Mission Possible: Agrarpolitikwende in Niedersachsen
Kaum gewählt, schon Klassenfeind Nummer 1 der Agroindustriellen. Christian Meyer, künftiger Agrarminister in Niedersachsen. Furcht geht um. Werden die Subventionspfründe der Industriebauern jetzt austrocknen? Sind die Privilegien im Bundesbaurecht zugunsten der Landwirtschaft bald Makulatur? Den Industrieagronomen ist der eloquente und unerschrockene 37-jährige Sozialwirt aus Holzminden nicht geheuer. Deshalb wird schon gegen ihn mobilgemacht. Es kann doch nicht sein, dass ein „Nichtlandwirt“ Agrarminister wird. Und überhaupt – sind Meyers Agrarreformen überhaupt nötig? Die Geschütze, Meyers politische Selbstverpflichtungen zu atomisieren, sind in Stellung gebracht. Ob Biogasindustrie, in- und ausländische Agroheuschrecken – sprich Investoren – oder Chemische- oder Pharmaindustrie: Alle sehen sich schon auf der Verliererseite. Und das ist gut so.
Wer Christian Meyer von den Bündnisgrünen live erlebt hat, weiß um seine Unerschrockenheit im Umgang mit der Agrarlobby. Er hat seine einschlägigen Erfahrungen. Jahrelang kämpfte er Seite an Seite mit den Gegnern der Massentierhaltung, gegen die Vermaisung unserer Landschaften, gegen die biochemische Vergiftung unserer Lebensgrundlagen durch exzessive Landwirtschaft. Das wissen seine alten und neuen Gegner. Das macht ihn für sie unberechenbar und gefährlich.
Meyer passt ganz sicher nicht in die Schublade der grob gestrickten frühen Atomgegner. Was er sagt, hat Hand und Fuß. Und er kann ganz sicher manchem versierten Landwirt fach- und sachlich begründete Empfehlungen für eine umwelt-, tier- und menschengerechte Landwirtschaft geben. Dass er jetzt schon im Kreuzfeuer von Agrar- und Fleischlobby steht, darf nicht verwundern, denn sein Programm ist zugleich auch die Zielsetzung der Bündnisgrünen für die Agrarpolitik in Niedersachsen.
Noch glaubt man, Meyers Engagement durch ständiges Bohren madigmachen zu können. Die Medien bieten sich als Boten jener an, die ihn in ihre Schablone gepresst haben möchten. Wird Meyer weich und den Lobbyisten wohlgefällig werden? Wohl kaum. Christian Meyer scheint mitnichten der Typ zu sein, der sich nach erfolgreichem Wahlkampf in den Ministersessel zurücklehnt. Er weiß um Verantwortung und Selbstverpflichtung, die ihn in diese Position gehievt haben. Und er weiß auch, dass der Stimmenzuwachs der Grünen in Niedersachsen nicht zuletzt auch seiner Solidarität mit den Gegnern der Agroindustrie zu danken ist.
Noch einen Tag vor der Landtagswahl demonstrierten vor dem Kanzleramt in Berlin rund 25.000 Menschen gegen die unsäglichen Zustände bei Massentierhaltung, Vermaisung und gegen die biologisch-chemischen Keulen, die durch die Landwirtschaft eingesetzt werden. Die Demonstranten waren ganz sicher keine Spinner, wie sie all zu gern abgetan werden, sondern betroffene Bürger und Landwirte. Sie kamen überwiegend aus den bürgerlichen Lagern. Sie setzten in Berlin Akzente. Der Erfolg der Bündnisgrünen in Niedersachsen war nicht zuletzt eindeutiges Ergebnis zugunsten einer Sinnes- und Richtungsumkehr der Agrarpolitik im heutigen Schweineland. Das wird auch auf die übrigen Bundesländer und auf den Bund abfärben.
Christian Meyer ist die neue und treibende Kraft an der Spitze des Agrarressorts. Er wird hoffentlich unerschrocken in der Durchsetzung seines Programms bleiben. Auch wenn es dem Koalitionspartner SPD nicht passen sollte. Denn im Herbst sind Bundestagswahlen und das Thema Reform der Landwirtschaft wird wohl das heißeste Eisen der Nachkriegszeit sein, dass die Politik je anpacken musste. Christian Meyer kommt die Ehre zu, als Erster den Schmiedehammer zu schwingen, um das glühende Eisen Agroindustrie Funken stiebend zu bearbeiten. Das wird er zielstrebig tun.
Meyer weiß auch, dass Reformen vom Wehklagen der Agroindustrie und verbundenen Industriezweigen begleitet werden wird. Verlust von Arbeitsplätzen wird beklagt werden. Werden wir deswegen hungern oder frieren müssen? Um es auf den Punkt zu bringen: Wir haben in Deutschland schon einige Strukturwandel hinter uns. Ein genereller Ausbaustopp für Biogasanlagen, die Abkehr von extensiver Landwirtschaft, ein gesetzlich kontrollierter Einsatz von Chemikalien auf Böden Pflanzen und bei Tieren, dürften keine Katastrophen sein.
Es müßte allen noch in Erinnerung sein, als wegen Fukushima deutsche Atomkraftwerke abgeschaltet wurden ohne Rücksicht auf wirtschaftliche Folgen und Arbeitsplatzverluste. Das hatte kaum jemanden so richtig berührt. Auch nicht, dass dabei ganze Berufsfelder in Industrie und Kraftwirtschaft mit Tausenden von Mitarbeitern diskriminiert wurden. So werden wir auch jetzt bei einem Strukturwandel in der Landwirtschaft zur Tagesordnung übergehen und neue Wege finden.
Also, warum sollte die Agroindustrie hier eine Sonderrolle einnehmen? Erinnern wir uns: Angst vor schleichender Verstrahlung durch Atomkraftwerke wurde an jeder Ecke und Kante genährt. Es wird Zeit, auch einmal anzuerkennen, dass der biologische Fallout durch die Landwirtschaft in Gestalt von Gärresten, Antibiotika, Dünger usw. nicht minder gesundheitsschädlich für Natur, Tier und Mensch ist. Überdies ist zu fragen, ob die Landwirtschaft Vorsorgecents für die Beseitigung biologisch-chemischer Folgeschäden bezahlt.
Die Richtung, die Herr Meyer einschlagen will, stimmt. Kein weiterer Ausbau von Biogasanlagen, verschärfte Auflagen für bestehende Anlagen. Tierhaltung die sich orientiert an der landwirtschaftlichen Größe der Betriebe und Großvieheinheiten. Kontrollierter Einsatz von Medikamenten in der Tierhaltung. Die Aufhebung der Privilegierungsparagrafen im Bundesbaugesetz. Keine Subventionen mehr für Fleischwirtschaft und Investoren in der Agroindustrie. Engagierte Förderung einer sanften Landwirtschaft – das ist die Richtung, die Zukunft heißt.
Glück auf, Christian Meyer, Sie haben eine breite Unterstützung in der Öffentlichkeit. Nutzen Sie sie.
Bürgerreporter:in:Friedrich Schröder aus Springe |
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