Vom Neid auf das Leben der anderen

Ich bin der Grösste!!! Quelle: photocase.com
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  • hochgeladen von Sophia Sommer

Ich wäre eigentlich sogar eine recht gute Mörderin geworden. Ich habe schon unzählige Krimis gelesen, alle Fälle mit CSI in New York, Miami und bei der Navy gelöst, ich weiß, wie man Fingerabdrücke beseitigt, keine Fasern am Tatort hinterlässt und sich ein glaubwürdiges Alibi verschafft. Das einzige, was mir dann noch fehlen würde, wäre ein gutes Motiv – doch diesmal hätte ich sogar eins: Neid! Dieses Gefühl, dass aus den dunklen Untiefen des Herzens aufsteigt, der giftige Gedanke, der sich in einem verwirrten Verstand festbeißt – Neid ist ein gutes Motiv, jemanden buchstäblich erwürgen zu wollen; und etwas so schrecklich Alltägliches. Denn jeder von uns kennt dieses Gefühl – und es muss nicht immer die große Yuppie-Lebenskrise eines Patrick Bateman sein. Vor allem in den Kleinigkeiten, die uns von den anderen Menschen auf so unglückliche Weise unterscheiden, tobt sich diese gallige Empfindung aus und quält uns jeden Tag aufs Neue. Doch worauf sind wir eigentlich überhaupt neidisch?

Unter uns Frauen ist Neid eine verbreitete Schwäche, möchte ich behaupten. Mit einem geübt kritischen Blick für eventuell hoch einzustufendes Konkurrenzpotenzial der "Anderen", wissen wir nicht nur die Schwächen der Gegnerin schnell und treffend zu analysieren, sondern auch anschließend sofort – denn hier ist Zeit nicht Geld, sondern Glück – unseren Liebsten in künstlich aufgeblasenen Ausmaßen darauf hinzuweisen, dass ihre Nase krumm, ihre Beine zu dick, ihr Make-up schlecht, ihre Hüften zu wabbelig und ihre Ausdrucksweise mehr als banal ist. Doch noch während wir unsere Munition zielsicher verpulvern, geschieht es manchmal, dass wir uns bewusst werden, dass sie auch Vorzüge ihr eigen nennt, die uns vor Neid schier platzen lassen könnten … hätten wir uns nicht so gut unter Kontrolle!
Wir sind neidisch auf ihre teueren Blahniks, die selbst ihren krummen Zehen echten Glamour verschaffen – was sie wohl hat machen müssen, um sie zu bezahlen? – und auf ihre kleine perlenbestickte Handtasche, für die wir uns im Schlussverkauf geprügelt und dann doch nicht bekommen haben – die Kuh aber offensichtlich schon! Wir beneiden die apfelrunde Festigkeit ihrer Brüste, die ganz offensichtlich größer als unsere sind – da hat doch sicherlich einer mit dem Skalpell nachgeholfen! – und vergehen schier bei der Feststellung, dass der Glanz ihrer hüftlangen Haarpracht bei weitem den unserer drei Teufelshaare übersteigt, aber auch da wird wohl ein geschickter Frisör gehörig gezaubert haben… Hey, todsicher ist die Frau eine einzige Mogelpackung, doch was ist wenn nicht? Neid… Neid und Mordgelüste…
Wir sind unser ganzes Leben lang neidisch. Neidisch auf das Glück der Anderen, einen Mann abbekommen zu haben, der selbst in gnadenlosem Neonlicht des Kaufhauses so aussieht, als sei er soeben aus der Davidoff-Werbung aufgetaucht; auf ihre klügeren Kinder, die wohlerzogen und aufrecht in der Straßenbahn sitzen, während unsere schreiend und spukend um sich treten; wir beneiden ihre Figur, ihren Job, ihre Eloquenz und dass sie scheinbar über alles Bescheid weiß, von Tapetenkleistergeheimnissen bis hin zum Hubraum des Ferrari 360, den sie dann auch noch schwungvoll und millimetergenau neben unserem Volvo Kombi einparkt.
Aber wenn es um den fahrbaren Untersatz geht, sind Männer auch nicht viel besser.

Denn das Bedürfnis jemanden aus Neid erschlagen zu wollen ist auch den Männern allzu bekannt – so viel ist sicher. Eben dieser Tatsache entspringen ja die viel belächelten Diskussionen um das Thema "wer hat den größten…" und dabei bezieht sich der Wettstreit nur in Ausnahmefällen auf gewisse Körperteile. Auch hier geht es darum, wer den schnelleren Wagen fährt, die schönste Frau daheim für sich putzen lässt, ob man(n) einen Six-pack hat, wessen Bettpfostenkerbenliste länger ist, wer die größere Verkaufsprovision kassiert hat und wer die meisten Weizen in sich reinkippen kann, ohne aufs Klo zu gehen.
Der Neidfaktor in der Männerwelt erklärt sich allerdings nicht aus der Angst heraus, seine Partnerin an den besser aussehenden Konkurrenten zu verlieren, wie es bei uns Frauen der Fall ist. Frauen beneiden Frauen um das höhere genetische Potenzial – das in der Moderne erfolgsorientiert um Modeattribute wie Schuhe, Klamotten und Schmuck ergänzt wird –, einen besseren, fürsorglicheren, potenteren Partner bekommen zu können. Und gäbe es keine Männer auf dieser Welt, wäre es uns ja so was von egal, wer die längeren Beine oder den knackigeren Hintern hat! Aber da es eben Männer gibt, sie zudem weniger als die Hälfte der Erdbevölkerung ausmachen, biologisch gesehen notwendig für den Erhalt der Spezies sind und sich auch noch zunehmend mehr an ihrer Handlungsfreiheit als an der Familiengründung orientieren – was die Wahrscheinlichkeit, sie letzten Endes erfolgreich ans Herd und Bett "fesseln" zu können, zusätzlich verringert –, sehen Frauen sich in einen permanenten Kampf verwickelt, der in uns nicht nur aus Neid immer öfters Mordgedanken nährt.
Männer dagegen erleben Neid lediglich als eine Begleiterscheinung ihres Wettkampfes, denn grundsätzlich ist Konkurrenz unter Männern nur ein Spiel. Als sie noch kleine Jungs waren spielten sie um größere Bagger und coolere Aufkleber. Jetzt wetten sie um den Sieg ihres Heimatclubs, um die steilere Karriere und – oh, Wunder! – um die PS-Stärke ihrer mittlerweile echten Flitzer. Denn ein Mann schöpft sein Selbstbewusstsein aus dem direkten Vergleich mit einem anderen Mann – er will einfach nur besser sein. Und hat er erstmal den größten – Erfolg, Wagen, Kontostand, Haus oder was auch immer, Hauptsache größer –, ist er ein König unter den Löwen.

Bleibt nur noch zu klären, ob Männer und Frauen sich auch gegenseitig um etwas beneiden. Nun ja, da dürfte es schon ein paar Sachen geben. Und ich möchte mal ganz unweiblich an dieser Stelle wetten, die Tatsache, dass wir Kinder kriegen können und sie nicht, sicherlich nicht dazu gehört. Aber ab und an wünscht sich ein Mann wohl auch, er könnte nur dank seines Charmes ganz locker den Kredit bei der Bank bekommen, obwohl das Konto bereits endlos überzogen ist, oder wäre fähig, nachts auf menschenleerer Straße ein Taxi herbeizuzaubern, nur weil man hochhackige Schuhe trägt.
Und wir? Wir wünschen uns ab und an, einfach alles stehen und liegen lassen zu können: Familienbanden und Arbeitsverträge aufkündigen, auf einem Kreuzfahrtschiff als Matrose anheuern und ins Blaue davon segeln, um aller Welt zu beweisen, dass wir "unseren Mann stehen" können und frei den Abenteuern, Eroberungen und Herausforderungen entgegenstürmen, während unsere Väter und Ehemänner geduldig daheim auf uns warten, bis wir unsere Träume verwirklicht haben und irgendwann mal als Helden an die vertrauten Gestade zurückzukehren bereit sind.
So ist es wohl die Freiheit der anderen, auf die wir scheinbar am meisten neidisch sind.
Und für die Freiheit lohnte es sich schon immer, über Leichen zu gehen.

Kein bisschen neidisch,
Ihre
Sophia Sommer

Bürgerreporter:in:

Sophia Sommer aus Augsburg

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