Rasantes Remake: Zwölf Brüder und der Pharao gegen die Black-Stars aus Ghana - „Joseph“ träumt in Tecklenburg
Dreaming-Joe is back! Elf Jahre nach seinem deutschen Open-Air-Debüt im Münsterland hat sich der Traum-Typ mit dem bunten Mantel zurückgemeldet – an jenem Platz, an dem er einst erstmals unter freiem Himmel reüssieren konnte. Die Zeit war reif für ein Remake. Klappe, die Zweite. Mit „Joseph“, diesem grell-bunten Frühwerk des geadelten britischen Musical-Papstes Andrew Lloyd Webber, haben die Freilichtspiele Tecklenburg zur Sonnenwende einen rasanten Start in die neue, aktuelle Spielsaison 2014 hingelegt. Während „Robin Hood“ hier schon seit dem 25. Mai den Sherwood-Forrest unsicher macht, sich aber vor allem an die Kinder wendet, markierte das Bibel-Happening den Auftakt des eigentlichen Festspielsommers. Am 25. Juli folgt mit „Sunset Boulevard“ dann ein weiteres Webber-Stück.
Die 2300 Besucher fassende Arena war zur Premiere nicht ganz ausverkauft, was der fast parallelen Übertragung des WM-Krimis zwischen Deutschland und den Black-Stars aus Ghana geschuldet gewesen sein dürfte. Aber die zweimal 45 Minuten Spielzeit auf der Burg waren nicht minder packend, wenn auch etwas weniger nervenaufreibend als jene im Castelão-Stadion im brasilianischen Fortaleza. Dass es hier ein Happy-End geben würde, stand von Anfang an fest. Die Geschichte mag ja hinlänglich bekannt sein.
„Joe“ zwischen gestern und heute
Elf Jahre sind eine lange Spanne. Und die Zeiten ändern sich nun mal, auch die Art, solche Stücke zu inszenieren. Und die Leute, die sie mit Leben füllen, gehören einer neueren Generation an. Die Herangehensweise ist eine andere und huldigt dem Geschmack und den Gewohnheiten der Moderne. Insofern wäre sich der „Joseph“ des Jahres 2003 auf der Bühne des Hier und Jetzt wohl etwas seltsam vorgekommen. Mit ihm hatten sich die die Veranstalter durch die deutschlandweit erste Freiluftaufführung seinerzeit eine Fußnote in den musical-ischen Geschichtsbüchern gesichert, aber er repräsentiert aus aktueller Sicht eben das Gestern. Die Unterschiede werden offensichtlich, wenn man sich die Videoaufzeichnungen von einst ansieht und diese mit dem Geschehen des Jahres 2014 vergleicht. Zwischen beiden Produktionen liegen Welten. Sie haben, abgesehen von Storyline, Partitur und dem Libretto, nur noch wenig gemeinsam.
Viele Gags und eine ideenreiche Choreografie
Werner Bauer, von der Intendanz mit der Regie betraut, hat erst einmal keinen Stein auf dem anderen gelassen und anschließend alles wieder neu zusammengesetzt. Hier und da kam er nicht umhin, den alten Zeichnungsschablonen zu folgen, aber meistens, da, wo es sich anbot, setzte er auf Akzentverschiebung, Neuerung und Innovation. Dabei heraus kam eine zeitgemäße, witzige und turbulente Bühnenproduktion, die völlig vergessen lässt, dass das Stück, von seiner Welturaufführung an gerechnet, auch schon 46 Jahre auf dem Buckel hat. Gespickt mit vielen Gags, einer ideenreichen Choreografie (Kati Heidebrecht) und prächtigen Bildern zieht die mit 90 Minuten doch relativ knapp bemessene Show wie ein Formel-1-Lauf am Publikum vorbei. Vom einstigen Kreativteam aus 2003 waren „Kapellmeister“ Klaus Hillebrecht, der mit den Seinen im Orchestergraben mächtig Druck machte, und Karin Alberti, die beim Entwurf der prächtigen Kostüme noch mal einen Gang zugelegt hatte, übrig geblieben.
Hillebrecht scheuchte seine Mitstreiter mit Schmackes durch die aus verschiedenen Musikstilen schöpfende Partitur. Webber hat dabei u.a. (parodistische) Anleihen beim Calypso, beim Rock’n Roll, Country, Cha-Cha-Cha und jiddisch-französisch akzentuierten Chanson gemacht. Ein herrlich bunter Mix.
Der Lauf der Dinge begann bereits anders als gewohnt. Statt der von ihrer Lehrerin/Erzählerin ( Souverän: Sandy Mölling) eingangs über die alttestamentarischen Hintergründe der Handlung instruierten Schulklasse finden wir uns inmitten einer archäologischen Ausgrabung wieder. Was die Forscher suchen und finden, erklärt die Führerin einer Touristengruppe. Das Tor in die Vergangenheit ist weit offen, der Übergang ins kanaanäische Zeitalter fließend. Und da steht er dann plötzlich, der diesjährige Let’s-Dance-Gewinner Alexander Klaws, den die Tecklenburger lange vor dem Finale des TV-Contests für die Titelrolle hatten verpflichten können. Und sein Outfit ist noch relativ bescheiden und, gemessen an der damaligen „Mode“, alltäglich. Die prächtig-bunten Träumer-Robe, die das Fass zum Überlaufen und ihm schließlich zum Verhängnis werden soll, spendiert Papa Jakob (herrlich: Reinhard Brussmann) seinem Lieblingssohn erst später.
Kanaan-Television proudly presents…
Klaws „Jo“ ist strahlend. Anfangs eitel, in Folge smart, charismatisch, emotional - und verzweifelt. Vom Traum und der verruchten Madame Potiphar (Juliane Bischoff) verführt, landet der Jüngling erst mal im Knast. Als rechte Hand des rockenden Pharao (Julian Looman) beweist er, vom Sklaven zum wichtigsten Berater des Herrschers aufgestiegen, später Weitblick, ist stolz und Kraft Amtes voller Würde. Passt! Mimisch wie gesanglich. Wenngleich: Der Vokalpart dieser Figur dürfte keinen wirklich guten Sänger ernsthaft an seine Grenzen bringen.
Wenn, neben vielem anderen, noch etwas von dieser Inszenierung lange und positiv nachwirkt, dann ist das vor allem Josephs Brüderschar, die ihn als Sklave an vorbeiziehende ägyptische Händler verscherbelt, ihrem alten Herren aber glauben macht, er sei von einem wilden Tier gerissen worden. Eine Ansammlung herrlich skurriler, liebevoll und mit Augenzwinkern ge- und überzeichneter Gestalten, die spielten, sangen und tanzten, was das Zeug hielt. Zwischendurch durften sie, als Hippies verkleidet, auch mal an einem Riesen-Joint nuckeln. Aus eben jener erlauchten Runde rekrutierten sich auch die drei Moderatoren des Kanaan-TV, die das Geschehen zwischendurch auf der überdimensionierten, stilisierten „Mattscheibe“ rekapitulierten: „…und schalten Sie nächste Woche wieder ein, wenn es heißt „Goodbye Kanaan, Deine Auswanderer“. Eine gelungene Persiflage auf entsprechende, ähnlich betitelte Doku-Soaps im Privatfernsehn.
Prost, der Alte säuft!
Ob man bei „Ein Engel mehr schwebt am Himmel“ tatsächlich einige von stilisierten Wolken flankierte weiße Flügelwesen auf der oberen Bühnenempore hätte herum flanieren lassen müssen, ist wohl eher auch eine Geschmacksfrage und bewegte sich hart an der Grenze zum Kitsch. Sei’s drum. Dass Familienoberhaupt Jakob aus Verzweiflung über den Verlust seines Lieblingssohnes dem Suff verfällt und teils lallend und unsicheren, wackligen Schrittes durchs weitere Leben bis nach Ägypten torkelt, war eine neue Sichtweise. So hat man den Patriarchen sonst noch nie erlebt. Aber seiner Autorität tat das keinen Abbruch. Und Reinhard Brussman bewies selbst in diesem doch eher bescheiden ausgelegten Part wieder seine Klasse. Als Max von Mayerling wird man von diesem großartigen Künstler an gleicher Stelle in „Sunset Boulevard“ etwas mehr zu sehen und zu hören bekommen.
Die Tecklenburger Bühne hat einen Ruf zu verteidigen, weshalb ein schnöder „Joseph“- Aufguss von Anfang an sowieso nicht in Betracht gekommen war. Die Verantwortlichen bewiesen stattdessen (wieder einmal) Mut, Neues zu wagen und Althergebrachtem einen anderen Dreh zu verpassen. Das Publikum weiß längst, dass es hier nicht nur blendend, sondern auch fair bedient wird. Die Shows sind, wie die beteiligten Künstler auch, hochkarätig und ausgereift, der Preis dafür angemessen und keinesfalls, wie bei anderen Anbietern, überzogen. Top-„Ware“ für vergleichsweise wenig Geld. Das ist auch eine der wesentlichen Ingredienzen des Beuleke’schen Erfolgsrezeptes. Ein erneuter Besuch in Tecklenburg ist deshalb, wie gehabt, ohne Einschränkungen zu empfehlen. Von „Joseph“ stehen bis einschließlich 24. August insgesamt 2ß Aufführungen auf dem Spielplan. Und da wäre dann ja auch noch die alternde Stummfilm-Diva Nora Desmond, die verzweifelt versucht, Anschluss an die neue Kinowelt zu bekommen. „Sunset Boulevard“ feiert am 25. Juli Premiere. Film ab und Leinwand frei!