Impressionen Bahndamm
Impressionen Bahndamm
Nun sind die Umzugsarbeiten getan, und man hat endlich etwas Zeit, sich die neue Umgebung anzuschauen. Die Gelegenheit ergibt sich günstig, da ich ja jeden Tag mit meinem Hund unterwegs bin.
Unsere Stadt, die eher einem Dorf gleicht, haben wir bald durchkämmt. Nun aber wo es Sommer ist, und das Wetter zu längeren Spaziergängen einlädt, sind wir beide oft unterwegs , um die nähere Umgebung anzuschauen.
Da es hier in früheren Jahren eine Eisenbahnverbindung gab, liegen noch heute die Gleise, am Stadtrand.
Hierhin zog es mich mit Benny meinem Hund. Hier kann ich ihm die Leine abnehmen und er kann unbeschwert rumtollen. Benny ist ein Jack-Russel Rüde, er braucht viel Bewegung, die ich ihm hier geben kann.
Ich fand diesen mit Gras und kleinen Bäumen umwucherten Bahndamm romantisch und irgendwie unwirklich schön. Hier blühen Königskerzen, Lupinen und andere Blumen ungestört vor sich hin.
Bis hierher kommen wohl auch keine Arbeiter von der Gemeinde um das wuchernde Gras kurz zu halten. Hier ist alles gottbelassene Natur. Für Betrachter die mit wachem Sinn die Umgebung erkunden eine wahre Augenweide.
Auch Benny fühlt sich hier stets wohl, und rennt ausgelassen über die Gleise, die hier noch liegen.
Solche naturbelassenen Gegenden verführen schnell zum träumen. Lächelnd ging ich wieder einmal den Weg zu den Gleisen am Bahndamm, und dachte darüber nach, wie es hier wohl war als noch die Züge nach Kaltennordheim und Dorndorf fuhren.
Indem ich meinen Gedanken nachhing, bildete ich mir ein, ein Zischen zu hören so wie es früher die Dampfloks taten, auch hörte ich aus weiter Ferne das Pfeifen einer Lok. Ich musste lachen, und dachte, na nun ist es soweit, meine Fantasy geht wohl nun entgültig mit mir durch.
Aber was ist in Träumereien nicht alles möglich, und ich dachte mir nichts weiter dabei.
Nur eines war doch komisch. Es zog mich immer wieder dorthin an den Ort, wo eine Eisenbahnbrücke über den kleinen Fluss, die Felda führte. Dort oben hatte ich einen herrlichen Blick über unsere Stadt. Was das interessanteste war, die Kombination zwischen alt und neu. Dort oben das alte Bahngelände, und gleich gegenüber der Bau neuer Werkhallen und Fabriken. Und wollte ich diese nicht sehen, brauchte ich mich nur umdrehen, und sah Wald soweit das Auge reicht.
Oft bin ich dann diesen Weg am alten Bahndamm gegangen, mit Benny, und manchmal einem Buch zum lesen. Wenn ich Zeit hatte , habe ich mich auf das alte Brückengemäuer gesetzt, und habe gelesen.
Es war zu schön dort, die Blumen, das hohe Gras, die Sonne, nun eben Sommer pur.
Da wir zu unseren neuen Nachbarn einen sehr guten Kontakt haben, erzählte ich ihnen von diesen Ausflügen mit Benny. Mein Nachbar schaute mich an, und meinte „was denn dort gehst du spazieren ?“ Ich dachte mir nichts dabei, und bejahte . Die Frau des Nachbarn, meinte daraufhin „ja warum soll sie nicht, es ist doch ideal für Benny, dort kann er rennen“. Der Nachbar sagte darauf nichts mehr, und holte sich sein zweites Bier, das Thema war für ihn erledigt.
Hinter dem alten Bahnhof lag eine Schräbergarten-Kollonie.
Wunderschöne gepflegte Gärten gab es da, Alle sehr fruchtbar, da an der Felda gelegen, grünte und blühte es dort .
Ein guter Bekannter feiert dort immer seinen Geburtstag, dort kann gegrillt werden, und laute Musik stört da auch niemanden. In diesem Jahr war ich das erstemal dabei, da wir ja erst kurze Zeit hier wohnen, aber uns schon angefreundet haben.
Auch meine Nachbarn waren da, denn hier war es Sitte dass alle Bekannte zum Geburtstagskaffee geladen werden. Diese Kaffeestunde dehnt sich meist bis in den späten Abend und länger. Das Wetter war so schön, dass wir bis spät im Garten am Grill saßen und klönten.
Auch ich, die ansonsten keinen Alkohol trinkt, hatte mich zu einigen Gläsern Wein überreden lassen. In gemütlicher Runde geschieht dies schon mal.
Wir lachten viel, und waren ausgelassen. Doch da ich ein Frühaufsteher bin, halte ich es dann am Abend nicht all zu lange aus. So kam es dass ich mich kurz vor 0 Uhr auf den Weg nach hause machte. Da sagte mein Nachbar im Scherz zu mir, „na dann kannst Du ja mit dem Nachtexpress nach hause fahren“ und er lachte dazu. Ich fing den Spass auf und antwortete, „ja klar, der Bahndamm ist ja ganz in der Nähe, aber der Zug hält sicher nicht wegen mir auf offener Strecke“ Über meine Schlagfertigkeit lachten alle, und unter Gelächter verabschiedete ich mich dann schnell.
Ich dachte, es wäre keine schlechte Idee, wirklich den kürzesten Weg über die Bahnschienen zu nehmen, ich zögerte nur kurz, wegen dem hohen Gras, aber das war ja noch trocken. Also kletterte ich den kleinen Hang zum Schienenstrang hoch, und lief von Schwelle zu Schwelle, noch etwas angeheitert vom Wein, bemerkte ich nicht gleich das singen und die Musik in der Ferne. In dem Moment schlug die Kirchturmuhr zwölf mal, es war Mitternacht.
Nun war die Musik nicht mehr zu überhören, und das Geräusch das ich von den Zügen her kannte, die früher hier fuhren. Ich wusste nicht was ich davon halten sollte. Der Lärm wurde stärker und lauter, bis ich merkte dass da wirklich eine Eisenbahn hinter mir schnaubte.
Vor Angst und Schrecken sprang ich vom Gleis in das hohe Gras am Bahndamm. Ich dachte, was ist das ? das darf doch nicht möglich sein. Seit 18 Jahren fährt hier kein Zug mehr. Die Gleise sind rostig und unbenutzt.
Ich hörte dass dieser Zug voller Menschen war, denn das lachen und singen drang bis zu mir hin. Ich fragte mich ob hier alles mit rechten Dingen zugeht, da stand der Zug auch schon , und ein sehr alter Mann rief mir aus der Lok zu, „na komm Mädel, steig auf, und fahr mit uns, wir feiern“. Ich war so perplex über seine spontane Aufforderung, dass ich ihm antwortete. Ich wollte wissen was sie denn zu feiern haben, der alte Mann sagte zu mir ! „Jedes Jahr am gleichen Tag, machen wir hier unsere Abschlussfahrt, und zwar an dem Tag, an dem diese Strecke tot gelegt wurde“. „An dem Tag, wurden viele Menschen, wie Zugführer, Schaffner , Gleisbauer, Fahrkartenverkäufer, sowie das Personal der Mitropa arbeitslos“. „ja Mädel, und jedes Jahr feiern wir an diesem Tag, indem wir mit Musik und Gesang unsere alte Strecke abfahren“.
Also stieg ich ein, mit gemischten Gefühlen zwar, aber warum sollten mir diese armen Menschen denn etwas tun.
Als wir am Bahnhof ankamen, hielt der Zug, und ich stieg aus. Ich wollte noch einen Dank zurufen, und eine schöne Nacht wünschen, doch als ich ausgestiegen war, löste sich der Zug in Nebel auf, so als ob es ihn nie gegeben hätte. Sprachlos stand ich da, und dachte , ob ich wohl doch ein Glas Wein zu viel getrunken hatte. Aber nein, ich wusste genau dass es sich wirklich zugetragen hatte. Schließlich hatte ich ja mit den Leuten im Zug gescherzt gelacht und gesungen. War es auch nur eine kurze Strecke die ich mitfahren durfte, aber es war so schön, dass ich es nicht vergessen werde.
Meinen Nachbarn habe ich davon nichts verraten, wer weis , vielleicht lachen sie mich ja aus, und sagen, dass ich wohl doch zu viel Wein getrunken habe. Aber noch immer gehe ich gern mit meinem Benny am alten Bahndamm spazieren.
Bürgerreporter:in:Jutta Herchenhan aus Stadtlengsfeld |
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