Schwimmende Reaktoren: Ökologie und Ökologen
Nachrichten von Bord der Akademik Lomonossow: auf dem viel umstrittenen Enegieblock, der sich im nächsten Jahr buchstäblich an den Rand der Welt – zur Küste der zungenbrechenden Tschutschen-Halbinsel im Arktischer Ozean – begeben wird, wurde der erste Reaktor angefahren. Damit wurde ein weiterer Schritt auf dem Weg zu einer einzigartigen Stromerzeugung gemacht – Atomanlagen auf einer schwimmenden Plattform. Mittlerweile hat das Schiff eine internationale Delegation der Umweltschützer zu Besuch empfangen.
In mehreren entwickelten Ländern in Westeuropa gilt Kernkraft als ein Auslaufmodell – nachdem diese Länder einst das Atom begrüßten (einige wie Österreich wechselten dabei die Pferde schon mitten im Strom – erinnern Sie sich ans AKW Zwentendorf, das gebaut aber nie betrieben wurde und nun ironisch „das sicherste Atomkraftwerk der Welt“ genannt wird), schienen sie sich allmählich bewusst zu werden, dass sie aus dieser Energiequelle herausgewachsen waren, und schalteten auf die ihres Erachtens achtenswerteren Quellen wie Wind und Sonne um.
Gleichzeitig wächst offenbar die internationale Anerkennung der Kernenergie als eines der wesentlichen Elemente in der Bekämpfung des Klimawandels. Im Oktober veröffentlichte der UNO-Weltklimarat IPCC seinen Sonderbericht zu den Folgen einer globalen Erwärmung um 1,5° Celsius. In 89 Szenarien untersuchten die Fachexperten die Vorausssetzungen, die dafür notwendig sind, um den Temperaturanstieg in diesen Grenzen zu halten – und kamen zum Schluss, dass die nukleare Gesamtkapazität in der Welt im Durchschnitt um das 2,5-fache bis 2050 steigen soll.
Trotz der Tatsache, dass dieses Wachstum aus verständlichen Gründen vornehmlich durch große konventionelle Atomkraftwerke an Land mit mehreren tausend Megawatt Leistung angetrieben werden wird, werden auch ungewöhnlichere Designs dazu beitragen. Beispielsweise Energieanlagen an Bord eines Schiffs. Die „nukleare Titanic” – so wird die Akademik Lomonossow von der wohl bekanntesten Umweltorganisation der Welt angeprangert. In Greepeace werden offensichtlich traditionelle Kernaussagen automatisch jedes Mal ausgestrahlt, wenn ein neues „Trigger“ im Informationsfeld in jeglichem Kontext erscheint – ohne den Versuch zu unternehmen, zum Kern der Sache vorzustoßen.
Einen etwas anderen Weg hat die Bellona-Stiftung, eine Umweltschutzorganisation mit Haupsitz in Oslo, gewählt. Als Ökologen betrachten sie Kernenergie-Projekte argwöhnisch, besonders wenn es sich um Konzepte handelt, die weltweit keine Analoga und daher noch keinen empirischen Beweis für Machbarkeit und Zuverlässigkeit haben. Zugleich hat sich Bellona einer substanziellen Diskussion mit Rosatom nie verweigert – der russischen Korporation, die für den Bau und den Betrieb der Akademik Lomonossow zuständig ist. Diese Diskussion hat schon bestimmte wichtige Ergebnisse erbracht.
Im Mai dieses Jahres, als der schwimmende Block von Sankt Petersburg nach Murmansk entlang der norwegischen Küste geschleppt wurde, erhielt Bellona zusammen mit norwegischen Journalisten die Einladung, diesen Prozess in der Nähe der Stadt Bergen live zu beobachten. Damals betonte Generaldirektor Nils Bøhmer, die die Bellona-Delegation leitete, dass seine Kollegen keine Bedenken bezüglich der Transportierung hatten, weil das Schiff wurde „kalt“ (das bedeutet ohne Brennstoff an Bord) befördert. Ursprünglich wurde die Brennstoffbeladung zwar noch vor dem Schleppen geplant, aber das norwegische Außenministerium konnte mit Rosatom die Verlagerung dieser Phase nach Murmansk vereinbaren.
Ende September kam es zu einer Fortsetzung des Dialogs zwischen Bellona und Rosatom – die Ökologen besichtigten den Energieblock selbst in Murmansk, dem größten eisfreien Hafen nördlich vom Polarkreis, wo das Schiff im Moment vertäut ist. Bøhmer blieb mit dem Besuch zufrieden: die russische Seite zeige Transparenz in der Umsetzung des Projekts, sagte er. Dabei fügte er hinzu, Bellona sei weiterhin über alle Angelegenheiten besorgt, die mit der Akademik Lomonossow und vor allem mit dem Betrieb ihrer Reaktoren verbunden sind. Inzwischen sind die beiden 35-Megawatt-Reaktoren mit Brennstoff beladen, und der erste Reaktor wurde sogar schon angefahren; in Kürze wird der Anlauf der zweiten Anlage erwartet.
Warum wurde Bellona eingeladen und Greenpeace nicht? Man kann nur raten. Einer der möglichen Gründe könnte ein unmittelbares Interesse der norwegischen Umweltschützern zumindest an der Sicherheit des Projekts sein: schließlich liegt die Oblast Murmansk an der Grenze zwischen Norwegen und Russland. In Bezug auf Greenpeace entstehen hin und wieder Fragen zu politischen Beweggründen der Organisation – die darunter von eigenen früheren Anhängern stammen. Ex-Greenpeace-Chef Dr. Patrick Moore verschwieg nicht, warum er 1986 entschied, seine Stelle aufzugeben: Greenpeace wäre nach seinen Worten zu einer Organisation von Extremismus und politisch motivierten Agenden geworden. Darüber schrieb der Kanadier für Wall Street Journal im Jahr 2008 – und in den vergangenen zehn Jahren hat sich kaum etwas verändert.
Eigentlich zurück zur Akademik Lomonossow und der Umwelt. Wenn man sich wieder einmal auf rein technischen Aspekten konzentriert, wird oft das spezifische Ziel des Projekts in den Hintergrund gedrängt. Nach ihrer Inbetriebnahme wird die schwimmende Anlage nicht nur ein veraltetes AKW ersetzen, sondern auch ein Heizkraftwerk, das mit Kohle gefeuert wird. Rosatom behauptet, jeder Tag des Betriebs der Akademik Lomonossow, direkt sowie indirekt, reduziere den Jahresverbrauch von bis zu 200 Tausend Tonnen Kohle und 120 Tausend Tonnen Heizöl – ein beeindruckender Beitrag zum Klimaschutz.
In zehn von zehn Fällen würden Umweltschützer wahrscheinlich die Frage stellen, wieso man denselben Effekt mit erneuerbaren Energien nicht erzielen könnte. Hier ist aber der Kontext von vorrangiger Bedeutung – die Bedingungen, in denen die Akademik Lomonossow betrieben wird. Kurz zur Erinnerung: es geht um den Hohen Norden, wo die durchschnittliche jährliche Sonnenscheindauer sehr bescheiden ist – auch in der russischen Arktis: in Pewek übersteigt dieser Wert nicht 1600 Stunden pro Jahr, zum Vergleich mit 2500 in Mexiko-Stadt.
Es ist auch zu berücksichtigen, dass Tschukotka eine äußerst entlegene Region ist, wo eine zentralisierte Stromversorgung schwer erhältlich erscheint. In dieser Hinsicht wird das Potenzial von schwimmenden Atomkraftwerken von Prof. Thomas Walter Tromm vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) anerkannt: „Prinzipiell klingt das zunächst einmal sehr erfolgversprechend, weil ziemlich einfach zu bewerkstelligen”. Die Technologie habe zudem wesentliche Exportaussichten, glaubt der Experte – in der ersten Linie gelte dies für Schwellenländer. Der stärkste Beweis dafür liege in der nicht so ausgeprägten Stromverteilungsstruktur in einem Großteil dieser Länder, die große Anlagen im GW-Bereich praktisch ausschließt, sagt Prof. Tromm, der am KIT das Helmholtz-Programm Nukleare Entsorgung, Sicherheit und Strahlenforschung (NUSAFE) leitet. Inzwischen ist es schlicht unmöglich, den rasant steigenden Strombedarf im Zuge der industriellen Entwicklung in Schwellenländern allein durch PV- und Windanlagen zu decken.
Bei allen Argumenten für als auch gegen die Umweltfreundlichkeit des schwimmenden AKW bleibt es atomar – was impliziert, dass die damit verbundenen Streitigkeiten fast keine Chance haben, zu einem totalen Stillstand zu kommen. Doch wäre es besser, wenn dieser Disput im Rahmen eines zivilisierten und transparenten Umweltdialogs besteht.
Bürgerreporter:in:Dagmar Vogt aus Augsburg |
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