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Buch-Rezension: „Föhn mich nicht zu“ von Stephan Serin

  • Stephan Serin: "Föhn mich nicht zu" © Rowohlt Taschenbuch Verlag
  • Foto: © Rowohlt Taschenbuch Verlag
  • hochgeladen von Michael S.

Stephan Serin schildert in „Föhn mich nicht zu“ die Schrecken und den Druck für angehende Lehrer während des Referendariats, thematisiert das erschütternde sprachliche Niveau von Schülern am Werner-Heisenberg-Gymnasium in Berlin, berichtet von psychischer und physischer Gewalt gegen Pädagogen und begründet, warum Pauker in verschiedenen Klassen unterschiedliche Maßstäbe bei der Bewertung anlegen.

Stöhnen im ganzen Satz

Vom Referendariat bis zu seiner Zeit als Vertretungslehrer konkretisiert Serin in seinem Buch, das zwischen Enthüllung und Biographie schwebt, zahlreiche Problemzonen im Bildungssystem in Berlin aus der Ich-Perspektive. So gibt er Dialoge unter Schülern wider, die exemplarisch für die Spracharmut und Aggressivität in Berlin-Mitte stehen, setzt diese Baustellen jedoch immer wieder in einen heiteren Kontext. Beispielsweise lässt Serin einfließen, wie sich die Erziehung, die er in der DDR genossen hat, auf sein Empfinden für Sprache auswirkt. „So war mir an all meinen Freundinnen aus dem Westen auch immer unangenehm aufgefallen, dass sie beim Sex bestenfalls einzelne Worte stöhnten. Oft hatte ich unser Liebesspiel deshalb unterbrechen müssen und sie gebeten, das Stöhnen zu wiederholen – und zwar im ganzen Satz“, bringt er seinen persönlichen Hintergrund an passenden Stellen und mit einem gewissen Augenzwinkern mit ein. Ob Serin das tatsächlich so gehandhabt hat, wissen wohl nur er und seine Freundinnen.

Spätestens auf Seite 28 fragt der inzwischen fast schon schockierte Leser, wie niedrig die Hürden in Berlin-Mitte sind, die Schüler überspringen müssen, um das Gymnasium besuchen zu dürfen. Subjekt, Prädikat, Objekt – für den Großteil der Schüler am Werner-Heisenberg-Gymnasium scheinen diese drei Bausteine eines vollständigen Satzes schon viel zu kompliziert zu sein. Schenkt man Serin Glauben, kompensieren sie diese Defizite mit purer Aggression und spielen Lehrkräfte gegeneinander aus.

Wenn Streber ihre Ideale verlieren

Es wird aber auch deutlich, dass Serin als Referendar schnell in seinem Idealismus gebremst wurde und durch viele unterschiedliche und zumeist eher wertlose Tipps nicht unbedingt der Standhafteste war, worunter sein Unterricht litt. Offenkundig wird sein Mangel an Durchsetzungsvermögen – ein Punkt, der auf viele angehende Lehrer zutrifft, die einerseits darauf angewiesen sind, dass sich ihre Schüler zumindest bei der Lehrprobe vorbildlich verhalten, andererseits damit zu kämpfen haben, dass sie von ihren „Ausbildern“ kritisch benotet werden, obwohl diese meist keinen besseren Unterricht gestalten.

Aber auch bizarres Verhalten des Lehrers Serin, das man angesichts der biographischen Elemente in „Föhn mich nicht zu“ nicht erwartet hätte, lässt die Leser mit einem Kopfschütteln aufhorchen. So klassifiziert sich Serin selbst als Streber, der Mitschüler einst penetrant belehrt und angeschwärzt hat. Gleichzeitig diskriminiert er als Lehrer fleißige Schüler und bevorzugt die Problemfälle, obwohl diese ihm das Leben schwer machen und rechtfertigt Tadel für Musterschüler mit haarsträubender Logik.

Französischlehrer sind schwul und Handyverbote schwer durchzusetzen

Serin legt offen, mit welcher Willkür Lehrer einzelne Schüler ungerecht behandeln. Mit den Idealen eines Referendars vergab er nach eigener Aussage anfangs der Leistung entsprechende Noten, machte sich die Klasse damit aber nicht gerade zum Freund. Weil er bereits zu drei Klassen ein getrübtes Verhältnis hatte, kam bei der vierten taktisches Kalkül dazu. Er pickte sich den Machtinhaber heraus und sicherte sich dessen Gunst durch bevorzugte Behandlung und nachgeworfene gute Noten. Das Konzept ging nicht auf. Zum Halbjahr musste der Schüler gehen, weil seine Leistungen in den anderen Fächern zu schlecht waren und er darin angemessen benotet wurde.

Serin erläutert zudem, dass ein Unterrichtswurf auf dem Papier mit der tatsächlichen Stunde bisweilen wenig zu tun hat. Er erzählt von der Durchsetzung von Handyverboten, die einem Kampf gegen Windmühlen entspricht, bestätigt die Schülerthese, dass Französischlehrer prinzipiell schwul seien (er selbst sei der einzige Hetero in Berlin), sich Französisch als Weltsprache auf dem absteigenden Ast befindet, dass die pädagogische Theorie meilenweit von der Realität entfernt ist und zwischen Kollegialität unter Lehrern und Beliebtheit bei den Schülern ein schmaler Grat, wenn nicht gar ein Graben besteht.

Fazit:
Dieses Buch ist eine schonungslose Abrechnung mit dem Referendariat und dem Bildungsdefizit in Berlin-Mitte. Dabei ist es witzig geschrieben (und an manchen Stellen wohl auch übertrieben) und erschreckend offen! Serin stellt sich nicht als perfekten Lehrer hin, der alles besser kann – eher im Gegenteil. Gerade diese persönliche Note gepaart mit zur Schau gestellter Fehlbarkeit sorgt für einen gelungenen Spagat zwischen brutaler Schul-Realität, Ratlosigkeit und Unterhaltung.

Der Leser hat das Gefühl, gleichzeitig unterhalten zu werden, an die Decke gehen zu müssen und alles über das prekäre Bildungssystem in Berlin zu wissen. Wer nicht jedes Wort auf die goldene Waagschale legt, kann aus „Föhn mich nicht zu“ erschütternde Erkenntnisse gewinnen. Insbesondere für Referendare und Lehramt-Stundenten ist dieses Buch sehr zu empfehlen, zeigt es doch, womit sich angehende Lehrer herumschlagen müssen, was sie alles falsch machen können und wie sie manch unangenehme Situation möglichst gut lösen können.

Titel: Föhn mich nicht zu. Aus den Niederungen deutscher Klassenzimmer.
Autor: Stephan Serin
Verlag: Rowohlt Taschenbuch Verlag
Erscheinungsjahr: 2010
Seiten: 258
ISBN: 978 3 499 62670 8
Preis: 9,95 Euro

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