedankenbild, wenn ich mich und meinen hünenhaften Gastgeber so recht von aussen betrachte, kommen einem schon die Figuren vom eher nervigen Asterix und dem überlegt bedächtigen Obelix in den Kopf. Ob ich Herrn Mathes mit meinem chaotischen Denken nicht nerve. Es scheint manchmal, als könne er mit uns Wessis nicht so Rechtes anfangen und so blockiert er viele Fragen und Vergleiche auch gerne ab. "Kunst?,Kultur? - hm interessiert mich nicht". Reisen? („Ich war einmal mit dem Bus in Salzburg, sehr anstrengend) - hm interessiert mich nicht und so nimmt er verständlicherweise auch unsere Einladung nach Diedorf in Schwaben nicht an.
Auch mit meinen Witzen und Wortspielen kann er wohl nicht ganz so recht zurecht kommen. Muss man auch nicht in Diedorf Mitte.
Doch zurück zu unserem Wissenspoker: Nochmals auf thüringische Geschichte angesprochen, versucht Herr Mathes meine Vermutung, der Volksstamm der Chatten, der hier lebte, sei womöglich weit zukunftsweisend auch an der Entwicklung und Tätigkeit des Internetchattens weitreichend beteiligt, auch ganz ernsthaft zu verneinen und gibt mir damit wieder die Möglichkeit mich mit meinem Halbwissen ins Gespräch ein zu bringen: „Apropos vorzeitliche Namensgebung“ , setze ich an, „ kennen Sie die Vermutung, der Name Diedorf im besonderen der Wortstamm „Die“ stamme von der Namensgebung für einen germanischen („Thing“) oder alemanischen Versammlungsplatz (Thieplatz), ebenso wie der Wortstamm in Diensttag, der nicht den Arbeitsdiensttag, sondern den Versammlungstag bezeichne ?“ hoffe ich auf Erstaunen zu stossen? „ Iwo bei uns sagt man“, so erwidert Herr Mathes, „ des kommt daher, dass da ein Grenzpolizist einen Bauern gefragt hat, aus welchem Dorf er käme und der hat halt nach hinten gezeigt und gesagt: Aus die Dorf da!“ Mit dieser in ihrer Einfachheit sehr plausiblen Erklärung nimmt er mir natürlich völlig den Wind aus den Segeln. Eine möglicherweise wissenschaftlich tiefer gehende Herleitung des Namens zumindest der thüringischen Gemeinde findet sich übrigens in: www.insuedthueringen.de/lokal/bad_salzungen/fwstzslzlokal/Woher-kommt-der-Name-Diedorf;art83434,2694821 .
Allerdings wird hier die Herleitung vom Namen Theoderichs Dorf bis zu Diedorf über unzählige Zwischennamen fast schon wieder beliebig.
Viel geklagt wird in Diedorf Mitte in unmittelbarer Nähe zum reichen Bundesland Bayern auch über die Veränderungen seit Mauerfall, teilweise sicher nachvollziehbar:
„Hier waren die Leute früher viel mehr zusammengeschweißt, jeder hat jeden gebraucht, um die Dinge des täglichen Landlebens zu organisieren und das ging langsam und jeder konnte das in der Gemeinschaft nach verfolgen. 1991 wurde hier der Baumarkt Bauspezi eröffnet, jeder konnte kaufen, was er wollte und das ging schnell und nicht wenige haben sich durch unsinnige Materialhamsterkäufe und Anschaffungen von Landmaschinen usw. finanziell ruiniert.
Früher saß in der grenznahen Gemeinde der Überwachungsbeamte des Staates direkt mit am Wirtshaustisch und man konnte mit ihm reden: Heute muss man bis nach Dessau zum Landratsamt fahren und sich dort herum ärgern.
Natürlich wollen wir unser Spezialwissen über Maskenbräuche im Umkreis noch durch Kindheitserlebnisse und Hörensagen vom einheimischen Bürgermeister vervollständigen. In der Nachbargemeinde Empfhofen gibt und gab es eine damals vor der Mauer bekannte Schnitzschule , von deren Schnitzlehrern wir in unserem Museum 2 Masken besitzen. Leider können wir hier zu keine Informationen bekommen. 70 km weiter beginnt der Bereich, in dem in Heimarbeit in den Zwanziger Jahren Unmengen an Pappmascheemasken und sogenannte „Schwellköpf“ , also oft Politikerkarikaturen, wie auch heute noch vom Kölner Umzug bekannt, hergestellt wurden. Wie es scheint, hat die Zeit der kommunistischen Diktatur Heimatbräuche und regionales und zeitnahes Geschichtswissen unterdrückt. An den Brauch mit den Strohbären kann sich unser Herr Mathes aber aus seiner Jugend erinnern, heute gäbe es so etwas aber nicht mehr. Mit Schmunzeln und etwas Schadenfreude erzählt er, wie seine dünneren Jugendkameraden in trockenes Stroh gewickelt und verschnürt wurden. So gingen sie bettelnd von Haus zu Haus – ein uralter Fruchtbarkeitsbrauch, der, wenn man den Strohbären auf seinem Weg noch mit Wasser überschüttet, durch Herausfallen der letzten Kornsaat immer mal wieder zu neu keimendem Getreide führt. Ich kann unserem Thüringer Bürgermeister den Vergleich mit unserem schwäbischen Wasservogeltreiben anbieten. Das Stroh wird hier bei uns lediglich durch grüne Zweige ersetzt. Wie es scheint, ist allerdings im protestantischen Thüringen wenig Maskenbrauch traditionell verbrieft. Kein Wunder ging es den Protestanten ja in der Frühzeit viel mehr um das reine Wort Christi und seine Bedeutung für die ärmeren Handwerker und Bauernschichten (die Liturgie) losgelöst vom gegenreformatorischen Pomp und dem großen Ritual in der Katholischen Kirche, in der sich später ja sogar ein Kirchentheaterspiele mit Masken entwickeln konnten (Passionsspiele, Nicolospiel, Weihnachtsspiel, Jedermann). Hier in der thüringischen Rhön gab es wohl eher kein Maskenlaufen ganz im Gegensatz zur bayerischen Rhön ein paar wenige km weiter wie in Fladungen (Museum), Weissenbach, Ginolfs und Oberelsbach etc., in denen die Tradition der holzgeschnitzten „blauen Joiden“-masken zur Faschingszeit auch heute noch von der gesamten Landjugend aktiv gepflegt wird.
Natürlich war Herr Mathes schneller fertig mit seiner „Kleinigkeit“, als wir , die wir vor lauter Fragen das Essen fast vergasen.
Wir verabschieden uns von unserem Hünenhaften Gastgeber, denn weiter geht es nach Diedorf im Wartbergkreis im Vorland des Harzes. Mittlerweile war es natürlich längst Nacht und niemand dort mehr zu erreichen, außer einer immer noch in Feierstimmung befindlichen Abiturientengruppe, die gerade aus München heim gekehrt waren und die uns sogar von den bis nach Diedorf /Harz geretteten Orginal- Münchner-Halben großzügig eine abgeben wollten. Wir lehnten in Vorfreude auf ein gutes Thüringer Bier am Ende der Autofahrt dankend aber herzlich ab.
Im Vergleich mit unserem lieblichen Schmuttertal ist die ungestüme Vera im hügeligen Tal von Diedorf- Nord tiefbraun und bei Wildwasserfahrern beliebt. Gleich in der Nähe von Diedorf Nord finden wir in einem Gasthof die sieben Schwaben als gusseisernes Relief wieder. Wie die wohl hier rauf kommen?

Bürgerreporter:in:

Haus der Kulturen michael stöhr aus Diedorf

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