Der Wolf kehrt zurück!
Ein Interview mit dem Waidmann und Naturliebhaber Hubert Lödding
Seit Ende der 90er Jahre gibt es den Wolf wieder in Deutschland. Fachleute schätzen den Bestand mittlerweile auf 100 Exemplare. Fast alle Tiere leben in den neuen Bundesländern östlich der Elbe. Da der Wolf nicht nur ein guter Langstreckenläufer sondern auch ein versierter Schwimmer ist, wird es sicher nicht lange dauern, bis Wolfsrudel weiter nach Westen vordringen.
Herr Lödding, wie lange dauert es, bis Wölfe die Region Hannover erreicht haben?
Einzelne reviersuchende Wölfe wandern sehr weit und können auch jetzt schon auftauchen. In etwa 10 Jahren kann man von mehreren Rudeln ausgehen, da die Fuhrberger Wälder, das Altwarmbücher Moor sowie andere wildreiche und dünn besiedelte Gebiete um Hannover als Lebensraum für den Wolf geeignet sind. Nach weiteren 10 Jahren kann er schon alle wolfstypischen Lebensräume in Deutschland erschlossen haben. Zwischendurch werden sich unsere Wölfe mit denen aus Spanien und Frankreich sowie sich mit denen aus dem Süden gemischt haben. Das ist für die genetische Vielfalt der Population wichtig und verhindert Inzucht.
Warum haben Wölfe einen so schlechten Ruf?
So schlecht ist der Ruf offensichtlich nicht mehr, da eine Mehrheit die Rückkehr des großen Beutegreifers begrüßt. Vor einigen hundert Jahren sah das noch anders aus, da um das Jahr 1600 der Wolfsbestand hoch war, die Bauern ihr Vieh häufig im Wald weiden ließen und es damit zu einer leichten Beute der Wölfe wurde. Zudem war die Nahrungsversorgung der Menschen während des 30-jährigen Krieges sehr schlecht und der Wolf wurde zum Sündenbock. Auch der jagende Adel sah im Wolf nur den lästigen Konkurrenten. Die Folge war eine gnadenlose Jagd auf den Wolf. Aus dieser Zeit stammt der schlechte Ruf des Wolfes und führte vor etwa 200 Jahren zu seiner Ausrottung in Deutschland.
Wie gefährlich ist die Anwesenheit des Wolfes im dicht besiedelten Deutschland?
Deutschland ist trotz der hohen Bevölkerungsdichte (230 Menschen/Quadratkilometer) ein waldreiches Land, da die meisten Menschen in Städten leben. Zudem toleriert der Wolf als Kulturfolger durchaus Stadtnähe, solange sie keine Gefahr für ihn darstellt. Die Nähe von aktiven Menschen vermeidet der Wolf hingegen konsequent. Problematisch wäre allerdings das Füttern von Wölfen aus falsch verstandener Tierliebe. Dadurch kann eine unnatürliche Nähe zum Wolf entstehen und die natürliche Hemmschwelle zum Menschen abgebaut werden. Der Wolf wird zum "Problemwolf".
Kann es zu gefährlichen Situationen mit Wölfen kommen?
Wie erwähnt, muss eine unnatürliche Nähe zu Wölfen vermieden werden. Verletzten Wölfen, z.B. nach einem Autounfall, sollte man nicht zu nahe kommen. Ansonsten braucht man viel Fantasie, um sich einen seltenen Mensch-Wolf-Konflikt vorzustellen. Für freilaufende Hunde im Wolfsrevier kann es allerdings beim Aufeinandertreffen mit Wölfen gefährlich werden, da der Hund als domestizierter "Wolf" die Revierrechte eines Wolfsrudels verletzt, und getötet werden könnte. Das gilt besonders für wildernde Hunde, aber auch für Jagdhunde, die angeschossenes Wild nachsuchen müssen. Der Jagdhund sollte in Wolfsgebieten keinesfalls geschnallt werden, d.h. der Hundeführer sollte ihn an der Leine halten und den wertvollen Jagdhund bei der Nachsuche, etwa eines angeschossenen Wildschweins, nicht alleine suchen lassen. Die Gefahr für den Hund auf der Wundfährte wäre zu groß, gar selbst zur Beute des Wolfes zu werden. Denn ein Wolfsrudel in der Nähe würde mit seinem enormen Riechvermögen das verletzte Wildschwein auch sehr schnell aufspüren, da es eine leichte Beute ist. Überhaupt stellt der Hund ein Bindeglied zwischen Mensch und Wolf dar, und kann die natürlichen Berührungsängste des Wolfes zum Menschen verringern, und dadurch Konfrontationen begünstigen. Der Mensch in seiner Nähe ist für den Hund eine gute Lebensversicherung.
Wie tötet der Wolf?
Der Wolf reißt Beutetiere bis Elch- oder Wisentgröße. Das gelingt dem Wolf aber nur durch Teamarbeit im Rudel. Dabei geht das Rudel sehr selektiv vor. Leicht zu erbeutende Tiere, wie junge, alte, kranke und verletzte Tiere werden immer bevorzugt. Damit ist der Wolf für die Gesundheit seiner Beutetiere langfristig wertvoll. Kleinere Beutetiere wie das Reh tötet auch ein einzelner Wolf durch den wolfstypischen Kehlbiss. Größere Beutetiere werden aus einer Herde oder Rudel ausgewählt und gehetzt. Dabei wird das Beutetier immer wieder durch Bisse attackiert und somit zunehmend geschwächt. Durch die vielen reißenden Bisse des Wolfsrudels (Wolfsbeute = Wolfsriß) werden dann selbst große Tiere wie Elche oder Rothirsche zur Beute.
Wie viele Menschen wurden durch Wölfe getötet?
In Europa leben derzeit etwa 20000 Wölfe. In den letzten 50 Jahren gab es 9 Tote durch wildlebende Wölfe in Europa. In 5 Fällen davon waren die Wölfe tollwütig. Allein in Deutschland sterben durchschnittlich 4 Menschen pro Jahr durch Hunde. Trotz dieser geringen tödlichen Vorfälle mit Wölfen, sitzt die Angst vor dem "bösen Wolf" sehr tief. Dazu haben sicher Märchen wie "Rotkäppchen und der Wolf" und "Der Wolf und die sieben Geißlein" beigetragen. Doch auch ohne diese märchenhafte Vorbelastung wäre den meisten Menschen sicher unwohl bei der Vorstellung von einer unmittelbaren Nähe zu einem Wolfsrudel während eines (nächtlichen) Waldspaziergangs. Auch wenn das Rudel bei menschlicher Witterung sofort ausweichen würde, so könnte es doch einen Menschen sehr schnell töten. Der Gedanke an diese Unterlegenheit macht uns Angst.
Warum lehnen Jäger und Tierhalter den Wolf ab?
Ein Wolf braucht am Tag etwa 4,5 Kg Nahrung. Ein erwachsenes Reh (Rehe sind in Deutschland die Hauptbeute) reicht ihm für 3,5 Tage. Pro Jahr bräuchte ein einzelner Wolf also 100 Rehe, wenn es nur Rehe zu fressen gäbe. Ein 6-köpfiges Rudel benötigt 600 Rehe oder besser ca. 10000 Kg verwertbare Beute im Jahr. Die Nahrung des Wolfes besteht in Deutschland derzeit zu 50 Prozent aus Rehen, zu 20 Prozent aus Rotwild, 20 Prozent Wildschwein und 10 Prozent andere Beute, wozu auch Schafe gehören. Da die Reviergröße eines 6-köpfigen Wolfsrudels in Deutschland ca. 200 Quadratkilometer beträgt, hält sich die Beute des Rudels doch sehr in Grenzen, weil sie sich auf 100 Jagdreviere des Menschen von je 200 ha angenommener Größe aufteilen würde. Diese grobe Betrachtung wird dem komplizierten System "Beute-Beutegreifer" sicher nicht gerecht, sondern kann nur ein erster Ansatz sein, um in etwa den Beuteanteil eines Wolfsrudels in einem menschlichen Jagdrevier abschätzen zu können. Demnach könnte ein Wolfsrudel ungefähr 20 Prozent des Abschussplanes erfüllen, wenn das menschliche Jagdrevier im Wolfsrevier läge. Es kann aber auch sein, je nach Struktur des Reviers und dem Jagdverhalten der Wölfe, dass es in einem einzelnen Revier eines Jagdpächters, kaum Einfluss auf dessen Jagdbeute durch die Wölfe gibt. Die Bedingungen, wann, wo und wie der Wolf Beute macht, und wie die Beutetiere darauf reagieren, sind also sehr komplex und nicht berechenbar. Trotzdem sind Jagdpächter häufig Gegner der Wolfsrückkehr oder haben Vorbehalte gegenüber einer dauerhaften Schonung des Wolfes. Die Beutetiere werden ihr Verhalten sicher bei Vorhandensein des Wolfes verändern, worauf sich der "Jäger Mensch" neu einstellen muss. Viele Jäger sehen im Wolf aber auch ein Tier, welches hierher gehört, ihre Reviere bereichert, und gestehen ihm seinen Beuteanteil zu. Auch unter den Tierhaltern wie Schafzüchtern gibt es große Unterschiede Pro und Kontra Wolf, da der Schutz von im Freien weidenden Nutztieren in Wolfsrevieren sehr aufwändig ist. Bei jenen muss man mit großen Vorbehalten gegen den uneingeschränkten Schutz des Wolfes als geschützte Tierart rechnen. Derzeit werden Tierhalter bei nachgewiesenen Wolfsattacken auf Schafe oder andere Nutztiere entschädigt, wenn Schutzvorkehrungen wie Wolfsschutzzäune installiert waren.
Wie bewerten Sie persönlich die Rückkehr des Wolfes?
Die Rückkehr des Wolfes durch strikten Schutz bedeutet eine große Veränderung in der Tierwelt, wobei viele Auswirkungen nicht sicher vorhergesagt werden können. Schließlich handelt es sich beim Wolf um ein großes Raubtier, welches bei uns keine natürlichen Feinde hat. Deutschland hat sich in den letzten 200 Jahren auch stark verändert. Denken wir nur an das dichte Autobahnnetz oder an die großen Veränderungen in der Landwirtschaft. Trotz dieser Unwägbarkeiten halte ich das Zurückkommen des großen Beutegreifers für eine spannende Geschichte und freue mich schon, in klaren Winternächten das schaurig-schöne Wolfsheulen im weitläufigen Umland Hannovers verhören zu können. Zu Gesicht bekommen wird man die scheuen Tiere eher selten. Die Wiederansiedlung birgt aber auch Risiken für die Wölfe durch Hybridisierung, d.h. durch die Verpaarung mit ihren zahmen Vettern, den Hunden. Diese Vermischung bringt auch Gefahren für Menschen, da bei Hybridwölfen die natürliche Hemmschwelle zum Menschen verringert ist. Um derartige Fehlentwicklungen zu verhindern, ist die Jägerschaft im Ganzen gefordert, hier mitzuwirken. Denn nur die Jäger, mit ihrer flächendeckenden Präsenz in der Natur, haben das Potenzial, diese Aufgabe zu bewältigen. Dazu sollten sich in den örtlichen Jägerschaften ein, besser zwei engagierte Wolfsbeauftragte dieser Aufgabe stellen. Hier haben Jäger die Chance, sich als aktive Naturschützer einzubringen. Ein konfliktloses Miteinander von Mensch und Wolf hat es aber in der Vergangenheit nicht gegeben, und wird es auch in Zukunft nicht geben. Doch auch das ist nur - natürlich. Ob der Wolf bei uns dauerhaft seine alte Heimat wiederfindet, hängt entscheidend davon ab, wie wir mit diesen Konflikten umgehen, damals wie heute.
Herr Lödding, vielen Dank für das spannende Interview.
Bürgerreporter:in:Rainer Lingemann aus Uetze |
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