Ein Tsunami - die Rache der Wale
Auf einer großen Insel im weiten Stillen Ozean lebte das Volk der Uru-Uru. Sie waren Fischer. Wild gab es auf der Insel nicht und außer Kokosnusspalmen und einigen Reisfeldern brachte die Insel nicht viel Essbares hervor. In ihren Auslegerbooten wagten sie sich weit hinaus aufs Meer. Dort warfen sie ihre Netze aus und zogen sie meist prallgefüllt mit Fischen aller Art wieder heraus. Einmal hatte sich im Netz des Häuptlings Uru-Khan ein Walfischbaby verfangen. Sie konnten es nicht an Bord ziehen. Darum schleppten sie es im Netz an den langen weißen Sandstrand und töteten es. Das Fleisch schmeckte köstlich – nicht so wie das der übrigen Fische. Sie konnten nicht genug davon bekommen und so beschlossen sie, sich auf den Walfang zu spezialisieren. Freilich wählten sie dabei nur Jungtiere aus, denn mit einem ausgewachsenen Wal mochten sie sich nicht anlegen. Das ging lange gut. Doch ihre Gier auf Wale wurde immer größer. Zumal sie dabei auch die Jagdlust erfasste. So waren sie fast ständig unterwegs auf Walfang. Schließlich versetzte sie der Walfang in ein solches Jagdfieber, dass sie den Tieren nur um des Tötens Willen nachstellten. Eine Zeit lang nahmen die Wale das so hin. Dann aber als die Jungtiere in den Herden immer weniger wurden. musste etwas geschehen. Walito der Anführer der Herde berief die große Walversammlung nach Australien ein. Dort sollte beraten werden, wie sie dem blutigen Treiben der Inselbewohner begegnen sollten.
„Jetzt ist es zu viel. Wir können nicht mehr zusehen, wenn wir ein Jungtier nach dem Anderen verlieren. Die Inselbewohner müssen weg. Wir werden sie belagern, bis sie freiwillig abziehen, denn wir sind ein friedliebendes Geschlecht. Doch wenn das nichts nützt, werden wir sie vernichten. Ab Übermorgen werden wir sie belagern. Wir werden die Insel umkreisen, so dass sie mit ihren Booten nicht mehr auslaufen können. Wenn sie alle gleichzeitig mit Frauen und Kindern aufbrechen, dann werden wir sie ziehen lassen.“
„Jahooo“, sangen die Wale zustimmend. „Jahoo so soll es geschehen!“
Zwei Tage später. – Uru-Khan wollte mit seinen Männern die Boote für eine neue Jagd klarmachen. Als sie aufs Meer hinausblickten, sahen sie in einen Wald voller Schwanzflossen und Fontänen. „Die Wale sind zu uns gekommen. Die machen uns die Jagd leicht“, frohlockten die Männer. Doch Uru-Khan blickte ernst. „Es sind nur große Tiere. Da kommen wir nicht durch. Die schwimmen dicht an dicht. Was haben die nur vor.“ Die Männer blieben an Land. Tag um Tag spielte sich das gleiche Schauspiel ab. Da sagte Jacundo der Weise: „Wir haben zu viele von ihnen vernichtet. Die wollen dass wir gehen!“ „Ach, du fürchtest dich vor ihnen, Jacundo?“ „Ja ich fürchte mich. Lasst uns gehen!“ Uru-Khan lachte. „Nein, Jacundo wir bleiben. Noch ein paar Tage, dann ziehen die wieder ab, und wir gehen wieder auf Jagd.“ Doch dazu sollte es nicht mehr kommen.
Am nächsten Tag beorderte Walito alle Wale vor den Strand auf dem die Boote der Uru-Uru nutzlos lagen. Ein schweres Unwetter braute sich zusammen. Blitze zuckten und der Donner rollte. Die Inselbewohner hatten sich in ihre Hütten verkrochen. Jetzt, als der Sturm seinen Höhepunkt erreicht hatte, befahl Walito: „Ihr Scharen der Wale, unsere Zeit ist gekommen. Die Menschen haben unsere Drohung nicht ernst genommen. Jetzt sollen sie unsere Vergeltung spüren. Unsere Rache wird fürchterlich sein. Erhebt eure mächtigen Schwanzflossen und schlagt auf das Meer, dass es erbebt.“
Die Wale taten, wie Walito ihnen befahl. Sie peitschten das Meer so sehr, dass es schäumte. Da erhob sich eine mächtige Welle. Sie lief auf das Land zu und der Wind verstärkte sie. Jacundo war vor die Hütte getreten. Er blickte hinaus aufs Meer, sah die riesige Welle kommen. Er wandte sich den Hütten zu und rief. „Wir hätten gehen sollen. Jetzt ist es zu spät. Die Wale vernichten uns.“ Sein Ruf wurde in den Hütten nicht mehr vernommen. Denn die riesige Welle brach über die Insel herein. Sie vernichtete alles, was sich ihr entgegenstellte. Sie zerstörte die Boote und die Hütten und riss die Menschen ins Meer – den Fischen zum Fraß. Als die goldene Sonne sich am Horizont erhob, existierte die Insel nicht mehr. Das Meer hatte sie verschlungen.
Bürgerreporter:in:Ullrich Rockahr aus Wunstorf |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.