Kleine Odyssee nach Bredenbeck
Vier Stunden für Arztbesuch im elf Kilometer entfernten Nachbarort
Ich mache mir selbst zu viel Stress, sagte sich Arne. Am Ende geht es doch einfacher als befürchtet. Erleichtert ließ er die Tür der Bredenbecker Arztpraxis hinter sich zufallen. Er hatte nicht wirklich gehofft, gleich 20 nach Neun noch den ersten Bus zurück zu erwischen. Wahrscheinlicher war es, erst gegen Mittag wieder zu Hause in Springe zu sein. Aber diesmal ging es unerwartet flott: Lungenfunktionstest, Blutabnahme, EKG geschrieben. Kurz bevor der Minutenzeiger der Praxisuhr einen Umlauf hinter sich gebracht hatte, stand er schon wieder auf der Straße und sah hinüber zum Denkmal, um das die Busse oft eine Ehrenrunde drehten.
Bis zur nächsten Abfahrt war die Wartezeit überschaubar. Das ließ sich aushalten und mit einem Gang leicht überbrücken. Etwas unentschlossen ging er ein Stück ins Dorf, dann wieder zurück, zog sein Handy aus der Jackentasche und stutzte: Die Zeit war kaum vorangekommen. Also schlug er eine größere Runde ein, kehrte aber auch diesmal noch viel zu früh wieder an den Ausgangspunkt zurück. Mehr fiel ihm nicht ein, außer, bis zur nächsten Haltestelle unweit des Ortseingangs vorzulaufen. Zeit genug war dafür noch. Wofür der Bus nur eine Minute benötigte, wie es im Fahrplan stand, das würde er in der verbleibenden Zeit lässig schaffen. Auch an diesem Ziel war er viel früher, als ihm lieb war. Es schien, als würden die Ziffern auf dem Handy nicht richtig vorankommen.
Bredenbeck, Lavesstraße, hatte er noch die Ansage im Bus von der Herfahrt im Kopf. Und auf dem Fahrplan war im Vergliech zum Denkmal nur eine Minute hinzugekommen. Also noch eine kleine Runde drehen. Dann wäre es fast so weit gewesen. Aber was ist das? Erst jetzt sticht ihm der rote Zettel über dem Fahrplan ins Auge. Oh Gott, diese Haltestelle wird heute kaum bedient. In Panik und im Unklaren, was das bedeuten könnte, läuft er erst eiligen Schrittes mit Kurs aufs Denkmal, wo er hergekommen war, dann besinnt er sich, weil er nicht so schnell wie ein Bus sein und niemals in einer Minute den Weg zurücklegen kann, macht kehrt und geht zur verwaisten Haltestelle retour. Vielleicht macht der Busfahrer eine Ausnahme und hält aus Mitleid doch. In Alvesrode hatte er am Morgen auch noch einmal gestoppt, als ihn die Augen eines verschlafenen Schülers ein paar hundert Meter nach der Haltestelle anflehten. Alles wird gut.
Doch Augenblicke später verstand er, dass er nichts begriffen hatte. Hier kommt gar kein Linienbus lang, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen: Die Baustelle auf der Bundesstraße, die Auffahrt ist gesperrt, der Bus käme gar nicht weiter, also dreht er am Denkmal, fährt einen Umweg über Holtensen und biegt dort auf die B217 ab. Natürlich, das ist es, die Haltestelle, an der er stand, wurde nicht bedient, weil sie abgehängt war. Schöne Bescherung. Wie blöd hatte er sich angestellt: Um Zeit zu gewinnen, hatte er Zeit verloren. Eine ganze Stunde. Bis zum nächsten Bus. Etwas Zuversicht keimte noch in ihm. Und wenn der Bus nun Verspätung haben sollte. Also jagte er zurück zum Denkmal, doch die Hoffnung trog. Bredenbecks Ortsmitte war an diesem Vormittag verblüffend belebt, so viele Passanten hatte er dem Dorf gar nicht zugetraut, aber ein Bus der Linie 382 wollte sich nicht einstellen. Es blieb Arne nichts anderes übrig, als sich eine weitere Stunde um die Ohren zu schlagen. Diesmal allerdings lässt er sich zu keinen Fisimatenten verleiten: Er weicht nicht vom Denkmal und verharrt ziemlich stur in unmittelbarer Nähe der Haltestelle. Zu seinem Erstaunen verstreicht die Strafstunde sogar schneller als befürchtet.
Ich mache mir eben immer zu viel Stress, sagte sich Arne, und schiebt die Streifenkarte in den Entwerter. Entspannter hatte er eine Busfahrt noch nie genossen. So also fühlt sich Entschleunigung an. Mit diesem Wort hatte er früher nie etwas anfangen können. In 33 schnelllebigen Jahren, die gerade abhakt sind. Kaum zu glauben, dass es einem auch mit weniger Tempo gut gehen kann. Vier Stunden für einen Arztbesuch: Dieses Lehrgeld reut ihn ausnahmsweise nicht.
Bürgerreporter:in:Clemens Wlokas aus Springe |
1 Kommentar
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.