Vom Essen und der Liebe
oder weshalb wir schuldlos sind an sündhaften Genüssen............
Der kulinarische Zauber schwebte schon seit je her über den Bettstätten in der ganzen Welt – quer durch Europa, Asien und den Orient. Nicht nur der berühmteste Liebhaber aller Zeiten, Giacomo Casanova, wusste die aphrodisierende Wirkung eines guten Mahls zu schätzen und die kulinarische Verführung geschickt einzusetzen. Fast jede galante Eroberung verstand Casanova mit einem speziellen Souper einzuleiten. Und in erster Linie war er ein Mann, der das Leben als Gesamtkunstwerk der Sinnesfreuden zelebrierte: gern verweilte er doch überall dort, "wo es schöne Frauen gab, denn da wusste man auch gut zu essen."
Doch auch Päpste und Mönche, Könige und Fürstinnen, Künstler und Poeten, Sultane und Cäsaren vermochten schon seit je her, die Gaumenfreuden und das Liebesvergnügen geschickt miteinander zu verweben. Und wusste man eine Frau wohl als willige Geliebte zu schätzen, liebte man sie doch leidenschaftlicher, wusste sie auch das lukullische Verlangen ihres Mannes zu befriedigen.
Das Geheimnis "Wie man eyn teutschen Mannsbild bey Kräfften hält" – so der Titel eines Kochbuchs aus dem Mittelalter – kannte sicherlich auch Goethes Frau Christiane, auf deren Künste er in einem Brief aus Jena ein hohes Loblied singt: "Mein Mittagstisch ist immer nur zur Not genießbar und die Knackwürste sind zu stark gesalzen. Deine bleiben noch immer die besten. Sorge ja bei der neuen Schlacht dafür, dass sie gut werden, weil ich zum Frühstück nun daran gewöhnt bin." Und dann bittet er seinen "Bettschatz" aufs allerinständigste, ihm aus ihren vorzüglichen Töpfen "etwas gutes Gebratenes, einen Kapaun oder einen Truthahn zu schicken, es mag kosten, was es wolle." Wohl wahr, in der Liebe und beim Essen sollte Geld keine Rolle spielen…
Mit pochierten Austern, Vanillesoufflees, Trüffelpasteten, karamellisierten Rebhühnern und Ragout der Glückseeligen verführte Casanova in 40 Jahren seines "aktiven" Lebens wohl an die 120 Damen, wie er selbst in seinen Memoiren behauptete, die neben pikanten Praktiken und Ratschlägen auch eine Fülle an wunderbaren Rezepten enthalten. Doch in Paris des Jahres 1759 bewies Casanova, dass er nicht nur ein zügelloser, egoistischer Frauenheld, sondern auch ein galanter, hilfsbereiter Mann war, der in Not geratene Damen bis hin zur "Selbstaufopferung" unterstützte: für die von einem Adligen entehrte und verführte Antoinette-Louise zauberte er gewisslich gern ein "Trostmahl für eine Betrogene", das mit Sellerie, Jakobsmuscheln, Krebsschwänzen, verschiedenen Fischfilets und anregenden Gewürzen allerlei Aphrodisisches bot. Der "Trost" stellte sich auch alsbald ein, die Betrogene vergaß die Schmach und entdeckte, dass ihrer beider Seelen nur glücklich sein können, "wenn sie sich in Übereinstimmung mit unseren Sinnen befinden… Was hindert uns, ein so natürliches Verlangen zu befriedigen? So umarmen wir uns denn!" Und die (liebes)kraftspendende mineralstoffreiche Eiweiß-Legende lebt weiter…
Doch die Krönung jeder Verführung ist wohl der Nachtisch – oder ab und an auch ein Nachbett? Angeblich soll der Papst Gelasius der Erfinder der wohl internationalsten Köstlichkeit – der Crêpes – gewesen sein, als er zu Spende von Eiern, Mehl und Milch aufgerufen hatte, um die Rompilger mit Proviant zu versorgen. Die Spanier nennen sie Tortilla, die Österreicher und Ungarn – Palatschinken, die Russen – Bliny, doch keiner bekommt sie so hauchdünn und luftig gebacken wie die Franzosen. Die wohl berühmteste Variante dieser Leckerei ist das Crêpe Suzette. Angeblich hatte ein Koch in Monte Carlo für den Prinzen Eduard von Wales die Crêpes in Mandarinenbutter gebraten und mit Curaçao getränkt. Diese Köstlichkeit benannte der Prinz galant nach seiner Geliebten: Crêpes Suzette. Und um es mit unvergleichlichen Worten von Franziskaner-Pater Joseph Imbach zu vollenden: "Hätte es sich bei der fraglichen Dame um eine Brunhilde gehandelt, so wäre dem neu kreierten Gericht wohl weniger Berühmtheit beschieden gewesen." Er hat ja so recht, "Suzette" zerfließt einem nicht nur auf Französisch auf der Zunge…
Und dennoch, es gab wohl einst ein Ort, wo die Süße des Lebens und der Liebe sich in märchenhafter Vollkommenheit vereinten, wenn auch manchmal der Nachgeschmack recht bitter schien.
So achtete niemand auf die Cousinen Aimée und Josephine, wie sie sich an einem schwül-heißen Sommertag auf Martinique im Jahre 1775 Hand in Hand davonschlichen, um sich von der alten schwarzen Euphemia die Zukunft vorhersagen zu lassen. Nachdem die Wahrsagerin Josephine eine kurze, unglückliche Ehe und zwei Kinder prophezeit hatte, kam sie zum Höhepunkt: in zweiter Ehe würde sie einen zwar kleinen und äußerlich unscheinbaren Mann, aber einen großen Kriegshelden und späteren Kaiser heiraten, der ihr – wenn auch nur für kurze Zeit – ein Weltreich zu Füßen legen würde. Geheimnisvoller dagegen gestaltete sich der Blick in Aimées Zukunft, denn irgendwo in der Ferne der Zeit sah die Alte keinen Gatten, sondern ein Leben in einem "großen, glänzenden Palast, wo sie als Höchste herrschen" sollte und nur einen einzigen Sohn, "dessen Thronstufen vom Blut seines Vorgängers rot sein würden".
Josephine Tascher de la Pagerie, verwitwete de Beauharnaise und erste Gattin Napoleons I., hatte später oft von diesem Tag erzählt. Ob Aimée Dubucq de Rivery jemals mit einem anderen Manschen darüber gesprochen hatte, kann man nur vermuten. Denn nur wenige Jahre nach diesem denkwürdigen Sommer verschwand die stolze Kreolin hinter Haremsmauern des Sultan Abd ül Hamid I., um fortan den Namen Naksch-i-dil, die "Schöne des Herzens" zu tragen. Mit Witz, Charme und Klugheit, dazu mit außergewöhnlichem politischem und diplomatischem Gespür gesegnet, schaffte sie es in der Tat, Sultana Valideh zu werden und gemeinsam mit ihrem Sohn Mahmud II. reformierend zu herrschen, was ihr in der Historie den Ruf der "Mutter der modernen Türkei" einbrachte. Doch ihr Weg zum Thron ging unweigerlich über Sultan Hamids Bett und den Erfolg ihrer Verführungskunst verdankte sie nicht zuletzt den Kostbarkeiten seiner Zuckerbäcker.
Denn jede Odaliske musste zunächst in der Kunst der Liebe unterwiesen werden und in einigen Disziplinen vollendete Künstlerin werden. Besonders hoch im Kurs standen Tanzen und Musizieren, aber auch das Rezitieren persischer Gedichte und das Erlernen türkischer und arabischer Sprache gehörten dazu. Die orientreisenden Europäerinnen jener Zeit beneideten oft die Frauen des Harems um ihre weibliche Solidarität, um den Ort, wo sie ungestört und unbehelligt von finanziellen Sorgen ihre Weiblichkeit ausleben konnten. Und doch war es ein goldener Käfig, in dem unendlich viele Geschöpfe sich Tag für Tag auf nichts anderes vorbereiteten, als ihrem Herrscher zu Diensten sein zu dürfen, und die Zwischenzeit damit verbrachten, unendliche Stunden ihrer Schönheitspflege zu widmen und mit Opium, Tabak, Kaffee und allerfeinsten Leckereien zu vergessen suchten, wer sie einmal waren und was sie verloren hatten – nämlich ihre Freiheit.
Gleichwohl, der verbotene Zauber des Harems brachte auch unendliche Freuden mit sich. Zu der Zeit, als Aimée de Rivery in den Topkapi-Palast kam, soll es dort mindestens 20 Küchen gegeben haben. Unmengen an Scherbets, Konfekt, Konfitüren, kandierten Früchten und Blüten, Sirup und Honig waren jeden Tag und jede Nacht als Verführungswerkzeug zur Verfügung der Odalisken und des Herrschers gezaubert worden. Und über alldem thronten die Rose und der Granatapfel als die verführerischsten Zutaten der Liebe. So war auch manch eine kandierte Feige, die die Favoritin mit einem sinnlichen Augenaufschlag ihrem Herrn reichte, erfolgreicher gewesen als ein persisches Liebesgedicht. Und da selbst Mohammed wohl eine rechte Naschkatze gewesen sein muss, wo er seinen Gläubigen doch recht ausdrücklich empfahl, Süßigkeiten zu essen und selbst gern mit allerlei Zuckerwerk seine vielen Frauen verwöhnte, herrschte am Hof des Sultans – auch ohne wissenschaftliche Erkenntnis, dass Zucker Glückshormone erzeugt, die so manchen Mangel an Zuwendung und Zärtlichkeit wenn nicht ersetzen, so doch mildern können – "der zuckersüße Wahn der Glückseligkeit".
Doch was lernen wir heute daraus? Drängt sich denn hier nicht gar von allein die Vermutung auf, dass wir moderne Frauen wohl ebenso aus Frust über die absente Beachtung seitens unserer Männer so sehr der sündigen Süße verfallen? Kann dieserhalb das ein oder andere Pfündchen zuviel auf der Hüfte denn wirklich allein nur unsere Schuld sein?
So, wünsche mir süße Träume,
Ihre Sophia Sommer.
Bürgerreporter:in:Sophia Sommer aus Augsburg |
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