… aber eine 100%-ge Sicherheit gibt es nicht…
oder zu Risiken und Nebenwirkungen eines bürgerlichen Lebens....
Es war schon eine recht turbulente Woche, möchte ich sagen: spannend, überraschend und manchmal sogar aufregend. Und abgesehen von all den spektakulären Ereignissen wie Weltmeisterschaften im Dressurreiten, blitzschnelle Verhaftungen zweier Terrorverdächtige, ein leckeres Abendessen mit einem gut aussehenden Anwalt und Einweihung eines nagelneuen iranischen Reaktors zur Schwerwasseraufbereitung, habe ich einen Satz besonders oft in diesen Tagen gehört. Nein, nicht "Du siehst heute besonders bezaubernd aus!", sondern:" Egal was wir auch unternehmen, versuchen oder planen – eine 100%-ge Sicherheit gibt es nicht!"
Na, was für eine Feststellung! Eine geradezu einfache und doch so geniale Erkenntnis des Herrn Beckstein hat es natürlich verdient, fünf mal am Tag über den Äther in der Welt kundgemacht zu werden. Aber muss man dazu erst bayerischer Innenminister werden, um es zu erkennen? Ich für meinen Teil weiß nicht erst seit der Bedrohung durch radikalisierte Randgruppen, dass es in unserer Gesellschaft keine absolute Sicherheit gibt.
Doch selbst wenn man das globale Denken für einen Moment aufgibt und sich in die Niederungen eines scheinbar langweiligen bürgerlichen Lebens begibt, wird einem aufgeschlossenen Menschen schnell klar, dass auch hier sich zahlreiche Gefahren, Bedrohungen und Risiken verbergen. Klar, die meisten von Ihnen würden vermuten, dass die Angst, seinen Arbeitsplatz zu verlieren oder eine Privatinsolvenz anmelden zu müssen, auf der Liste ganz oben steht – doch von der üblichen Existenzparanoia mal abgesehen, verbergen sich in unserem Leben weit mehr unterhaltsamere Sicherheitslücken, die uns jeden Tag daran erinnern: eine 100%-ge Sicherheit gibt es tatsächlich nicht!
Wir Frauen kennen diese Panikattacken mehr, als es uns lieb ist. Da sitzt man vollkommen entspannt und glücklich auf der Couch und schaut sich seichte, realitätsferne Telenovellen wie "Julia – Wege zum Glück" oder "Tessa – ein Leben für die Liebe" an, knabbert genüsslich an einem schnell schrumpfenden Haufen Chips und Schokolade, der bequem in einer Schüssel auf den Knien schaukelt, und lacht sich nur Sekunden zuvor schier kaputt über Blondinen, die mit entsetztem Gesicht auf die Frage "Bist du vielleicht schwanger?" reagieren, als man sich plötzlich dieselbe Frage stellt! Jede normale Frau stürmt anschließend fluchtartig zu ihrem Kalender, Notizbuch oder am besten gleich zur Apotheke und deckt sich schachtelweise mit viel versprechenden Tests zu: zwei sind sicherer als eins, sagt die Werbung; je zwei in einer Schachtel, drei mal zwei sind sechs, sechs sind definitiv sicherer als zwei, sagt sich die Frau. Aber eine 100%-ge Sicherheit gibt es eben nicht.
Wird die Vermutung der baldigen Nachkommenschaft aber erst greifbar real, wenn auch noch nicht wasserdicht wissenschaftlich bewiesen, werden gewöhnlich die in Frage kommenden Väter umgehend informiert: mit einem strahlenden Lächeln, in Erwartung derselben Euphorie und natürlich mit einem besonders leckeren Essen, einem unwiderstehlichen Lächeln und dem berühmten Satz: "Schatz! Ich habe eine Überraschung für dich!" Die frohe Botschaft trifft die einst eisenharten Machos wie ein K.O.-Schlag in der dritten Runde: schluchzend brechen sie vor uns auf den Knien zusammen, ein Schaudern geht durch ihre stattliche, ernste, ansonsten nicht zu erschütternde Gestalten, ihre tränenverhangene Augen blickend flehend zu uns hinauf: "Liebling, kann es wirklich wahr sein? Bist du sicher?" Natürlich sind wir es nicht! Was für eine Frage! Aber versuchen kann man es ja mal… Doch noch während wir uns schön an diese Szene aus einem drittklassigen Liebesfilmdrehbuch halten, kommen uns angesichts der ganz und gar plotsprengenden Reaktion unserer Liebsten die ersten Zweifel. Freut er sich so arg oder ist es sein erster offizieller Nervenzusammenbruch? Man weiß es nicht so genau, denn eine 100%-ge Sicherheit gibt es bei Männern nie…
Was nicht nur unter so brachial unvorhergesehenen Ausnahmeumständen deutlich wird. Wie oft haben wir schon genüsslich all den Sätzen gelauscht, wie "Ich liebe dich!", "Du bist für mich die einzige!", "Niemals könnte ich eine andere Frau so lieben wie dich!". Natürlich nicht! Man kann nicht zwei Frauen auf gleiche Art lieben – wir lieben ja die Männer in unserem Leben auch eher individuell: den einen für seine höfliche Aufmerksamkeit, den anderen für seine handwerkliche Geschicklichkeit, den nächsten für seine anderen, geradezu himmlischen Qualitäten. Und selbst wenn man Tag für Tag ihrer unvergänglichen Zuneigung versichert wird, nie weiß man, ob es auch nach vielen gemeinsamen Jahren, voller gemeisterter Schwierigkeiten und gescheiterter Harmonieversuche, so bleiben wird. Denn eine 100&-ge Sicherheit gibt es nicht, wenn es um Gefühle geht: heute liebt man und morgen vielleicht schon hasst man sich.
Manche Frauen denken, dass der erhoffte Ehestand all die Unsicherheiten auslöschen könnte: wenn ich erstmal verheiratet bin, habe ich ihn, dann bin ich in Sicherheit, mir kann nichts mehr passieren. Denn obwohl sich ja eigentlich gar nichts ändert, er die Mülltüten immer noch jeden morgen im Flur stehen lässt, nach wie vor Überstunden macht und auch nicht viel aufmerksamer den Erlebnisberichten des weiblichen Alltags lauscht, übt die offizielle schriftliche Erklärung vor dem Standesbeamten dennoch einen unwiderstehlichen und gleichzeitig tragischen Reiz auf uns Frauen aus. Und bewirkt ironischerweise bei einem Mann genau das Gegenteil: ich hab sie jetzt geheiratet, sie hat bekommen, was sie schon die ganze Zeit wollte – jetzt ist dann gut mit Werben, Anstrengen, Betören und Verzaubern. Und es ist daher keinesfalls 100%-ig sicher, dass man auch mit dem Menschen alt und grau wird, mit dem man angefangen hatte, sich die ersten grauen Haare zu färben.
Am Ende meines Lebens – so stelle ich es mir gern vor, wenn ich etwas Zeit zum Träumen an einem verregneten Sonntagnachmittag übrig habe – werde ich glücklich und zufrieden auf einer schiefen weißen Bank in meinem Garten sitzen, irgendwo in der Toskana vielleicht, werde dem Flüstern der Bäume und dem Murmeln der Bäche zuhören, den Kindern zu meinen Füßen spannende Geschichten aus meinem Leben erzählen und verkniffen in die späte Abendsonne schauen. Ich werde ruhig dem Ende entgegensehen, das angeblich für jeden Menschen an einem bestimmten Tag kommt, und mir dennoch nicht viele Gedanken darum machen – denn mein ganzes Leben lang musste ich lernen, dass nichts wirklich gewiss ist.
Und so werde ich einfach schmunzelnd argwöhnen, dass es vielleicht auch für das letzte Finale keine 100%-ge Sicherheit gibt.
Auf ewig,
Ihre Sophia Sommer
Bürgerreporter:in:Sophia Sommer aus Augsburg |
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