Niagara Falls International Marathon
Marathon, Marathon-Staffel, Halbmarathon Run/Walk, 10 und 5-Kilometer-Lauf - 23. Oktober 2011 -
Ein Lauf-, Veranstaltungs- und Reisebericht von Rainer Lingemann, Teilnehmer am 10-Kilometer-Lauf
Über den ersten Teil der Laufreise „Kanada“ hat der Berichterstatter bereits ausführlich geschrieben. In der sympathischen Metropole Toronto war der Scotiabank Toronto Waterfront Marathon das Erlebnis für die Laufbegeisterten aus Deutschland. Auf der anschließenden Rundreise erlebten die Teilnehmer das zweitgrößte Land der Erde und erfuhren viel über Land und Leute. Eine Woche nach dem Laufwettbewerb in Toronto stand nun der Niagara-Falls-Lauf auf dem Plan.
Am Freitag gehen alle Teilnehmer der Kreienbaum-Sportreisegruppe gemeinsam zum Skylon Tower (43.084812,-79.079075), um die Startnummern abzuholen. Natürlich gibt es die Unterlagen nicht im Turm, sondern in dem dreistöckigen Gebäude, das um den Aussichtsturm herum gebaut ist. Das Ensemble mit dem 160 Meter hohen Turm ist 1965 eröffnet worden und an manchen Ecken hat der Zahn der Zeit seine Spuren hinterlassen. Die Marathon-Expo ist recht übersichtlich gestaltet, dass schon bald die Halbmarathon- und 10-Kilometer-Läufer ihre Startertüte in der Hand haben.
Marathonläufer werden bei dieser kanadischen Veranstaltung in Buffalo/USA starten. Laufen dann 10 Kilometer durch die Vereinigten Staaten, bis sie über die Peace Bridge in Kanada einreisen, genauer gesagt, einlaufen. Auf den restlichen 32 Kilometern folgt der Parcours den Windungen des Niagara Rivers bis zu den Niagara Fällen. Um die Grenzformalitäten zu erledigen, haben Immigration Officer von beiden Seiten einen Stand auf der Läufermesse. Zur großen Bestürzung der deutschen (und der anderen nichtkanadischen) Athleten wird ihnen das „Immigration Docoment 1-94“ für den Lauftag hier nicht erteilt. Das möchten sich die Sportler bitteschön persönlich in den USA abholen. Ohne das O.K. vom Immigration Officer werden nun auch keine Startertüten ausgegeben. Also machen sich am nächsten Tag die „grenzüberschreitenden Läufer“ per pedes auf den Weg über die Rainbow Bridge (43.090234,-79.067788) in die USA. Besuchen dann noch einmal die Expo (in Kanada) und erhalten ihre Unterlagen. Diese befinden sich in einem transparenten Beutel, der am Lauftag für den Transport von Wechselkleidung und Pass benutzt werden muss. Am Sonntag werden die Läufer mit Schulbussen in die USA gebracht und tatsächlich verläuft das Rennen völlig reibungslos bei laufendem Grenzübertritt.
Samstag ist der zweite Tag zur Einstimmung der Athleten auf den Laufwettbewerb. Vor der grandiosen Kulisse der Niagara Fälle findet ein Breakfast-Run statt. Die Sportler starten vor dem Oak Garden Theatre und treffen sich dann vor dem „Planet Hollywood“. Japanische Teilnehmer präsentieren ihre phantasievollen Kostüme, andere Teilnehmer haben ihre Fahnen mitgebracht. Dieses Bild mit den mächtigen Wasserfällen im Hintergrund hinterlässt mit Sicherheit einen tiefen Eindruck bei allen Beteiligten. Danach nehmen die Athleten im Planet Hollywood ihr zweites Frühstück ein. In einem auffälligen Bau ist dieses Lokal einer internationalen Gaststättenkette untergebracht, deren Räumlichkeiten von Filmrequisiten nur so überquellen.
Am Sonntag findet nun der lang ersehnte Lauf statt. Von der Kreienbaum Laufreisegruppe bin ich der einzige Teilnehmer am 10-Kilometer-Lauf. Alle anderen werden die Marathon- und Halbmarathonstrecke unter die Laufschuhe nehmen. Die 42-Kilometer-Distanz erfreut sich der größten Beliebtheit, wozu ohne Zweifel die Grenzüberschreitung im Laufschritt beiträgt.
Also mache ich mich allein auf den Weg vom Hotel zum Startplatz am Table Rock im Victoria Park (20 Minuten Fußweg). Es ist noch dunkel und – am Niagra Parkway fängt es an zu regnen. Ich stelle mich unter – es regnet kontinuierlich weiter. Nach einer viertel Stunde wird es höchste Zeit den Weg fortzusetzen. Die Kamera stecke ich erstmal in die Laufjacke und sehe die Möglichkeit zum Fotografieren auf der Strecke schwinden. Kurz vor dem Startareal lösen sich die Regenwolken völlig unerwartet wieder auf und die Sonne wird die Aktiven den ganzen Tag begleiten.
Das 10-Kilometer-Starterfeld ist kleiner als erwartet. Sicher habe ich im Unterbewusstsein noch ein Bild von den Menschenmassen beim Torontolauf. Bezogen auf die Einwohner von Toronto ergibt sich ein anderes Bild: Niagara Falls hat nur 1,8 Prozent der Einwohner von Toronto, liegt beim Vergleich der Gesamtfinisherzahlen aber bei 24 Prozent.
Nach Nationalhymne und Startschuss setzt sich das 10er-Feld nach Sonnenaufgang in Bewegung. Die Sportler verlassen den Startplatz an den Horseshoe Falls und gelangen auf ihren Parcours auf dem Niagara Parkway. Wie der Name schon andeutet, führt die Straße durch einen Park in Sichtweite des Niagara Rivers entlang. In Höhe der Stromschnellen hat der Niagara Fluss eine Breite von 1,2 Kilometern bei einer Gesamtlänge von nur 56 Kilometern. Diese ungewöhnlichen Proportionen beruhen darauf, dass der Niagara kein „klassischer“ Fluss ist, sondern das Überlaufwasser vom Erie See in den Ontario See darstellt.
Zu meiner Linken taucht in der weitläufigen Parklandschaft ein beeindruckendes Gebäude direkt am Flussufer auf. Die großen Säulen vor der Frontseite lassen auf etwas Besonderes, zumindest auf Geld schließen. Es ist die 1906 gebaute „Toronto Power Generating Station”, die heute ein technisches Denkmal ist (43.071997, -79.0737). Bis heute ist es das erste und einzige Kraftwerk oberhalb der Fälle. Das Besondere daran sind 50 Meter tiefe Schächte, in denen über dem Grund Turbinen mittels einer langen Welle Generatoren im Gebäude angetrieben haben. Abgeleitet wurde das Wasser durch einen Ziegeltunnel bis hinter die Fälle.
Es macht Spaß, auf der verkehrsfrei gehaltenen Straße bei Sonnenschein durch den herbstlichen Park zu laufen. Zuschauer gibt es in diesem Abschnitt allerdings kaum. Das ändert sich erst, als bei der Ortschaft Chippawa der Parkway auf die „Portage Road“ trifft und die Athleten die Brücke über den Chippawa Creek (43.059921,-79.05221) passieren.
Portage Road erinnert an die große Zeit der „Voyageurs“, die einen wesentlichen Beitrag zur Erkundung Kanadas in westlicher Richtung geleistet haben. Diese Eroberung des Westens wurde nicht auf dem Landweg, sondern über Seen und Flüsse erreicht. An unpassierbaren Stellen mussten mühsam Boote, Felle und Waren über Land getragen werden. Aus dem ursprünglichen Weg der Voyageurs um die Niagara Fälle ist dann später die Portage Road entstanden (Portage, franz.: das Tragen).
Nach zwei Kilometern erreiche ich den Wendepunkt für diese interessante Strecke, die auch die Marathon- und Halbmarathonläufer für ihren Weg in das Ziel nutzen werden. Die Teilnehmer am „Halben“ wurden zuvor mit Bussen von Niagara Falls zum Kilometer 21 transportiert.
Ich überquere zum zweiten Mal die Brücke über den Chippawa Creek. Er ist ein ungewöhnlicher Fluss, der vor einigen Jahrzehnten die Fließrichtung umgekehrt hat. So ganz freiwillig hat er das natürlich nicht getan. Der Chippawa, in seiner Fortsetzung „Queenston-Chippawa Power Canal“ genannt, versorgt jetzt das „Sir Adam Beck Kraftwerk“ acht Kilometer unterhalb der Fälle mit Wasser. Den Hauptanteil macht aber das Wasser aus dem Niagara River aus (bei Benutzung des Flussbetts vom Chippawa).
[Anmerkung für die Reiseteilnehmer: Am Tag nach der Laufveranstaltung hat unser Reisebus auf dem Weg nach Niagara-on-the-Lake das Kraftwerksgelände (43.145728,-79.044356) durchfahren].
Nachdem man schon vor Jahren die Leistung dieses Kraftwerks durch unterirdische Kanäle vergrößert hat, wird seit 2005 ein 10,5 Kilometer langer Tunnel (Anfang: 43.069101,-79.058712) mit einem Durchmesser von 14,4 Metern unter dem Ort Niagara Falls gebaut. Damit niemand an der Oberfläche gestört wird, arbeitet die größte Tunnelbohrmaschine der Welt in einer Tiefe bis zu 140 Meter.
Tatsächlich werde auch ich nicht durch diesen Riesenmaulwurf belästigt und erreiche zufrieden und entspannt das Ziel vor der absolut einmaligen Kulisse der Niagarafälle.
Vielleicht ist mir in diesem Bericht der Anteil von Wasser und Kraftwerken ein wenig zu groß geraten. Die Niagarafälle haben mich aber außerordentlich beeindruckt und zählen zu den berühmtesten Touristenattraktionen Nordamerikas. Mit wachsender Popularität der Fälle hat auch die Nutzung der Wasserenergie zugenommen und beides ist heute untrennbar miteinander verbunden, unverzichtbar - und interessant.