Toter Wald im Nationalpark Harz ist kein Grund zur Sorge
Wer in letzter Zeit zum Wandern im Harz unterwegs war, der hat vielleicht seinen Augen kaum getraut. Tote Wälder, soweit das Auge reicht. Bizarre, kahle und graue Fichtenstämme recken sich dem Himmel entgegen. Andere liegen Kreuz und quer am Waldboden durcheinander. Mancherorts kaum ein Durchkommen. Geisterwälder! Eigentlich, unserem Verständnis von Wald nach, kein schöner Anblick. Doch das ist Ansichtssache, denn selbst das Tote hat seinen Reiz, wirkt es doch interessant und irgendwie irreal. Nicht wie von dieser Welt. Aber natürlich ist es Realität, und die lässt die meisten Menschen gruseln, denkt man doch sofort an den Klimawandel, der sämtliches Leben auf unserem Planeten bedroht. Und tatsächlich ist es die Klimaveränderung, die damit verbundenen höheren Temperaturen, die ausbleibenden Niederschläge und die Zunahme von Stickoxiden in der Atmosphäre, die dazu beitragen. Zusätzlich machen dadurch häufiger auftretende Stürme - wie im vorigen Jahr Friederike - den Wäldern zu schaffen. Und für einen großen Beitrag zum Waldsterben sorgt natürlich der Borkenkäfer, auch Buchdrucker genannt. Unter der Rinde sowieso schon geschwächter Bäume nistet er sich ein und frisst sich durch das Holz, worin er seine typischen Spuren hinterlässt. Damit unterbindet er die Nährstoffversorgung des Baumes. Normalerweise kann sich dieser mit Harz dagegen wehren. Ist er aber geschwächt, versagen die Abwehrkräfte. Er stirbt ab.
Die privaten Besitzer eines Wirtschaftswaldes und auch die Förster der Landesforste versetzt ein solches Szenario in Angst und Schrecken, sind sie doch auf die Einnahmen aus dem Holzverkauf angewiesen. Der Wald muss sich rechnen, muss Ertrag bringen. Doch durch den Bruch von Stürmen und vor allem das Absterben durch den Klimawandel, ist zurzeit so viel Holz auf dem Markt, dass es weit unter Wert verkauft werden muss. Der gesamte Holzmarkt ist zusammengebrochen. Selbst zum Herausholen aus den Wäldern, geschweige denn zur Wiederaufforstung, ist oft kein Geld mehr da. Die Forstwirtschaft ist verzweifelt.
Anders hingegen ist es im Nationalpark Harz. Dort ist man nicht auf den wirtschaftlichen Ertrag angewiesen. Dort kann man die Natur natürlich sein lassen. Der Wald darf und soll so wachsen, wie er es möchte, wie er es kann. So wird auch nicht wieder aufgeforstet und so wird auch nicht gegen den Borkenkäfer vorgegangen. Schon gar nicht, wie in vielen Wirtschaftswäldern, mit Pestiziden, die natürlich nicht nur den schädlichen Käfer töten, sondern alle anderen Insekten genauso. Der Wald soll sich von allein regenerieren, das ist die Devise. Und wie er das ohne die Einwirkung des Menschen tut, das ist schon sehr beeindruckend. Überall zwischen dem Totholz, dadurch oft gut geschützt vor dem Verbiss durch Hirsche und Rehe, sprießt frisches, neues Grün. Ein neuer Wald wächst heran. Vermutlich wird er noch nicht ganz so robust sein, da alte Bäume, die jetzt fehlen, durch ein unterirdisches Netzwerk die jungen mit Nährstoffen (Zucker) zusätzlich versorgen. Doch spätestens die nächste Baumgeneration wird dann widerstandfähiger sein. Hier wird eben nicht in Jahrzehnten, sondern in Jahrhunderten gerechnet. Die Forstwirtschaft braucht einen langen Atem.
Zusätzlich bietet der tote Wald, der alles andere als tot ist, einen neuen Lebensraum für viele Arten. Für den Luchs, der darin ungestört, geschützt durch den Bruch, seine Jungen aufziehen kann. Für Vögel, die auch am Boden brüten können und natürlich für Insekten. Ein großer Teil der Insekten ist auf Totholz angewiesen und lebt davon. Sie helfen, das Holz zu zerkleinern und zu Humus zu verarbeiten, ebenso wie Pilze, Flechten und Ameisen. Ein wertvoller Nährstoff für die folgenden Baumgenerationen entsteht.
Wer Interesse daran hat und sich einmal ein Bild von dieser eindrucksvollen Natur der toten und der neu entstehenden Wälder machen möchte, dem empfehle ich zu einer Wanderung den Ausgangspunkt Oderbrück an der Bundesstraße 4, die von Bad Harzburg über Torfhaus nach Braunlage führt. Dort, nahe des schönen Oderteiches, den man dann auch gleich besuchen kann, kann sogar kostenfrei geparkt werden. Es bietet sich z. B. eine 12 Kilometer lange Rundwanderung über den Achtermann und den Dreieckigen Pfahl an. Wer möchte, plant noch eine Brockenbesteigung mit ein. Dann kommt man auf ca. 20 Kilometer. Wir haben uns an einem schönen Oktobertag für die zweite Variante entschieden.
Zunächst soll uns der Weg also zum Achtermann führen, einer Felskuppe aus besonders hartem und widerstandsfähigem Hornfels, die sich über die Baumwipfel erhebt und damit einen guten Ausblick über die Situation des Waldes bietet. Allein schon der Weg dorthin ist abenteuerlich. Zum Teil ist es ein steiniger und felsiger Hohlweg, in dem auch das Wasser herunterläuft. Aber man kann auf einen kleinen Trampelpfad in den Wald ausweichen, um keine nassen Füße zu bekommen. Festes Schuhwerk ist aber trotzdem Voraussetzung für diese Tour.
Und schon nach kurzer Zeit ist Staunen angesagt. Staunen über einen toten Wald, der sich zu allen Seiten ausbreitet. Doch dieser ist nicht nur tot. War der Boden des Nadelwaldes bisher hauptsächlich von einem dicken, braunen Nadelteppich bedeckt, in manchen Bereichen oft einer Ökowüste gleich, so sprießt und wächst es jetzt dort zwischen den kahlen stehenden und umgestürzten Baumruinen überall. Blaubeerkraut, Gräser, Moose und Flechten breiten sich aus. Ein neuer Lebensraum ist entstanden. Und überall stehen in unregelmäßigen Abständen mehr oder weniger kleine Fichten, die sich von selbst ausgesamt haben. Aus eigener Kraft entsteht ein neuer Wald. Allerdings ist es kein Mischwald wie in tieferen Lagen, denn ab etwa 800 Metern Höhe wachsen keine Laubbäume mehr, ist es ihnen dort oben doch zu kalt.
Und dann die nächste Überraschung. Schon von weitem können wir durch den kahlen Wald den Achtermann ausmachen. Das gab es früher nicht. Er war einst von dichten Fichtenbeständen umgeben, so dass man ihn erst sehen konnte, wenn man, vorbei an der einmal berühmten Kamelfichte, die es längst schon nicht mehr gibt, aus dem Wald heraustrat und über felsigen Untergrund mit dem Gipfelaufstieg begonnen hatte.
Von oben ist die Aussicht eindrucksvoll. Der Blick reicht über die Bergwelt des Harzes weit in die Runde. Natürlich zum Brocken hin und auch zum Wurmberg, dessen Haupt, nachdem die marode gewordene Skisprungschanze 2014 abgerissen werden musste, seit diesem Jahr ein neuer Aussichtsturm steht. Nun hat Niedersachsen mit genau 1000 Metern seinen höchsten begehbaren Punkt wieder. Das ist schön, doch nicht davon sind wir beeindruckt, sondern von den toten, grauen und braunen Wäldern, die sich großflächig in alle Richtungen ausbreiten. Die grauen Bereiche zeigen die nur nackten Stämme an, die braunen die Bäume, die im Absterben begriffen sind und die noch ihr Nadelkleid tragen. Zwar gibt es auch noch große Grünbereiche. Aber vermutlich werden auch demnächst dort durch den Borkenkäfer die Nadeln rieseln.
Weiter führt uns der Weg durch tote Wälder bergab. Und dabei ergeben sich, was man von früher nicht kannte, da man immer im dichten Fichtengrün unterwegs war und nur ab und zu in die Weite gucken konnte, die schönsten Ausblicke in die Ferne. So hat dieser tote Wald, was zynisch klingen mag, für das Auge auch seinen Vorteil. Und wenn man weiß, dass er sich selbst erneuert, dann sieht man das sogar nicht negativ.
Über den Dreieckigen Pfahl, einer alten Landesgrenze und am Bodesprung vorbei, geht es danach, wenn man denn auf den Brocken will, den steilen Königsberg hinauf. Dort trifft man auf die Gleise der Brockenbahn, die tagtäglich eine Menge Touristen auf den Gipfel bringt. Und ab und zu überholt sie einen fauchend und schnaufend und graue Dampfwolken ausstoßend, führt doch der Weiterweg, der Goetheweg, der von Torfhaus kommt, parallel zu den Bahngleisen entlang.
Dort oben ab 900 bis 1000 Metern macht der lichte Wald noch einen guten Eindruck. Mag der Borkenkäfer die extremen Wetterlagen in der Höhe vielleicht nicht, oder wird auch hier irgendwann das Waldsterben einsetzen? Aber der Brockenwald scheint auch von besonders robuster Natur zu sein, wurde er doch nicht, wie in tieferen Lagen, von Menschen beeinflusst. Zu DDR-Zeiten ist er so gut wie unberührt geblieben, da er im militärischen Sperrgebiet lag. Ein ganz natürlich Wald ist deswegen, aber auch des felsigen Untergrundes wegen, in dem Forstwirtschaft kaum möglich ist, erhalten geblieben. Und so ist es durch den Schutz des Waldes bis heute.
Nach Durchquerung des Brockenmoores, das eine Mächtigkeit von bis zu sechs Metern aufweist und dessen Torfschichten man durch den Einschnitt der Bahnstrecke gut sehen kann, erreicht man die Brockenchaussee, die von Schierke heraufkommt. Noch ein steiler Anstieg, dann hat man es geschafft und steht schließlich am höchsten Punkt weit und breit in 1141 Metern Höhe.
Und natürlich hat man auch von dort oben einen guten Blick auf die toten Wälder, besonders die in Richtung Bad Harzburg, Ilsenburg und Wernigerode. Auch hier weite graue und braune Flächen überall. Ins Harzvorland geht der Blick an diesem für uns sonnigen Tag allerdings nicht, ist doch weiter unten alles von einer dichten Wolkenschicht bedeckt. Aber das vermittelt das schöne Gefühl, hoch über den Wolken zu sein.
Am Nachmittag wieder in Oderbrück zurück, machen wir noch einen kleinen Abstecher zum Oderteich. Vor einem Jahr war er durch den extrem trockenen Sommer bis auf einige Pfützen fast ausgetrocknet. Nun ist er wieder gut gefüllt. Auch bei den anderen Talsperren des Harzes hat sich die Lage einigermaßen entspannt, wenn auch noch einiges an der normalen Füllmenge fehlt. Im Durchschnitt sind sie jetzt zu 48 Prozent gefüllt, normal sind es zu dieser Jahreszeit 62 Prozent. Und auch hier an den Ufern sehen wir auf den abgestorbenen Wald.
Doch betroffen sind wir von diesem Szenario der toten Wälder nun nicht mehr. Wir haben mit eigenen Augen gesehen, wie sich der Wald aus sich selbst heraus, ohne jedes menschliches Zutun, erneuert. Auch in welch rasanten Tempo er wächst, sind doch die Fichten schnellwachsende Bäume, konnten wir bei diversen Wanderungen in den letzten Jahren erkennen. Ein neuer, robusterer Wald wird heranwachsen. Und das lässt uns im Nationalpark Harz positiv in die Zukunft blicken.
Siehe auch: - Der Harz - das nördlichste Mittelgebirge von seiner schönsten Seite
- Stirbt der deutsche Wald
Bürgerreporter:in:Kurt Wolter aus Hannover-Bemerode-Kirchrode-Wülferode |
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