Hänigser Spargelsprinter nimmt am Lauf auf der Großen Chinesischen Mauer teil
Auf der Großen Chinesischen Mauer gibt es zwei Laufveranstaltungen. Der dänische Reiseveranstalter Sören Rasmussen schickt seine Läufer im Mai bei Huangyaguan auf die 42, 21 und 10-Kilometer-Strecke. Gelaufen wird immer nur der kleinere Teil der betreffenden Distanz auf der Mauer.
Anspruchsvoller ist der Münchener Veranstalter Wichart Hölscher, der den Startschuss bei Jinshanling gibt. Er lässt seine Athleten am 5. September bei den drei Standardlängen über die ganze Distanz auf der Mauer laufen. Jeder Interessent seiner Veranstaltung tut gut daran, sich im Voraus eine Aufstellung seiner sportlichen Höhepunkte anzuschauen. Dazu zählen u. a.: Finisher bei drei Triathlon-Weltmeisterschaften auf Hawaii, 72-Kilometer-Lauf in der Sahara, Etappenlauf über 172 Kilometer von Sparta nach Olympia, 100-Kilometer-Nachtlauf bei Wien. Da kann man dann schon mal seine Maßstäbe und Einstellungen zu sportlichen Leistungen ahnen und abschätzen, was er seinen Athleten auf der Mauer anbietet. Die chinesische Regierung hat die Anzahl der Teilnehmer seiner Veranstaltung auf 100 begrenzt.
Die Wettkampfstrecke liegt 1200 Meter über dem Meeresspiegel und hat die Form eines Ypsilons. Jeder Strahlenarm ist bei der 10-Kilometer-Strecke einmal hin und zurück zu durchlaufen, beim Halbmarathon und Marathon zwei- bzw. viermal. Alle paar hundert Meter ist die Mauer von einem Wachturm/Signalturm unterbrochen. Dieser ist auf Grund seines Erhaltungszustands oder seiner Bauweise auf unterschiedliche Art und Weise zu durchqueren. An den drei Streckenenden befinden sich die Kontrollstellen, im Knotenpunkt des „Y“ ist die zentrale Versorgungsstelle eingerichtet. Verlaufen ist eigentlich unmöglich, wenn man sich beim Knotenpunkt immer rechts hält, egal aus welcher Richtung man kommt.
Doch nun der Reihe nach. Die Athleten sind seit fünf Tagen in Beijing, kennen schon fast die ganze Stadt und wissen, wo es in der Nähe das beste Bier gibt (5 Yuan der halbe Liter, Biergarten Xiao Tianzhu Road). Es ist Freitag, am nächsten Tag soll der Lauf stattfinden - und es regnet! Die Wettkampfleitung gerät ins Schwitzen, da die Unfallgefahr auf nasser Wettkampfstrecke erheblich größer ist. Als Ausweichtermin ist noch der Sonntag möglich, dann ist das Zeitfenster zu. Für Montag ist der Flug nach Xian gebucht und Mitte der Woche geht´s mit dem Zug über 1200 Bahnkilometer von Peking nach Shanghai.
Wichart hatte wohl bei den Wahrsagern oder Meteorologen in Beijing nachgefragt, denn am Abend wurden die Zeiten für den nächsten Tag bekannt gegeben. 04:00Uhr Wecken, 05:30h Abfahrt und Start um 09:00h in den Bergen von Jinshanling. Pünktlich. Der Architekt und Extremsportler Wichart Hölscher liebt die Pünktlichkeit - und das ist auch gut so. Jeder wusste Bescheid und alle haben problemlos für zwei Wochen an die Spielregeln gehalten.
Organisator Hölscher hatte sich schon kurz nach Mitternacht auf den Weg nach Jinshanling gemacht, um den Transport und Aufbau der zentralen Versorgungsstelle und der drei Kontrollstellen auf der Mauer zu überwachen. Tische, Stühle, Sonnenschirme, Getränke und Lebensmittel mussten in einer logistischen Meisterleistung unter extremen Bedingungen transportiert werden: Bei tiefster Nacht, ohne jegliche Hilfsmittel, nur mit chinesischer Manpower über etliche Kilometer und über tausende von Stufen.
Kurz vor halb sechs und nach einem guten Frühstück begaben sich die Laufreisesportler von ihrem Sino-Swiss-Hotel zu den Bussen. Der Regen hatte tatsächlich aufgehört, die chinesischen Athleten und einige zeitweilig in Beijing arbeitende Deutsche waren eingetroffen und los ging´s in Richtung Laufabenteuer in China.
Auch auf der Mauer war zum Glück alles trocken und nur ein leichter Nebel lag über den Bergen zwischen Jinshanling und Simatai. Bei einigen Läufern machte sich beim Anblick des Bauwerks Beklommenheit bemerkbar, die durch den Dunst noch verstärkt wurde. Ähnlich muss sich ein Soldat zu Zeiten der Ming-Dynastie gefühlt haben, der allein auf einem Wachturm einer anrückenden Mongolenarmee gegenüber stand. - Eine wirklich starke Herausforderung!
Aber alles lief nun nach Plan - keine Fahnenflucht oder andere Verzweifelungstaten - und Wichart schickte seine Läuferinnen und Läufer auf die anspruchsvolle Strecke. Zum Warmmachen gab´s einen Start gegen geschätzte 30 Prozent Geländesteigung. Die einzigen waagerechten Streckenabschnitte bildeten die Fußböden in den Festungstürmen, die alle paar hundert Meter durchquert werden mussten. Ansonsten ging es nur auf und ab. Oder besser gesagt: Treppauf und treppab. Nach meiner Schätzung besteht der Parcours zu 60 bis 70 Prozent aus Stufen. Die Stufen sind hier, im Gegensatz zum nicht restaurierten Teil der Mauer, in besserem Zustand, haben aber durch lange Nutzung runde Stufenkanten. Beschädigte Trittflächen und immer wieder unterschiedliche Tritthöhen forderten maximale Aufmerksamkeit der Athleten.
Beim Abstieg macht sich das Fehlen von Handläufen besonders bemerkbar. Trotzdem laufen einige Sportler auch an steilen Passagen immer wieder treppab. Rettungshubschrauber gibt es hier nicht und Fahrzeuge können auf der Mauer nicht fahren. Wenn die Meute losgelassen wird, steuern wohl eher Emotionen das Tun und die Risikobereitschaft steigt. Zum Beispiel an einem Mauer-Ein/Auslass. Eine Treppe führt über fast die gesamte Mauerbreite bis auf Geländeniveau hinunter (rund sechs Meter) und wieder herauf. Auf gleicher Höhe der Mauerbahn bleibt nur der höchstens einen halben Meter breite Wehrgang: Auf der einen Seite mit den Zinnen auf der anderen gähnt (ohne Geländer) der Abgrund zur Treppe. Die meisten Läufer, die mit mir diesen Streckenpunkt durchqueren, nutzen trotzdem die waagerechte Abkürzung.
Die Mauer ist ein beeindruckendes Bauwerk in einer besonderen Landschaft, kann aber von den Läufern in Aktion nur ganz am Rand wahrgenommen werden. Alle Aufmerksamkeit ist auf die Strecke gerichtet, die, wie schon erwähnt, zum größeren Teil aus Stufen besteht. Da niemand die rote Laterne ins Ziel tragen will, wird auch dort gelaufen. Hoch - soweit es geht und runter - solange der Mut noch reicht. Eine Woche später werden jedoch die Reiseteilnehmer bei einer mehrstündigen Wanderung auf der Mauer genug Zeit für das großartige Bauwerk und die Schönheit der Natur haben. Noch dazu mit Sonnenschein und guter Fernsicht.
Mit der Vorgabe „an der Gabelung mit der Zentralen Versorgungsstelle immer rechts halten“ und „an den drei Kontrollstellen wenden“, hätte es keine Orientierungsprobleme geben dürfen. Theoretisch jedenfalls nicht. Praktisch sah das aber bei mir anders aus. Hatte zwischendurch einfach den Faden verloren. Kommt vor. Besonders bei Treppenläufen.
Als 10-Kilometer-Läufer habe ich mir die Teilnehmer der anderen Distanzen beim Zieleinlauf angesehen. Nicht wenige Sportler waren zum Schluss unsicher, ob sie nun gefinished hatten oder ob ihnen noch die „Kontrollstelle 3“ fehlte.
Einmalig war auch die Urkunden- und Pokalübergabe auf der Mauer vor der Berglandschaft Jinshanlings. Wichart übergab die Urkunde, „Hans“ den Pokal dazu und Glückwünsche kamen von beiden. Die Musik vom CD-Player war wegen des Beifalls von Sportlern, Begleitern und Zuschauern kaum zu hören. In dieser emotionalen Situation war es nicht verwunderlich, dass einigen Athleten fast die Tränen in den Augen standen. Den Abschluss dieses besonderen Tages bildete die Siegerfeier im Sino-Swiss-Hotel.
Nach dem Lauf hat Wichart, wie versprochen, die zurückgehaltenen Einzelheiten bekannt gegeben: 1558 Höhenmeter und 18337 Stufen beim Marathon, 779 Höhenmeter und 9168 Stufen beim Halbmarathon sowie 362 Höhenmeter und 4406 Stufen beim 10-Kilometer-Lauf.
Da alles im Zeitplan geblieben war konnten die Ausflüge nach Xian und Shanghai ganz entspannt angetreten werden.
Die zweiwöchige Sportreise von Wichart Hölscher mit dem Lauf auf der Großen Chinesischen Mauer war für mich ein eindrucksvolles Erlebnis. Der Mauerlauf und Shanghai waren für mich die Höhepunkte dieser Reise in ein Land, von dem man in Zukunft noch viel hören wird.
Wichart und seine Frau Renate haben für einen reibungslosen Ablauf dieser Erlebnis/Informationsreise und für Geselligkeit (Spaghettiparty, Siegerfeier und Abschiedsessen) bestens gesorgt. In zwei Wochen habe ich im Land rund 6000 Kilometer zurückgelegt und denke gern an die außergewöhnliche Laufreise nach China zurück.
Bürgerreporter:in:Rainer Lingemann aus Uetze |
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