Großburgwedel ehrt SS Männer!
DIG Hannover Presseerklärung 26 10 2009.
Presseerklärung
Arbeitsgemeinschaft Hannover
26. Oktober 2009
Großburgwedel ehrt SS Männer!
Seit gut zwei Jahren wird in der Großburgwedler Öffentlichkeit über ein
Mahnmal für die im 2. Weltkrieg umgekommenen Großburgwedler Bürger
gestritten. Anlass war das Bestreben der Großburgwedeler
Soldatenkameradschaft ein „Ehrenmal“ für die im 2. Weltkrieg gefallenen und
vermissten Großburgwedler Soldaten zu errichten. Unterstützung fand sie
hierbei bei dem Ortsbürgermeister, der selbst Vorstandsmitglied der
ortsansässigen „General Wöhler Stiftung“ ist, die aus dem Erbe des 1948 in
Nürnberg verurteilten Kriegsverbrecher Wöhler errichtet wurde.
64 Jahre nach Kriegsende offenbart die Diskussion in den Ratsgremien der
Stadt Burgwedel die Weigerung der politisch Verantwortlichen sich damit
auseinanderzusetzen, dass Großburgwedeler an Holocaust und deutschen
Kriegsverbrechen beteiligt waren, dass in Großburgwedel selbst Säuglinge, den
man ihren als Fremdarbeiter verschleppten Müttern genommen hatte, ums Leben
kamen und auch jüdische Großburgwedeler Opfer des antisemitischen
Mordgeschehens wurden. Stattdessen sollen SS-Angehörige, ohne auch nur nach
individueller Verstrickung in Verbrechen zu forschen, zu Opfern erklärt
werden, derer man zukünftig am Volkstrauertag offiziell gedenken will.
Die Diskussion über ein „Ehrenmahl für Soldaten aller Waffengattungen“ führte
zu Nachforschungen über die NS-Geschichte am Ort. Eine von der Verwaltung der
Stadt und SPD initiierte Spurensuche einer Schüler-Geschichts-AG des
örtlichen Gymnasiums brachte in Großburgwedel selbst geschehene NS-
Gewaltverbrechen zu Tage:
In einem „Fremdvölkischen Kinderpflegeheim“, dass sich in Großburgwedel
(einem Ortsteil der Stadt Burgwedel) direkt hinter der Kirche in der
Ortsmitte befand, wurden 28 polnische Säuglinge ermordet. Die Kinder waren
ihren Müttern, polnischen Zwangsarbeiterinnen, kurz nach der Geburt
weggenommen worden und starben nach Erkenntnissen des Historikers Dr. Reiter
an Unterernährung und Vernachlässigung.
Weiterhin existierte am Ort eine Behinderteneinrichtung in die von den
NS-Behörden über sechzig Behinderte eingewiesen wurden. Es konnte bisher
nicht genau festgestellt werden, wie viele von ihnen tatsächlich der
Euthanasie zum Opfer gefallen sind. In dieser Einrichtung wurden außerdem
zeitweise vier Sintis untergebracht, die später in der Todesliste des
Vernichtungslager Auschwitz als Opfer auftauchten. Bei einer weiteren
Sintiza, Anna Adler, ist der Geburtsort Großburgwedel in der Opferliste in
Auschwitz verzeichnet.
Der jüdische Arzt Dr. Albert David beging Selbstmord, als die Gestapo vor
seiner Tür erschien, und ihn abzuholen. Eine ehemalige jüdische
Großburgwedlerin erscheint auf der Todesliste von Theresienstadt ihre Tochter
in Auschwitz. Bei beiden Personen ist als Geburtsort Großburgwedel
aufgeführt, sie gehörten zu einer Familie, die seit 1795 in Großburgwedel
ansässig war.
Die polnischen Säuglingen sollten einer nach Entscheidung der
Ortsratsmehrheit zunächst auf eine Extrastele in eine Friedhofsecke gesetzt
werden, nicht aber auf dem eigentlichen Mahnmal gemeinsam mit den deutschen
Opfern. Der evangelische Pastor und der katholische Pfarrer erklärten hierzu
gemeinsam: „Die deutschen Opfer sind uns näher, die anderen dürfen nicht
vergessen werden.“
Eine angemessene Berücksichtigung dieser Opfer gelang nur mit Unterstützung
des CDU-Stadtbürgermeisters, der dem Antrag eines SPD-Vertreters durch sein
Veto zum Erfolg verhalf. Allen übrigen von den Schülern ermittelten
Opfergruppen verweigerte der Ortsrat im weiteren Verlauf der Debatte die
Würdigung auf dem Mahnmal. Alle von den Burgwedeler Schülern ermittelten
Opfer erfüllten, zwar die vom Ortsrat zuvor vereinbarten Kriterien,
scheiterten aber an den von der CDU und FDP dominierten
Mehrheitsverhältnissen. Daher beschloss der Ortsrat Großburgwedels am
24.08.2009 mit großer Mehrheit, keine Sinti- und Euthanasieopfer auf dem
geplanten „Mahnmal für die Opfer von Krieg und nationalsozialistischer
Gewaltherrschaft von 1933-1945“ aufzunehmen, das am Volkstrauertag Mitte
November auf dem Großburgwedler Friedhof feierlich eingeweiht werden soll.
Nachforschungen bei der Wehrmachtsauskunftsstelle (WAST) in Berlin haben
ergeben, dass unter den Soldaten, die auf der Gedenktafel geehrt werden
sollen, mindestens fünf SS-Angehörige sind, ohne das eine individuelle
Überprüfung hinsichtlich ihrer Verwicklung in Kriegsverbrechen vorgesehen
ist. Bei einer weiteren Person handelt es sich um ein Mitglied des SD
„Sicherheitsdienstes“, der unmittelbar für die Organisation des Holocaust
verantwortlich war. Kürzlich bat der Vorsitzende der jüdischen Gemeinden
Niedersachsens, Michael Fürst, den Bürgermeister der Stadt, von einer Nennung
der ehemaligen drei jüdischen Mitbürger Großburgwedels auf derselben Tafel
mit den SS-Männern abzusehen. Er befürchtete aufgrund der vorangegangenen
Debatte, dass in Großburgwedel auf dem geplanten Mahnmal der Unterschied
zwischen Tätern und Opfern eingeebnet werden sollte.
So wird das Ergebnis nach einer zweieinhalbjährigen Debatte über die
Errichtung einer örtlichen Gedenkstätte für die Gefallenen des Ortes, für die
Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zwischen 1933 und 45 sowie
für die Opfer von Flucht und Vertreibung den historischen Tatsachen nicht
gerecht! Schon vor Monaten hatte sich die Ortsratsmehrheit geweigert, einer
bewussten Geste der Versöhnung zuzustimmen und die beiden am 30.Oktober 1943
über Großburgwedel abgeschossenen britischen Piloten auf die Gedenktafel der
militärischen Opfer dieses Ortes aufzunehmen. Auch 64 Jahre nach Kriegsende
fehlt dem Ortsrat am Wohnort des niedersächsischen Ministerpräsidenten
Christian Wulff die politische Sensibilität für ein angemessenes Gedenken an
die Opfer der Nationalsozialistischen Gewaltherrschaft am eigenen Ort!
Sind an der Stadt Burgwedel die historischen Erkenntnisse der letzten
Jahrzehnte vorbeigegangen und ist die Identifikation mit den NS-verstrickten
Söhnen der Stadt immer noch größer als die Bereitschaft die historische
Wahrheit zu akzeptieren?
Welche Signale sendet die Mehrheit der Kommunalpolitiker mit dieser Art von
Entscheidungen an die Bürger und Jugend ihres Ortes, insbesondere an
Gymnasiasten, die erleben müssen, dass ihre unliebsamen, durch
unvoreingenomme Spurensuche gewonnenen Erkenntnisse unter den Teppich gekehrt
werden?
Wir haben kein Verständnis für diesen rückwärtsgewandten Spuk! Wir können uns
nicht vorstellen, dass unser Ministerpräsident über die Haltung seiner
Parteifreunde an seinem Wohnort in Großburgwedel unterrichtet ist.
Für den Vorstand der DIG-AG Hannover
(DIG = Deutsch Israelische Gesellschaft)
Bürgerreporter:in:Horst Kröger aus Walsrode |
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