Erinnerungen: Kindheit im Winter (ab 1945), Teil II "drinnen"
Im Winter spielte sich unser "Drinnenleben" in der Küche ab. In unserem Einfamilien-Siedlungshaus mit integriertem Schweinestall und Plumsklo war nämlich die Küche der einzige Raum, der permanent beheizt wurde. Zwar stand auch in der "guten Stube" ein Ofen, ein kleiner brauner Kachelofen, aber der wurde nur sonntags, an Feiertagen und zu besonderen Anlässen benutzt.
Also zurück zur Küche: Das Herzstück war der große, weiß emaillierte Herd mit einem meterlangen Rohr, das oben in den Schornstein führte. Links befanden sich zwei kleinere Türen, hinter denen oben die Feuerstelle und unten der Aschekasten war. Rechts fand man einen Backofen, wenn man die Klappe öffnete. Auf dem Herd standen immer ein großer Topf und ein Kessel mit heißem Wasser zum Mischen, denn aus der Leitung kam nur eiskaltes Wasser - wenn sie nicht gerade eingefroren war!
Unsere Mutter machte morgens zu allererst Feuer an, nachdem sie den Aschekasten geleert hatte. Erst kam zerknülltes Papier, dann kleine Holzspalten aus der Kiste neben dem Herd und zuletzt ein in Zeitungspapier eingewickeltes Brikett auf den Rost. Das Papier wurde angezündet, bald breitete sich wohlige Wärme in der Küche aus, und die Eisblumen am Fenster schmolzen dahin.
In unserem Haus wohnten nach dem Krieg sieben Personen: Außer den Eltern, meiner Schwester und mir waren das noch Opa Friedrich, Oma Helene und Onkel Emil, der Zwillingsbruder unserer Mutter. Die Drei mussten aus dem damaligen Schlesien fliehen und waren bei uns untergekommen. Und alle tummelten sich im Winter tagsüber in der warmen Küche, in der außer dem Herd noch ein großer Tisch mit Stühlen in der Mitte, ein Küchenschrank an der Wand und eine Chaiselongue unter dem Fenster standen. Neben dem Schrank in der Ecke hingen Waschbecken und Spiegel. Im Becken wusch sich die Familie. Samstags aber wurde der Tisch beiseite gerückt um Platz für die große Zinkwanne zu machen. Denn Samstag war Badetag; erst die Kinder, dann die Erwachsenen!
Grundsätzlich kochte Oma Helene, Mutter half, putzte oder handarbeitete, Vater und Onkel gingen ihrer Arbeit nach, wir Kinder vormittags zur Schule. Opa Friedrich, der taub war und nur "wasserpolnisch" sprach, was wir Kinder nicht verstanden, hackte Holz oder saß da und rauchte seine Pfeife. Alle kümmerten sich auch um die Tiere: Schwein, Gänse, Hühner und Kaninchen. Alles für die Selbstversorgung!
Wenn wir aus der Schule kamen, gab es Mittagessen, manchmal in zwei bis drei Schichten. Man saß um den Tisch herum, der noch eine Verlängerung bekommen hatte, die mit Scharnieren zum Hoch- bzw. Runterklappen versehen war. Auf dem Tisch wurde anschließend das Geschirr gespült, wobei wir Kinder helfen mussten. Dann war er frei, und wir konnten unsere Hausaufgaben erledigen, bevor wir zum Schlittenfahren usw. nach draußen durften.
Nach dem gemeinsamen Abendessen wurden entweder Karten - meistens "Schwarzer Peter" - oder "Mensch ärgere dich nicht" gespielt oder wir beschäftigten uns mit unseren Puppen. Dazu lief immer das Radio, ein schwarzer "Volksempfänger" mit bräunlichem Stoff vor dem runden Lautsprecher. Wenn es ein Hörspiel gab, hörten wir alle gespannt zu. Auch während der Nachrichten mussten wir den Mund halten. Bei Musik sangen wir oft mit. Während Oma und Mutter strickten oder häkelten, saß ich mit angezogenen Beinen auf meinem Lieblingsplatz, der Holzkiste neben dem warmen Schornstein und habe gelesen, gelesen, gelesen ...
Damit brachte ich meine Mutter oft zur Verzweiflung. Sie hätte es lieber gehabt, wenn ich mich mehr für Haus- und Handarbeit interessiert hätte.
Die Bücher holte ich mir aus der Leihbücherei und fieberte immer schon dem nächsten Tauschtermin entgegen. Auch bekamen wir neben der Tageszeitung einmal pro Woche die Lesemappe "Daheim", die ebenfalls mit Inbrunst verschlungen wurde.
Im Winter wurden die Gänse geschlachtet. Oma saß dann in der warmen Küche, rupfte die Federn aus der toten Gans und stopfte sie erstmal in einen Bettbezug. Später wurden sie geschlissen, woran sich fast die ganze Familie beteiligte. Wir saßen um den Tisch herum, rissen die Federn von den Kielen und sortierten sie in Daunen und übrige. Das Federnschleißen war ein "Riesenspaß", denn die Küche sah anschließend aus wie nach einer Kissen- oder Schneeballschlacht. Niesen durfte man auch nicht, obwohl es in der Nase kribbelte!
Oft saßen wir auch nur bei Kerzenlicht um Strom zu sparen, und Oma sowie die Eltern erzählten Geschichten "von früher", was wir Kinder besonders gern hörten.
Manchmal kam noch Tante Ruth dazu, Mutters jüngste Schwester, die beim Bauern in unserem Ort "in Stellung" war. Dann waren wir acht Personen um den Tisch herum, und es wurde richtig voll, aber urgemütlich in unserer warmen Küche im Winter.
Bürgerreporter:in:Irmgard Richter-Brown aus Springe |
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