Mein bester Freund, mein Vertrauter, mein Beichtvater!
Ich habe ihn verraten, vernichtet, ausgelöscht.
Viele, viele Jahre meines Lebens waren wir unzertrennlich. Er hat zugehört, verständnisvoll, immer bereit. Ich konnte heulen, schimpfen, fluchen. Alles und Jeden vor ihm herunterputzen.
Meine geheimsten und intimsten Gedanken ihm anvertrauen.
Ich konnte ihn als Zeugen aufrufen, wenn mir jemand nicht glauben wollte, wann ich wo gewesen bin.
Er kannte mich in- und auswendig. Dieser Freund,
mein Tagebuch.
Eines Tages kam mir der Gedanke, wie peinlich es doch ist, wenn später einer meiner Nachfahren, Kinder oder Enkel, mein Geschreibsel findet. Schließlich bin ich kein JEMAND, dessen Tagebuch zu lesen sich lohnt. (Man denke an die Biografien, Ch. Wulff, Boris Becker oder ähnliche – kleiner Scherz).
Nein, aufgeschrieben habe ich alles darin für mich ganz allein. Ein Rückblick auf Erlebtes, Gefühle aus der Teenagerzeit bis heute. Und dieses Aufschreiben hat mir über vieles hinweggeholfen, mich erleichert und aufgebaut.
Jetzt ist es weg. Und jetzt tut es mir leid.
Es waren auch riesige Lücken darin vorhanden. Es lag auch ein paar Jahre unbeachtet in der Schublade. Psychiater in der Schublade. Dann, in dieser Zeit, brauchte ich eben niemanden, dem ich etwas vorjammern konnte.
Für Rolf Haubl vom Frankfurter Sigmund-Freud-Institut gehört Tagebuch schreiben zu den „psychischen Strategien, kritische Lebensereignisse zu bewältigen.“ Weiß ich, weil ich mal an einem Kurs teilnehmen wollte, in dem man lernen konnte, sich seine Gefühle und Gedanken von der Seele zu schreiben.
Aber warum sollte ich das lernen, einfach drauflos schreiben, nur für mich, reicht ja aus.
Mit der heutigen Technik ist es ganz einfach. Ich schreibe auf und lösche wieder.
Ja, so mache ich das.
Bürgerreporter:in:Christel Löhle aus Wedemark |
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