Häusergefängnis ...

Gesellschaft

Seit vielen Jahren lebt Selim schon fern seiner Heimat, in einem fremden Land. Nichts war ihm nach der Flucht aus dem Land seiner Väter geblieben. Nur sein nacktes Leben, und das seiner Familie hatte er vor der blinden Wut der anderen “Kultur“ retten können. Der Jahrhunderte währende Krieg in den Köpfen der Menschen dort, war wieder einmal zu einem Krieg der Hände geworden. Blut überzog das Grün der Bäume, und Feuer zerstörte die Häuser in den Städten und Dörfern. Die Flüsse und Seen bedeckte schwarze Asche. Nicht einmal die Flut der Tränen ungezählter Opfer vermochte diese Asche fortzuspülen. Auf der Flucht hatte er ein friedfertiges Land zu finden gehofft, und am Ende auch geglaubt, es gefunden zu haben. Die Familie bekam ein Dach über dem Kopf, das nötigste gegen Hunger und Durst kam ins Haus. Die Kinder konnten endlich wieder in die Schule gehen.
Ein kleines Glücksgefühl wuchs in Selims Herz heran. Doch als die ersten Blätter an der zarten Pflanze zu sprießen begannen, spürte er plötzlich ganz viele Messer, die die jungen Triebe wieder abschnitten. Nur den kahlen Stamm der Almosen, den ließ man stehen. Kaum war er froh, daß ihm jemand Arbeit anbot, war schon ein anderer zur Stelle, der ihm sagte: Du darfst nicht arbeiten. Kaum hatten die Kinder mit gutem Erfolg die Schule beendet, und freuten sich auf eine Berufsausbildung, hieß es barsch: Nix da – ihr müßt dahin zurück, wo ihr hergekommen seid. Wohin, um alles in der Welt, sollten sie denn zurück? Zurück in ein Land, in dem man ihr Volk mit Brandschatzung, mit Folter und mit Tod bedrohte? In dem man die dagebliebenen fast ausgerottet hatte?
Zurück in ein Land, dessen Sprache sie nicht beherrschten - ein Land, in dem sie doppelt unwillkommen waren? Zurück aus der Fremde in die Fremde – ohne Eltern und Geschwister, ohne einen Menschen dort zu kennen? Selim verstand die Welt nicht mehr.
Ein Satz, den er einmal leise vor sich hinsagte, als er sich allein und unbeobachtet glaubte, hat mir sehr zu denken gegeben: „Warum ich nicht tot – ich leben hier doch nur in einem Häusergefängnis.“
Ich wollte ihm und seiner Familie an diesem Tage eigentlich ein frohes Osterfest wünschen – ich konnte es nicht.

© ee 2009

Bürgerreporter:in:

Ewald Eden aus Wilhelmshaven

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