Ausgestorbene Berufe
Die Tuchmacher

„Die Tuchmacher bildeten eine Zunft, Innung oder Quartal. Die Zünfte waren Vereinigungen zu geselligen, kirchlichen und gewerblichen Zwecken und ihr Ansehen war oft groß. Für die einzelnen Zuftgenossen gab es gewisse Betriebsvorschriften, wodurch Güte und Preiswürdigkeit des Tuches festgesetzt wurde und wodurch man Preistreiberei, Konkurrenz und Entwicklung zum Großbetriebe verhüten wollte.

Der Oberälteste leitete die Zunft. Nebenältester, Ältester und Sprecher gehörter ebenfalls mit zum Vorstande. Jede Zunft hatte ihre acht Leichenträger gewählt. Sie bildeten die Leichenbruderschaft, und ihre Mitglieder trugen bei feierlichen Gelegenheiten schwarzes Zeug, Zylinderhut und langen Mantel. Sie wurden mit einem Reichstaler aus der Zunftkasse besoldet. Die beiden jüngsten Meister verrichteten der Zunft die Jüngstendienste, wie Bestellung der Leichenträger, Herstellung der Gruft und alles was die Zunft anging.

Selbständiger Tuchmachermeister konnte nur derjenige werden, welcher seine vorgeschriebene Zeit gelernt, als Geselle gearbeitet, die Wanderzeit duchgemacht und endlich die Befähigung zum Tuchmacherhandwerk nachgewiesen hatte. Man verlangte ferner von ihm guten Ruf, eheliche Geburt und eine gewisse Bildung.
Bei bestandender Meisterprüfung wurde eine Urkunde ausgestellt und vom Bürgermeister und Zunftvorstande unterzeichnet. Jeder Meister mußte Bürger werden und stets das Ansehen der Stadt und seines Standes zu fördern suchen. Dem jungen Meister zu Ehren fand ein Festmahl statt, zu welchem der Gefeierte einen Reichstaler beisteuern mußte. Man trank an diesem Tage aus dem Gewerbekelche, der vom Jüngsten bis zum Ältesten wanderte. Der Name des Jungmeisters wurde nun ins Meisterbuch eingetragen, ferner wurde ihm ein Meisterbrief gegen Hinterlegung von drei Talern ausgehändigt.

Allmählich wurde dann das Handwerk durch Einführung der modernen Hilfsmittel des Fabrikbetriebes immer mehr eingeengt. Neben den Werkstätten entwickelten sich die Tuchfabriken, und zwar wohl besonders aus dem Grunde, weil Werkstätten nicht in der Lage waren, genügend Tuch für militärische Zwecke zu liefern.
Um mit dem Niedergange des Tuchmacher-Gewerbes nicht auch die Leichenbruderschaft einschlummern zu lassen, ließen sich jetzt auch andere Handwerksmeister, für 30 Silbergroschen ins Meisterbuch der Tuchmacher-Innung eintragen.“

(aus: Ernst Bock: Alte Berufe Niedersachsens, 1926)

Bürgerreporter:in:

Thomas Ruszkowski aus Essen

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