„A Zigeina möcht I sein“- romantische Träumereien und schmerzender Geschichtsstempel
Da zwieselt sich dieser Andre Heller, umschlängelt masturbierend im Tanz mit sich selbst die imaginäre Stange der Rotlichtbars, an der die Blicke einsamer Herren sonst ebenso gefesselt hängen wie die bis auf spärliche Reste decouvierten Damen. „Guad isa scho“, zugegeben, zwischen Blues, Freejazz, Zigeunerweisen und Wiener Schmäh jonglierend: https://www.youtube.com/watch?v=FzXsewb2jeA .
„Mecht vielleicht da Hörr wirglich“ eingebettet sein in den immer noch mit hohen Wällen und Vorurteilen fest ummauerten Hexenkreis des „ Zigeunersein“ heute?
„ Mecht da Hörr vielleicht“ seine Rolle, die ihm in den 70-ger Jahren nicht nur den eigenen Narzismus, sondern sogar die glühende Verehrung aller "Kunst-möchte-gerne" zu Füssen legte, wirklich mit der Wirklichkeit des verfemten Zigeunerlebens tauschen?
„ iwo, sicher nöd“!
„ A geh, wos weiss denn da Hörr dann scho“ vom wirklichen Leben der Sinti und Roma?
Und ich habe mich damals ebenso gerekelt, geziert, gewunden, um dem „ Meister der künstlerischen Selbstüberschätzung“ näher zu kommen. Wir wollten uns dem allgemeinen Streben nach dem neuen Wirtschaftswunder nicht an passen , niemals!!! Und nun?
„Häusel gebaut, Baum gepflanzt, Tochter gezeugt“ ziehe ich nun herum, um andere Kulturen zu verstehen, schlafe im VW-Bus, schwatze anderen Mitmenschen hier und dort traditionell wichtige Kulturgüter für unser Museum ab…. und ich stelle fest, dass mir der Weg zum Verstehen von Sinti und Roma, trotz vieler Gesprächsversuche in Rumänien, Bulgarien, Südfrankreich, im Westen von Indien und auf dem Münchner Flohmarkt „ an der Parkharfe“, wohin auch osteuropäische Zigeuner mit all Ihren Waren anreisen, sowohl hier durch die eigene Unfähigkeit, Misstrauen zu beseitigen, wie auch durch hermetisches Abwehren von tieferreichenden Fragen immer noch verbaut ist.
Irgendwie ganz Fremde, immer noch Fremde!
Denn das sind die wahren Vertriebenen, die Verjagten und Abgewiesenen von Gestern und heute immer noch:
Geschichte und Schicksal:
Im 11. Jhdt. mit der Ausbreitung des Islam von Norden entlang der Westküste und ins Herz Indiens hinein (Moghulfürsten) wurden alle Völker vertrieben, die sich nicht unter die neue Herrschaft anpassen wollten: So auch die ehemals halb-sesshaften Völker im Lande Sind im Osten Pakistans an der Grenze zu Indien. Einer der frühen Mythologien nach gab es einen König mit drei Söhnen Romano, Singan und Amengo Dep. Romano und Singan sollen nach einem großen Krieg mit zwei Stämmen aus dem Land Sind weggezogen sein. Der eine größte Stamm zog über Afghanistan und Persien nach Armenien und später über die Türkei, nach Bulgarien, Serbien, Rumänien und Ungarn. Der andere Ableger soll sich evtl. über Syrien, Palästina , Ägypten, Nordafrika nach Spanien, Italien und Frankreich gewandt haben: Roma und Sinti. Amengo blieb im Lande Sind.
Roma und Sinti waren auch in ihrer ursprünglichen Heimat Indien nicht als Bauern und Hirten tätig, sondern zogen abhängig von den klimatischen Verhältnissen und den heimatlichen Halb-Wüstengebieten nomadisch umher. Für die Inder der oberen Kasten und auch für die Moghulfürsten waren alle Besitzlosen vom Stand her nahe den Unberührbaren. Nur als Handwerker, Gelegenheitsarbeiter oder Gaukler konnten Sie sich durchschlagen. Auch gerade die in vielen anderen Religionen verpönte Wahrsagerei und psychoaktive Heilkunst waren bekannte Fähigkeiten. Viele der Namen einzelner Unterstämme der Sinti und Roma in den unterschiedlichen Regionen Ihrer Wanderung erinnern an Berufe mit Eisen und Kupfer und damit daran, dass die Männer wohl sehr oft als Schmiede und später dann auch Kesselflicker und Scherenschleifer Arbeit fanden. Weberei und Näharbeiten waren für die Frauen vorgesehen. Auch in unserem Sprachumfeld scheint die Tätigkeit des: „ Auf die Stör gehen“ (Hier kommt auch mein Familienname her) wohl ein ähnliches Arbeitsverhältnis und ähnliche verachtenswert eingestufte Berufssparten umfasst zu haben wie in den Ursprungsgebieten von Roma und Sinti. In allen diesen Gebieten war die Einkommensmöglichkeit durch Wandergewerbe sicher aber stets unter dem Existenzminimum. Die Familien mussten sich mit dem ernähren, was sie fanden, was im günstigen Falle niemand gehörte und auf das niemand Anspruch erhob, und das war sicher sichtlich wenig: Zu regelrecht hoch stilisierten „Zigeuner“-Spezialitäten gehört damit gegrillte Ratte, Schlange und vor Allem fachgerecht entstachelter Igel in Lehmmantel, daneben natürlich Wildobst, Beeren, Pilze, Wurzeln und Erbetteltes.
Das hierbei Überschreitungen zu festem ländlichem Besitz nicht zu vermeiden waren, ist verständlich. Für ein nomadisierendes Volk und im Besonderen die verschiedenen Stämme der Sinti und Roma sind Besitzverhältnisse relativ unbedeutend. Durch die starke innerfamiliäre und Clan-Bindung ist Eigentum höchstens in Bezug zur Allgemeinheit relevant. In allen Sprachuntergruppen der Sinti und Roma gibt es für persönlichen Besitz tatsächlich nicht einmal ein geeignetes Wort. Seltsam dabei allerdings, dass jede in Indien und Pakistan herum ziehende Familie zB. der Banjari bei jedem abendlichen Halt als Erstes aus zusammen getragenen Dornzweigen um das Lager einen Zaun zieht. Ist es Schutz für die Zeit größter Angreifbarkeit in der Nacht? Ist es nur damit die wenigen Ziegen nicht davon laufen oder ist es doch das Grundbedürfnis aller Menschen, egal ob Nomaden, Bauern oder deutschem Wohlstandsbürger, der an italienischem Strandgefilde sein kleinkariertes Handtuch schon in aller Frühe auslegt, sich eine kleine Spur Heimat zu schaffen?
Die im Gebrauch europäischer Sprachen verwendeten Begriffe: Gitanes, Ciganos, Zigeuner, Jedjupi, Djupci, Gypsies usw. soll im Übrigen darauf zurückgehen, dass man Ihre Herkunft in Ägypten und Phrygien vermutete, wo die Sinti hingezogen waren und die gnostisch manichäische Sekte der Atsigani lebte. Diese war ebenso wie die ursprüngliche Religion der auf der Flucht befindlichen Nordwestinder in Anlehnung an Zoroaster, Mani und den persischen Mitraskult ganz besonders stark vom Denken an zwei dualistische Mächte: Gut-Böse, Hell-Dunkel bestimmt. Gut ist hierbei meist immer der Kreis der Familie, das Vertraute, gefährlich ( und evtl. schlecht) alles Fremde. Möglicherweise indirekt gar nicht ganz so schrecklich weit vom Nationalismus, der populistischen Biedermeierei ( und dem Kapitalismus) unseres Denkens entfernt, der in allen Staaten, in denen Sinti und Roma verweilen wollten, sie wiederum aus panischer Angst vor allem Fremden zu vertreiben suchte und wohl auch immer noch versucht. Man denke an die Durchfahrtssperren für höhere Wohnmobile auf gemeindlichen Campingplätzen in Frankreich. Staatenlos ungebunden zu sein, ohne Besitz -, Tätigkeits- oder Heimatmonopole zu erheben, war sicher mit ein gemeinsamer Kernpunkt der tödlichen Verfolgungen von Sinti, Roma, Juden und Kommunisten dann im Nazideutschland.
Groß war in Europa auch die Angst vor den wiederholten Einfällen östlicher Volksgemeinschaften beginnend mit den Protoarier im 3. Jahrtausend über Skythen, Hunnen, Türken, Ungarn und Tartaren in Mittelalter bis Barock. Die aus gleicher Richtung kommenden Familienbünde der Roma mit der so grundsätzlich anderen frühindischen Sprache mussten wohl als Spione und Vorhut gelten. Ohne die im westlichen Denken, im Kapitalismus, so tief verankerten Grenzen für persönlichen Besitz zu kennen, wurde die „Geheimsprache“ der Roma zur Verbrechersprache schlechthin hoch stilisiert. Geheime Kreidezeichen: „Besser nicht betteln-hier ist ein Hund“, „Gutmensch-schenkt reichlich“ usw. sind das wirklich Vorstufen für unser Darknet oder lösen sie bei uns Normeuropäern nur ganz einfach die Angst vor nicht Bekanntem aus?
Fragen bleiben offen.
Vieles wird im hervorragenden Bild und Textband: des Autorenteams Tomasevic, Djuric,Zamurovic: Roma Isbn:3-8025-2183-8 noch ausführlicher geklärt
Bürgerreporter:in:Haus der Kulturen michael stöhr aus Diedorf |
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