Johanna Lürig: Korruption gehört in Kenia zum Alltag

Johanna Lürig: Fotos angucken und lesen mit den Kindern. | Foto: Johanna Lürig
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„Von hier aus sieht Afrika für viele Menschen oft überall gleich aus. Es wird immer als eine Sache behandelt. Dass es auf dem riesigen Kontinent Afrika 53 Länder, circa 2000 eigenständige Sprachen und noch mehr ethnische Gruppen gibt, wissen nicht viele. Trotzdem gibt es aber unglaublich viele Unterschiede, und ich könnte wahrscheinlich noch Seiten füllen, wenn ich alle aufschreiben würde, die mir aufgefallen sind“, schreibt die 21-jährige Wennigserin Johanna Lürig. Nach dem Abitur hat sie ein Jahr lang in Kenia behinderte Kinder betreut. Im myheimat-Interview berichtet sie von den Erfahrungen, die sie dort gesammelt hat.

Frau Lürig, nach dem Abitur haben Sie ein Jahr lang in Kenia behinderte Kinder betreut. Wie kam es dazu?

Afrika hat mich schon immer fasziniert. Dieser riesige Kontinent mit seinen unglaublich vielen Sprachen und Kulturen war mir sehr fern, obwohl ich mich viel mit ihm – besonders mit dem subsaharischen Teil – beschäftigt hatte. Diese völlig andere Welt reizte mich.
Außerdem wollte ich nach dem Abi einfach mal aus meiner kleinen und behüteten Welt zu Hause ausbrechen. Vor allem aber wollte ich mir ein anderes Bild von Kenia machen als das, was uns die Medien geben. Wenn bei uns über Afrika berichtet wird, dann sind das immer nur die negativen Dinge, wie man gerade wieder bei der Berichterstattung aus der Elfenbeinküste sehen konnte. Wieso wird nicht auch von den vielen schönen Dingen berichtet, die in Afrika geschehen? Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass Afrika nur Krieg und Kriminalität sein soll.
Dass ich meinen Freiwilligendienst in einer sozialen Einrichtung und speziell mit behinderten Kindern verbringen wollte, stand für mich schon länger fest. 2007 habe ich für drei Monate ein Sozialpraktikum in einer Einrichtung für geistig behinderte Menschen in Kanada gemacht. Mein Bruder hat das Downsyndrom, sodass ich schon immer mit behinderten Menschen zu tun hatte. Und da meine Erfahrungen auf diesem Gebiet durchweg positiv waren, war es für mich naheliegend, auch in meinem Freiwilligendienst mit behinderten Menschen zu arbeiten.
Wie sind Sie in Kenia aufgenommen worden? Und wo haben Sie gewohnt?
In Kenia bin ich immer, egal wo ich hinkam sehr positiv aufgenommen worden. Die Menschen haben eine unglaublich offene und ehrlich herzliche Art. Ich hatte immer das Gefühl willkommen zu sein. Vor allem die Kinder im Heim und die Hausmutter haben mir das Einleben wirklich leicht gemacht.
Gewohnt habe ich zusammen mit meiner Projektpartnerin in dem Heim, in dem wir auch gearbeitet haben. Das war anfangs nicht leicht. Erstens gingen die Wände nicht bis an die Decke und waren aus Sperrholz, sodass man alles hörte was im Heim geschah. Dann war unser Zimmer kaum mehr als zehn Quadratameter groß – und meine Projektpartnerin und ich kannten uns nicht, bevor wir nach Kenia kamen. Wir hatten sehr wenig Privatsphäre, und mussten uns beide erst daran gewöhnen.
Im Nachhinein kann ich aber sagen, dass genau dadurch, dass ich mit den Kindern aufgestanden, abends mit ihnen ins Bett gegangen bin und sie einfach ständig um mich herum hatte, meine Beziehungen zu ihnen sehr intensiv geworden ist.

Wie sind Sie in Kenia aufgenommen worden? Und wo haben Sie gewohnt?

In Kenia bin ich immer, egal wo ich hinkam sehr positiv aufgenommen worden. Die Menschen haben eine unglaublich offene und ehrlich herzliche Art. Ich hatte immer das Gefühl willkommen zu sein. Vor allem die Kinder im Heim und die Hausmutter haben mir das Einleben wirklich leicht gemacht. Gewohnt habe ich zusammen mit meiner Projektpartnerin in dem Heim, in dem wir auch gearbeitet haben. Das war anfangs nicht leicht. Die Wände reichten nicht bis an die Decke und waren aus Sperrholz, sodass man alles hörte was im Heim geschah. Dann war unser Zimmer kaum mehr als zehn Quadratameter groß – und meine Projektpartnerin und ich hatten sehr wenig Privatsphäre, und mussten uns beide erst daran gewöhnen. Im Nachhinein kann ich aber sagen, dass genau dadurch, dass ich mit den Kindern aufgestanden, abends mit ihnen ins Bett gegangen bin und sie einfach ständig um mich herum hatte, meine Beziehungen zu ihnen sehr intensiv geworden sind.

Wie sah der typische Alltag für Sie aus?

Morgens um sechs Uhr, wenn die Sonne aufging und die Kirchturmglocke schlug, ging im Heim die schwere Eisentür mit einem Knall auf. Dann sind meine Projektpartnerin und ich zusammen mit den Kindern aufgestanden, haben Frühstück gemacht, den Kindern beim Anziehen geholfen und geschaut, dass alle rechtzeitig in die Schule kamen.
Wenn die Kinder in der Schule waren, haben wir geputzt, gewaschen, das Mittagessen vorbereitet, in der Trockenzeit den Gemüsegarten bewässert – oder auch mal Dinge für uns getan, wie Tagebuch geschrieben oder gelesen. Häufig sind wir an den Tagen, an denen Markt war, in die nächstgrößere Stadt gefahren, um Lebensmittel einzukaufen.
Wenn gegen Mittag die ersten Kinder wieder aus der Schule kamen, haben wir meistens mit ihnen gespielt, gebastelt und gesungen, oft auch mit Gitarre. Ab und zu haben wir Lagerfeuer vorbereitet, an dem wir dann abends saßen.
Am frühen Abend haben wir angefangen zu kochen. Das war meistens eine große Gemeinschaftsaktivität, bei der man zusammen saß, Gemüse geschnippelt, über dem Feuer gekocht und sich dabei unterhalten hat. Nach dem Kochen wurde eine Stunde Hausaufgaben gemacht, wobei wir den Kindern geholfen haben, wenn es Probleme gab.
Dann wurde gegessen und nach dem Essen sind die kleinsten Kinder dann auch schon ins Bett und die großen haben noch etwas für die Schule gelernt.
Wenn alles weggeräumt und die Reste vom Abendbrot aufgeräumt waren, hatten wir Zeit für uns. Dann haben wir zum Beispiel gelesen oder noch gequatscht. Das war meistens so gegen 22 Uhr.
Was außerdem zu unseren Aufgaben gehörte waren regelmäßige Krankenhausbesuche mit den Kindern. Entweder weil sie sich verletzt hatten, operiert wurden, oder operiert werden sollten.
Ich bin persönlich sehr stolz darauf, dass wir so viel Vertrauen zu der Mum aufbauen konnten, dass sie uns die Kinder anvertraut hat und wir mit ihnen alleine ins Krankenhaus fahren durften. Das war für mich ein sehr großer Vertrauensbeweis.

Der Kontrast zum Schulalltag in Deutschland kann kaum größer sein, oder?

Dadurch, dass in Kenia vor allem in den ländlichen Schulen die technischen Möglichkeiten sehr begrenzt und die Klassen meistens überfüllt sind, findet dort hauptsächlich Frontalunterricht statt. Das ist eintönig und die Schüler lernen nicht so kreativ zu sein, wie ich es aus meiner Schulzeit kenne. Wer aber glaubt, dass in kenianischen Schulen nicht anständig unterrichtet wird und die Schüler nichts lernen, hat sich getäuscht. Ich war erstaunt, als ich gesehen habe, was schon die Achtklässler in ihren Abschlussprüfungen leisten müssen. Kenianische Schüler lernen, gerade was Naturwissenschaft, Mathe und Sprachen angeht, genau das, was deutsche Schüler auch lernen. Wenn sie ihnen nicht sogar voraus sind.
Der größte Kontrast zu unserem Schulalltag ist aber wohl, dass die meisten Lehrer dort noch schlagen. Offiziell ist es verboten, trotzdem wird es häufig praktiziert. Anfangs konnte ich damit gar nicht umgehen. Bis ich mitbekommen habe, dass es von den Eltern und auch von den Schülern selbst eingefordert wird. Es ist normal, und gehört zu den dort üblichen Erziehungsmethoden. Deswegen ist es auch schwierig daran etwas zu ändern, auch, wenn wir es durch Gespräche häufig versucht haben.

Kenia ist den Deutschen hauptsächlich bekannt, weil Prinz William Kate dort - wegen der Schönheit der Natur - den Heiratsantrag gemacht hat. Die Kehrseite ist die Korruption und die Schere zwischen Arm und Reich. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?

Natürlich ist Kenia landschaftlich unglaublich schön und vielfältig. Auch mich hat die Schönheit der Natur umgehauen. Und wenn ich davon spreche, dass ich mich in Kenia verliebt habe, dann nicht nur, weil ich die Menschen und ihre Lebensweise unglaublich zu schätzen und zu lieben gelernt habe, sondern unter anderem auch deswegen, weil die Natur dort einfach wahnsinnig schön ist. Aber natürlich gibt es die andere Seite in Kenia. Sowohl die Korruption, als auch die große Schere zwischen Arm und Reich sind Dinge, die man nicht schön reden kann und die einem auf jeden Fall begegnen werden, wenn man sich vor Ort nicht in Hotels verschanzt, sondern auf die Straße geht. Korruption ist mir, vor allem in Form von Bestechung, in Kenia sehr häufig begegnet. Es gehört zum Alltag. Einige sagen, dass ohne Bestechung in Kenia nichts mehr laufen würde. Ich sehe das anders. Es muss gehen. Vor allem weil es so viele Menschen gibt, die darunter leiden. Korruption treibt die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander. Dadurch driftet auch die gesamte Gesellschaft auseinander und eine Folge davon ist zum Beispiel eine immer höher werdende Kriminalitätsrate.

Wie hat sich nach Ihrem Aufenthalt in Kenia Ihr Denken verändert?

Ich nehme meinen Alltag anders wahr. Ich gehe mit anderen Augen zum Beispiel durch Kaufhäuser, und kann es oft nicht fassen, wie dieses Überangebot, das wir in Deutschland haben, als so selbstverständlich hingenommen wird. Wenn ich höre, wie vor allem Mädchen „Shoppen“ als ihr Hobby bezeichnen, dann frage ich mich immer, in was für einer Welt ich lebe, in der – wenn man so will – Kapitalismus als Hobby gilt. Ich mache mir mehr Gedanken darüber, wo die Dinge herkommen, die ich konsumiere und versuche, insgesamt nachhaltiger einzukaufen und im Alltag zu leben.

Wie ist es, wenn man so lange im Ausland lebt? Was haben Sie an und in Deutschland vermisst?

Was ich wirklich vermisst habe, waren meine Familie und meine Freunde. Und nach einem halben Jahr ab und zu Vollkornbrot. Obwohl ich sehr einfach gelebt habe, was auch hieß, dass wir über Feuer gekocht haben, habe ich nichts an dem Komfort vermisst, den ich hier in Deutschland habe. Im Gegenteil: Ich fand es gut mal zu merken, dass ich auch ohne Internet und Supermarkt vor der Nase sehr gut leben kann, nicht abhängig davon bin. Dass es mir häufig sogar besser ohne diese Dinge ging, da es gar nicht die Möglichkeit gab sich von den Massenmedien so fangen zu lassen, wie es hier automatisch passiert.

Vermissen Sie Kenia jetzt?

Ich vermisse Kenia jeden Tag! Vor allem „meine Kinder“ und meine Mum (die Hausmutter im Heim). Kenia ist mein zweites zuhause geworden und deswegen habe ich auch Heimweh.
Seitdem ich allerdings beschlossen habe, im Sommer wieder hinzufliegen und meine große Familie und meine Freunde dort zu besuchen, geht es mir besser. Jetzt weiß ich, dass ich bald wieder nachhause kommen werde und kann mich darauf freuen.

Im Februar waren Sie für einen Monat in Togo. Welche Eindrücke in das Leben dort haben Sie gewonnen. Wie unterscheidet es sich vom Leben in Kenia?

Ich hatte das Glück, mit einem Freund zu reisen, der ein Jahr in Togo gelebt hat, dort eine Familie und viele Freunde hat, sich bestens auskennt und die Sprache perfekt beherrscht. So hatte ich die Möglichkeit das Land auch von innen zu sehen und nicht nur von außen. Das Gleiche galt für Burkina Faso, wo wir noch für eine Woche Freunde in Ouagadougou besucht haben.
Insgesamt würde ich sagen, dass die Uhren in Togo noch ein Stückchen langsamer ticken als in Kenia. Es gibt ein schönes Sprichwort dazu: “Die Europäer haben Uhren, die Afrikander haben Zeit“. Das trifft in einem Satz ziemlich genau das andere Zeitempfinden.
Vor allem in Kenias Hauptstadt Nairobi, die von Menschen und Fahrzeugen überfüllt ist, und von westlichen Einflüssen überrollt wird, ist es hektischer als in Togo.
Was mich in Togo allerdings sehr beeindruckt hat war, dass es kaum Waisen-, oder Straßenkinder und so gut wie keine Slums gibt. Zumindest keine Slums, wie man sie aus Kenia und speziell aus Nairobi kennt. Togo mag nach Einkommensindex eines der ärmsten Länder der Welt sein, aber irgendwie funktioniert die Gesellschaft dort noch so, dass wenig Kinder auf der Straße landen müssen, die zum Beispiel ihre Eltern verloren haben. Sie werden häufig von Verwandten, oder Freunden aufgenommen. Die Menschen achten mehr aufeinander und greifen sich gegebenenfalls unter die Arme.
Dadurch, dass es in Togo keine so große Schere zwischen Arm und Reich gibt, und niemand wirklich auf der Straße leben, bzw. verhungern muss, besteht auch kein großer Hass untereinander in der Gesellschaft. Somit gibt es nicht viel Kriminalität und man ist fast überall auch nachts auf der Straße sicher.
Von hier sieht Afrika für viele Menschen oft überall gleich aus. Es wird immer als eine Sache behandelt. Dass es auf dem riesigen Kontinent Afrika 53 Länder, ca. 2000 eigenständige Sprachen und noch mehr Ethnische Gruppen gibt, wissen nicht viele. Trotzdem gibt es aber unglaublich viele Unterschiede und ich könnte wahrscheinlich noch Seiten füllen, wenn ich alle aufschreiben würde, die mir aufgefallen sind.

Im Herbst wollen Sie anfangen zu studieren - haben Ihre Afrika-Aufenthalte Sie in Ihrer Fächerwahl beeinflusst?

Durchaus. Noch während ich in Kenia war, wollte ich Musik studieren. Als ich im Nachhinein mein Jahr noch mal reflektiert habe, habe ich langsam festgestellt, dass mich inhaltlich ein Studium wie Sozial-, Politikwissenschaften, oder Soziologie viel mehr interessiert. Ich mache gerne Musik, aber ich analysiere sie nicht gerne. Leider steht das inzwischen in einem Schulmusikstudium im Vordergrund. Trotzdem kann ich mir aber vorstellen, später noch Musiktherapie zu studieren und praktisch und im sozialen Bereich zum Beispiel mit behinderten Menschen zu arbeiten.

Wie sehen Sie Ihre Zukunft: Können Sie sich vorstellen, irgendwann in Afrika zu leben?

Ich kann mir momentan sehr gut vorstellen, in Afrika zu leben. Ob ich allerdings mein ganzes Leben zum Beispiel in Kenia verbringen möchte, weiß ich nicht. Wenn ich hier keine Menschen hätte, die ich liebe, dann vielleicht. Aber der Gedanke daran meiner Familie und meinen Freunden für eine unbestimmte Zeit tschüss zu sagen, würde mich momentan wohl davon abhalten, Deutschland für immer zu verlassen.
Da ich allerdings jetzt noch überhaupt nicht weiß, wo mich mein Studium hinführen wird, weder in Hinblick auf meine endgültige Ausbildung, noch auf meine emotionale Entwicklung, kann ich das momentan nicht für die Zukunft sagen, sondern nur für mein jetziges Gefühl.

Zu Ihrem Heimatort: Was macht Wennigsen lebenswert, was könnte besser werden?

Wennigsen ist für mich der perfekte Ort zum Wohnen. Wenn man nicht unbedingt ein Stadtmensch ist, aber eine Großstadt in der Nähe braucht. Wennigsen gibt einem durch seine Größe und sein Ortsbild durchaus ein ländliches Gefühl. Durch den Deister hat man in Wennigsen die Nähe zur Natur. Trotzdem ist Hannover durch eine super Verkehrsanbindung mit Bus und Bahn sehr schnell zu erreichen. Vor allem aber mag ich an Wennigsen, dass es insgesamt sehr alternativ ist. Das merke ich immer, wenn ich mal wieder in der Umgebung unterwegs bin. Und das liegt nicht allein an den Menschen, die in Wennigsen wohnen. Viele Läden und auch ein Großteil der medizinischen Versorgung bietet Alternativen. In so einer Gemeinschaft fühle ich mich sehr wohl und bin deshalb froh, in Wennigsen zu wohnen und dort aufgewachsen zu sein.

myheimat-Team:

Annika Kamissek aus Bad Münder am Deister

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