Keine Adventsgeschichte
Es ist zum Verzweifeln: seit die Bahn versucht, an die Börse zu gehen und ihre Gewinne zu steigern, gibt es keine Müllbehälter mehr. Es ist sogar soweit gekommen, dass ich inzwischen 1. Klasse fahre. Ursprünglich, weil ich nur einen Sitzplatz haben wollte, aber selbst das ist nicht mehr sicher. Wenigstens gab es noch die Müllbehälter, wo man seinen Dreck loswerden konnte. Aber das ist nun auch Geschichte.
Ist Euch das auch aufgefallen? Immer mehr und immer größere Verpackungen dominieren unseren Alltag und es gibt immer weniger Stellen, an denen man ihn loswird? Die Mülleimer verschwinden klammheimlich. Mein Fazit daraus lautet: wir bezahlen (über den Preis) die immer bunteren und größeren Verpackungen und müssen am Ende über die Mülltrennung auch noch dafür bezahlen, dass wir ihn wieder loswerden. Wenn man dann, so wie ich, den Müll einfach bewußt auf die Straßen wirft, wird man angegiftet. Meine Standardantwort "Wieso, ich sorge doch dafür dass die Strassenreinigung Arbeit hat. Ausserdem bezahle ich sie mit meinen Steuern" wird von niemandem geteilt. Es ist tatsächlich so, dass wir die Perversion unseres Lebens schon gar nicht mehr bemerken.
In besagter Bahn also saß ich unlängst in einem dieser Abteile (ohne Aschenbecher, Mülleimer oder Vorhänge, die man auch abgeschafft hat) auf nackten Sitzen mit einer Mitreisenden gegenüber. Sie war stark geschminckt, parfümiert und blätterte in einer Illustrierten. Ich räumte die auf dem Tisch liegenden Zeitungen der zuvor Reisenden auf dem Tischchen weg und packte ein Buch aus. "Die Klima-Lüge" war der Titel. Ich warf die Zeitungen auf den Boden und leerte noch Inhalt meiner Taschen dazu aus. Sie schob ihre Lesebrille an der Nasenspitze hoch und blickte mich entgeistert an.
"Also, wenn Sie schon gerne lesen, dann doch nicht so etwas. Und überhaupt, was machen Sie da?"
Alles, was ich wußte, war, dass sie mir ihre neuesten Illustriertenerleuchtungen ins Knie schrauben wollte. Mit Markenklamotten durchgestylt und auf der Chanel Nr. 5 Selbstsicherheit hindurch signalisierte ihre Stimme, dass ich mich zu rechtfertigen hätte. Wofür?
"Ich hole mir die Gegenleistung für meine Fahrkarte. Und darüber hinaus habe ich weder Hobbys noch Weltanschauungen noch gute Freunde."
Sie blickte entgeistert und war entschlossen, das Verhör fortzusetzen.
Ich weiß nicht, wie es Euch geht, aber manchmal habe ich größte Mühe, ein Gespräch zu beenden, indem ich gleich zum unvermeidlichen Schlußpunkt komme. Es war klar, was mich erwartete: der übliche Sermon von sozialer Verantwortung, Erziehung, Rücksicht und Persönlichkeitsentwicklung. Da saß sie nun: bewaffnet mit DesignerKlamotten und Riechessenzen aus dem gängigen Konsumterror und breitete ihre Weltanschauung aus. Sie würde sogar zum Klimagipfel nach Kopenhagen fahren und demonstrieren.
Von all den Entwicklungen, die mich die letzten Jahrzehnte begleitet haben, war die Veränderung der Hobbys und Demonstrationsziele das Ernüchterndste. Ich sehe Politiker im Fernsehen inzwischen, die an Demos teilnehmen: sie alle haben Dreck am Stecken und reinigen ihren Ruf damit. Daneben beschäftigen sie sich mit Kochen, Discheridoo-Lehrgänge oder Häkeln für eine gute Sache. Die Penetranz, mit der die pervertierten Lebenssituationen zur Schau gestellt und zum Maßstab erhoben werden, ekelt mich an. Das äußere Bild, der Konsens, sind zum Qualitätsmerkmal geworden, die Verpackung ersetzt den Inhalt.
Das Schlimme ist: alle nach außen getragenen Merkmale dienen zur Charakterisierung. Je mehr Interessen ein Mensch hat, mit umsomehr Dingen er sich beschäftigt und mit umsomehr anerkannten Accessoires man sich schmückt, umso interessanter ist der Mensch. Dabei gibt es für keinen Unterschied zwischen einer Teilnahme an der Klima-Demo, dem Tragen von Strenesse-Klamotten nebst Parfüm und einer mit einer bunten Werbebotschaft und Coupon versehen BigMäc-Schachtel: alles ist zur Visitenkarte verkommen. Es sind ja die Dinge, die uns verbinden, oder zu Individuen machen, oder?
Ich behaupte: wer sich für gar nichts interessiert, wen alles anödet, der wird sich auch nicht in ein Leben zwingen lassen, der zum Ausgleich Hobbys, Demonstrationen und gleichgesinnte Freunde brauchen. Dinge, die unser leeres Leben noch in kanalisierten Formen begradigen und flurbereinigen, in sauberen Abteilen der Bahn und uns in disziplinierter Form die Zeit und Aufmerksamkeit stehlen, um bemerken zu können, dass wir der Verpackung erlegen sind.
Früher hat man demonstriert für soziale Gerechtigkeit, eine Welt ohne Atomkraft und für Frieden. In der Freizeit beschäftigte man sich mit Aerobic, Seidenmalerei oder dem Frisieren von Motoren. Heute führen wir Krieg, das soziale Engagement ist nur noch ein Feigenblatt für die größten Drecksäcke und die Medizin entwickelt immer neue Techniken, unsere vom ewigen Herumsitzen geschundenden Knochen endgültig zu zerstören.
Am Anfang stand eine einfache Idee: Controller in den 50ern haben errechnet, dass die Verpackung teurer als das Produkt war. Im Amerika begann der Siegeszug von BigSize oder XXL, und, ohne es zu bemerken, hat die Verpackung unser Leben verändert. Wir bezahlen sie mit, ohne sie eigentlich haben zu wollen, und bezahlen am Ende noch ihre Entsorgung. Der Inhalt ist zur unbedeutenden Selbstverständlichkeit verkommen. Alles wird dominiert vom Konsens derer, die noch nie die Frage gestellt haben: was brauche ich wirklich und wo liegt der Wert?
Die Bahn hat es vorgemacht: die Abteile sehen heute aus wie früher in der sogenannten Holzklasse (das war die Klasse UNTER der 3. Klasse), die einstmals häufigen Verbindungen wurden gestrichen und in den selten besetzten Bistrots werden Sonderangebote beworben mit einem belegten Brötchen für 5,90 Euro. Das waren mal 2 Stundenlöhne für mich. Das ganze läuft unter der Ankündigung "Mehr Service und Qualität".
Ich habe bisher ja schon einiges überstanden: der Diesel war mal offiziell ein umweltfreundliches Auto, unser Totgräber des Sozialstaats Schröder war mal ein 68er Revolutionär und Asbest war ein umweltreundlicher Baustoff. Ich werde auch dieses aktuelle Geschwafel überleben vom Klima, Finanzkrise und Weltuntergang. Alle Ankündigungen, Verpackungen, Trends, Anschauungen und Überzeugungen. Und dabei meinen Müll überall hinwerfen, denn das ist Freiheit und Demokratie in ihrer reinsten Form. Und alle Gespräche werde ich nach wie vor SOFORT beenden mit:
"Ich habe weder Hobbys noch Weltanschauungen noch gute Freunde."
Das spart mir viel Zeit. Und in der kann ich weiter darüber nachdenken, was wirkungloser ist: über etwas zu reden, zu schreiben oder zu demonstrieren.
Bürgerreporter:in:Dario Chissono aus Augsburg |
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