Wo ist Charon, der Fährmann ?
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Dialog zu einer Plastik von Andreas Heise im Haus der Kulturen Diedorf
Wo ist Charon, der Fährmann, den man so teuer bezahlte?
Mit laut schlagenden Segeln, die aus dem Wind genommen sich dicht wie ein kaum die Formen verhüllendes Frauengewand an Mast und Spanten legen, kamen die riesigen schwimmenden Holzpaläste über das Wasser geschwebt. Emsige Boote vollgefüllt mit Menschenmaterial steuerten auf die Ungetüme zu. Sklavenmassen wurden unter Deck getrieben, während anderswo schon große Ballen bunt bedruckten Stoffes und Kisten überquellend mit glitzernden Perlenketten auf den Rücken anderer schweisstriefender Dunkelhäutiger in Boote verladen und an Land gebracht wurden.
Hellhäutige Götter, gerade aus dem gelobten Reich der Toten weit im Norden angekommen, standen weit oben klein aber nicht minder mächtig in den hölzernen Kommandozentren hinter dem riesigen geschnitzten Oberkörper der barbusigen „Mami wata“ ganz vorn am Bug, der allmächtigen Göttin des Meeres und all der anderen Gewässer des Landes. Diese Götter brüllten Befehle hinunter zum Volk der Sterblichen, die sich nichts weiter wünschten, als irgendwann irgendwo dort hinter dem Spiegel des Meeres einmal teilhaben zu dürfen, an all dem überquellenden Reichtum des weit entfernten Paradieses.
„Mammi wata“, Ihre göttlichen Priester nannten sie liebevoll die Mutter der Nationen, Queen Victoria, hat all Ihre Untertanen lieb, sagte man, ebenso wie Ihr Sohn Jesus, der, so wie die Hohen Missionare erzählten, von bösen Völkern fernab des Himmels ermordet worden war. Und deswegen hatte die große weiße Mutter eben manche der Stämme verflucht und ihnen Sklavendienste abverlangt. Nur Stunden waren in emsigen Treiben vergangen, dann blähte der Wind wiederum die großen weißen Segel hin in das ferne gelobte Land voll des großen Reichtums für Alle, die je einmal dorthin gelangten.
Beim Kult der Mammi wata, des EWE-volkes in Ghana wird in Schlangentempeln der göttlich großen barbusigen Meerjungfrau gehuldigt, die man als geschnitzte Bugplastik an englischen Schiffen gesehen hat. Nur sie allein kann dafür sorgen, dass man den Weg nach Europa unbeschadet übersteht. Große Geschenke auf kleinen Holzbooten werden in der Hoffnung , die große weiße Frau , werde es schon richten, bei Vollmond dem Meer übergeben.
Schlauchboote kentern, vollgefüllt mit Menschenmassen, hinterlassen verstreut an nordafrikanischen Küsten kleine Bruchstücke eines verlogenen Traumes, der unseren Brüdern mit dunkler Haut immer noch nicht aus dem Kopfe gehen will: Europa, das Land der immens reichen weissen Gotteskinder, das jedem die Möglichkeit bietet, im Sog des Reichwerdens nach oben zu steigen. Aber wo zum Teufel ist denn das Boot, das uns von afrikanischer Küste nach Europa bringt? Wo steckt denn dieser verdammte Schleuser Charon, der wieder einmal seine Hand gierig nach dem Obolus ausgestreckt hat?
Bürgerreporter:in:Haus der Kulturen michael stöhr aus Diedorf |
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