Agrarfabriken boomen – der Widerstand wächst
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Bauernhöfe statt Agrarfabriken
Agrarfabriken boomen – der Widerstand wächst
Positionspapier – im Koordinationsteam abgestimmter Entwurf
Wer wir sind:
In vielen Regionen Deutschlands werden derzeit neue, immer größere Tierhaltungs-Anlagen gebaut oder bestehende Anlagen erweitert. Teils findet dies in bereits hoch belasteten Intensiv-Regionen statt, auf Standorten der ehemaligen DDR-Agrarindustrie und in neuen „Ausweichregionen“. Die Tendenz geht dabei zu rasant steigenden Tierkonzentrationen in immer weniger agrarindustriellen Anlagen. Agrarfabriken mit Größenordnungen von rund 90 000 Schweinen, 800 000 Legehennen und 500 0000 Masthähnchen befinden sich in Genehmigungsverfahren oder bereits in Betrieb. Mit Hilfe der EU, der Bundes- und Landesregierungen sowie Verbänden der Agrar- und Ernährungsindustrie wachsen Tierhaltungskonzerne heran, deren Kern zunehmend außerlandwirtschaftliche Investoren, Futtermittel- oder Zuchtkonzerne bilden. Dies hat in der Geflügelhaltung bereits zu einer hohen Konzentration der Tierhaltung in den Händen weniger Konzerne geführt. Landwirte geraten dabei die die Rolle von abhängigen Vertragsmästern oder gar Lohnmästern ohne Eigenständigkeit und Kontrolle über die Art der Tierhaltung und der Fütterung in ihren Ställen. Diese Entwicklung soll nun auch in rasantem Tempo in der Schweinebranche durchgesetzt werden.
Im Herbst 2009 gründeten Bürgerinitiativen, die sich gegen diese Massentierhaltungen wehren, gemeinsam mit Umwelt- und Tierschutzverbänden, Vertretern aus dem kirchlichen Bereich und der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) das bundesweite Magdeburger Bündnis für Bauernhöfe statt Agrarfabriken.
Wir Bürgerinitiativen und Verbände lehnen die Tierhaltung nach industriellen Maßstäben in Agrarfabriken ab. Als Bündnis setzen wir uns dafür ein, die Haltung von Nutztieren in Deutschland nachhaltig umzugestalten zu einer klima-, tier- und sozialverträglichen Tierhaltung in bäuerlicher Hand und in lebendigen ländlichen Regionen. Den Ausbau von Agrarfabriken werden wir vor Ort und auf politischer Ebene bremsen. Wir werden bundesweit und in unseren Regionen auf die negativen Auswirkungen der Industrialisierung in der Tierhaltung aufmerksam machen und Alternativen für und mit der bäuerlichen Landwirtschaft entwickeln. Da die industrielle Tierhaltung auch negative Auswirkungen in anderen Ländern nach sich zieht, sind wir international mit Bauern-, Umwelt- und Entwicklungs-Organisationen vernetzt.
Wir streben eine Qualitätsproduktion an, bei der Klima-, Umwelt- und Tierschutz zum Nutzen der Verbraucherinnen und Verbraucher und der Bäuerinnen und Bauern den Maßstab bilden. Erfolgreiche Vorbilder für das Modell der nachhaltigen, bäuerlichen Tierhaltung sind NEULAND-Fleisch, die Richtlinien des ökologischen Landbaus, der Thönes-Natur-Verbund und viele weitere. Um die umwelt- und tiergerechte Fleisch-, Eier- und Milcherzeugung flächendeckend voran zu bringen, müssen die politischen Rahmenbedingungen konsequent auf regionale Strukturen, Umwelt- und Tierschutz ausgerichtet werden und auf bäuerliche Betriebe mit gut strukturierten Familienbetrieben und Kooperationen.
Beim Fleischkonsum in Deutschland setzen wir auf ein wachsendes Verbraucherbewusstsein im Sinne von „artgerecht & maßvoll statt billig & massenhaft“.
Was wir wollen:
1. Vielfalt, Gerechtigkeit und Arbeitsplätze in ländlichen Regionen - Privilegien für industrielle Tierhaltung abschaffen
Wir stellen fest, dass unsere ländlichen Regionen Schaden nehmen durch die Ausweitung der Tierhaltung nach industriellen Maßstäben. Die Privilegierung beim Bau neuer Ställe außerhalb von Gemeinden war ursprünglich konzipiert für ansässige landwirtschaftliche Betriebe, die auf ihrer Fläche eine passende Anzahl Tiere hielt und Futter und Dung im Sinne der Kreislaufwirtschaft verwertete. Dieses Privileg im Baurecht ist in der vergangenen Dekade so weit geöffnet und verwässert worden, dass auch Stallanlagen davon profitieren, die wie Industriebetriebe funktionieren und – wegen der generellen Gefahr von Umweltgefährdungen - sogar eine Umweltverträglichkeitsprüfung erfordern. Dies schränkt zum einen die Möglichkeiten der ortsansässigen Bauernhöfe ein für einen späteren Stallbau. Zum anderen führt es zu einer Ballung von Agrarfabriken in Intensivregionen etwa in Niedersachsen. Auch Gemeinden und Landkreise fordern inzwischen eine Änderung dieser Rechtslage, um eine geordnete Flächenplanung zu ermöglichen - im Interesse von AnwohnerInnen, Tourismus und anderen Wirtschaftsbereichen, die auf eine intakte Umwelt angewiesen sind.
Hausärzte berichten von zunehmenden Allergien und Bronchialerkrankungen in Regionen mit hoher Dichte industrieller Tierhaltungen. Anwohner müssen bisher Wertverluste an Lebensqualität, bei Grundstücken, Gebäuden, anderen Wirtschaftsgütern und der Erholungsqualität ganzer Regionen hinnehmen. Das geltende Baurecht vernichtet Arbeitsplätze in ländlichen Regionen, zumal die neuen Stallanlagen in hohem Maße rationalisiert sind. Auch große Anlagen bieten nur wenige (und unattraktive) Billigstlohn-Arbeitsplätze und vernichten Arbeitsplätze auf konkurrierenden bäuerlichen und mittelständischen Betrieben. Die gravierenden Auswirkungen solcher Agrarfabriken führen zur gerechtfertigten Forderung nach Durchführung von Raumordnungsverfahren.
Wir fordern von der Bundesregierung, das Privileg für das Bauen im Außenbereich auf die bäuerliche , flächengebundene Tierhaltung zu begrenzen und solche Stallanlagen vom Bauprivileg ausschließen, die bisher eine Überprüfung und Genehmigung nach dem Bundesimmissionschutzgesetz erfordern.
2. Klima- und Tierschutz wirksam verbessern
Rund 70 Prozent der Treibhausgase der Landwirtschaft in Deutschland stammen aus der Tierhaltung. Die industrielle Tierhaltung ist hauptverantwortlich für Ammoniak-Emissionen, für Waldschäden und für Nitratbelastungen in Gewässern. Diese Tierhaltung trägt massiv zur Überdüngung bei – zulasten des Klimas und der Artenvielfalt. Deutschland hat sich verpflichtet, diese Emissionen erheblich zu verringern und den Verlust der Artenvielfalt zu bremsen. Dennoch werden immer neue Ställe genehmigt, von denen immer mehr Emissionen ausgehen.
In tiergerechten Haltungen bestehen erhebliche Potentiale zur Entlastung des Klimas, z.B. durch Tierhaltung auf Stroh in nicht klimatisierten Ställen. Eine solche Tierhaltung in bäuerlichen Dimensionen ist nachbarschafts- und umweltverträglich und in jedem Dorf für eine Vielzahl von landwirtschaftlichen Betrieben vereinbar mit der Geruchs-Immissionsschutz-Richtlinie (GIRL).
Weit weniger als 5 % der Nutztiere in Deutschland werden bisher auf Ökohöfen oder nach anderen besonders artgerechten Richtlinien gehalten.
Als „artgerecht“ gilt in Deutschland, was in den Haltungsverordnungen für Nutztiere steht. Diesen Verordnungen nach ist es etwa tiergerecht, Schweinen die Schwänze abzuschneiden und Hühnern die Schnäbel zu stutzen. Und es ist demnach tiergerecht, Hähnchen und Puten zu mästen, die aus Qualzucht stammen. Nach dem geltendem Recht sind Stallbauten zulässig, die zu massiven Verhaltensstörungen bei den Tieren führen. Ein Klagerecht für Tierschutzverbände gibt es nicht.
Wir fordern von der Bundesregierung, die Standards für den Umwelt- und Tierschutz in der Tierhaltung deutlich zu verbessern und ein Klagerecht für Tierschutzverbände einzurichten. Für Stallbauten muss eine Tierschutzprüfung und ein entsprechendes Zulassungsverfahren nach dem Vorbild der Schweiz eingeführt werden (Tierschutz-TÜV). Auf den Produktpackungen müssen die VerbraucherInnen – wie bei Eiern – die Art der Tierhaltung erkennen können. Wir fordern den schnellen Einsatz eines EU-Tierschutzlabels.
3. Agrarsubventionen nur für höhere Standards im Tier- und Umweltschutz
In Umfragen geben die Befragten an, dass sie zuallererst eine artgerechte Tierhaltung von der Landwirtschaft erwarten. Verbraucher lassen es nicht nur bei dieser Forderung, sondern haben durch ihr Kaufverhalten durchgesetzt, dass viele Handelsketten keine Eier aus Käfighaltung mehr anbieten.
Trotzdem werden Agrarfabriken gegen unseren Willen mit unseren Steuergeldern gefördert. Mit Mitteln der EU, von Bund und Ländern, die dem Namen nach der ländlichen Entwicklung dienen sollen, wird genau das Gegenteil finanziell unterstützt, ohne dass die Subventionsempfänger die gesellschaftlich geforderten Tierschutz- und Umweltschutzstandards nachweisen müssen. Der Tierschutz verbessert sich durch diese Förderung zumeist nicht, wie staatliche Untersuchungen belegen . Die Förderung wirkt auch dem Umweltschutz entgegen, zumal Umwelt- und Tierschutzstandards und die Förderung der bäuerlichen Landwirtschaft in Deutschland in den vergangenen vier Jahren massiv gesenkt wurden.
Auch die staatliche Förderung für Schlachthof- und Molkereikonzerne hat keinen gesellschaftlichen Nutzen, weil sie zum Aufbau von Überkapazitäten führt und der Staat so zur Konzentration innerhalb der verarbeitenden Industrie beiträgt. Wir lehnen eine Förderung ab, die zu Lasten von Arbeitsplätzen und der meisten landwirtschaftlichen Erzeuger geht.
Wir fordern von Bund und Ländern, diese schädlichen Subventionen zu stoppen und die Investitionsförderung für Tierhaltungen strikt an die Verbesserung der Standards im Tier- und Umweltschutz zu koppeln. Staatliche Förderung für verarbeitende Unternehmen muss zugunsten der handwerklichen und regionalen Verarbeitung umverteilt werden und die Produktion besonders nachhaltiger Qualitäten befördern. Die neue EU-Agrarreform muss ökologische und soziale Kriterien in den Mittelpunkt stellen – Deutschland kann dabei mit gutem Beispiel vorangehen. Wir fordern Bund und Länder auf, die Förderung von tier- und umweltschonenden Haltungsverfahren verbindlich in allen Bundesländern anzubieten.
4. Überproduktion abbauen, Exportsubventionen streichen
Wir stellen fest, dass EU-weit bei allen tierischen Lebensmitteln Überproduktion herrscht. Jeder zusätzlich geschaffene Tierplatz führt zu einer Ausweitung der Überschüsse. Die Überproduktion ermöglicht der Ernährungsindustrie und dem Handel, die Preise für die tierischen Produkte unter die Erzeugungskosten zu drücken und ruiniert so alljährlich Tausende von Bauernhöfen.
Der Export der Überschüsse auf den Weltmarkt stellt keine Alternative dar, weil die Weltmarktpreise i.d.R. unterhalb der Erzeugungskosten in Deutschland liegen . Die Prognosen der EU-Kommission, dass insbesondere aus Russland und China eine steigende Nachfrage für Milch- und Fleischprodukte aus der EU zu erwarten sei, haben sich als falsch erwiesen . Staatliche Exportsubventionen treiben die Preise zusätzlich nach unten und schaden den Bauern hier und insbesondere auch den Kleinbauern in Entwicklungsländern. Die Exportstrategien von Politik, Molkereien und Schlachthöfen fußen auf Exportsubventionen und Lagerhaltung auf Kosten der Steuerzahler. Die Mehrheit der Bundesbürger lehnt dagegen Exportsubventionen ab und befürwortet staatliche Maßnahmen zum Abbau der Überschussproduktion . Der wachsende Export von Lebensmitteln aus industrieller Tierhaltung in der EU leistet dem ungesunden, übermäßigen Konsum tierischer Erzeugnisse weltweit Vorschub. Exportiert werden nicht nur Produkte, sondern auch ein nicht nachhaltiger Lebensstil. Dies ist ethisch unverantwortlich angesichts des zunehmenden Hungers und der sich verschärfenden weltweiten Flächenkonkurrenz. Notwendig sind politische Maßnahmen, um die Produktionsmengen tierischer Lebensmittel zu senken und an den Bedarf in der EU auszurichten. So können faire landwirtschaftliche Erzeugerpreise erreicht und der Konkurrenzdruck zum „Wachsen oder Weichen“ gemindert werden.
Wir fordern von der Bundesregierung und der EU-Kommission, die Tierhaltung in Deutschland und in Europa wieder aus der Industrie auf die Bauernhöfe zu holen, sie auf umweltgerechte und tierartgerechte Verfahren umzustellen und damit die Überproduktion abzubauen.
Exportsubventionen für Lebensmittel sind abzuschaffen.
Exportsubventionen sind abzuschaffen.
5. Heimische Futtermittel ohne Gentechnik
In Deutschland und Europa fehlt die Futtergrundlage für die industrielle Tierhaltung und die Überschussproduktion. Weit über 70 % der Eiweißfuttermittel werden importiert, überwiegend als gentechnisch verändertes Soja aus Brasilien, Argentinien und den USA. Infolge der zunehmenden Sojaplantagen für das Futter in unseren Viehtrögen werden Regenwald und Moore zerstört und der Lebensmittelanbau der lokalen Bevölkerung verdrängt. So trägt die industrielle Tierhaltung massiv zum Klimawandel bei und verschärft die Hungerkrise in vielen Ländern.
Wir fordern von der Bundesregierung und der EU-Kommission eine Eiweißstrategie zur Sicherung der Selbstversorgung mit heimischen Futtermitteln und entsprechende Vorschläge und Projekte zu unterstützen. Tierische Lebensmittel, die mit gentechnisch veränderten Futtermitteln erzeugt wurden, müssen verbindlich gekennzeichnet werden.
Für eine zukunftsfähige und nachhaltige Nutztierhaltung auf bäuerlichen Betrieben – gegen Agrarfabriken!
Bürgerreporter:in:Horst Kröger aus Walsrode |
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