Gorleben, Castor – Zustand der Unschuld unwiederbringlich verloren

... HAZ-Grafik ... | Foto: HAZ

Die Medien haben sich warm gelaufen. Nur noch wenige Stunden verbleiben bis zum Show Down in Gorleben. „Zehntausende warten in Gorleben auf den Castor“ titelt die HAZ und schreibt darunter: „SPD-Chef Gabriel wirft Merkel Feigheit vor“. Die Ambivalenz der Berichterstattungen in Print, Funk und TV erscheint oft grenzwertig. Einerseits werden alte Gorlebenschlachten aufleben lassen, andererseits wird zur Besonnenheit aufgerufen – bloß keine Eskalationen.

Wer die Medien aufmerksam kritisch verfolgt, fragt sich, in welchem Film man eigentlich ist. Denn es ist keine neue Bewegung gegen Castor, Gorleben und deutscher Atompolitik auszumachen. Was heuer passiert, ist die Fortsetzung dessen, was in den 60er Jahren begann. Junge Demonstranten von damals kommen heute meist als gutsituierte Rentner oder Pensionäre nach Gorleben. Daneben hat sich eine Parallelgruppe, Jugendliche und Schüler auf den Weg gemacht. „Atommüll – zurück an den Absender“ schreiben sie auf Transparente und Plakate.

Aber wer ist denn der Absender des radioaktiven Inhalts der Castore, die am Wochenende in Gorleben ankommen werden? Das sind jedenfalls nicht die Franzosen, sondern wir Deutschen. Es dürfte an dieser Stelle keinen Sinn machen, wen man letztlich dafür verantwortlich machen muss, dass es überhaupt Atomkraft in Deutschland gibt. Es würde auch an Haarspalterei grenzen zu fragen warum wir als selbstverständlich akzeptieren, dass Radioaktivität in der Medizin unumstritten ist, weil sie ja heilen kann.

Ich will jetzt nicht weiter werten, von welcher Moral ich mich leiten lasse. Aber man darf doch anmerken dürfen, dass berechtigte Zweifel an der Redlichkeit mancher Politiker angebracht sind. Zweifel an der Sicherheit der Atomkraft gibt es nicht zuletzt seit dem Baubeschluss des Forschungsreaktors München 1957. Seither wird rechtlich gestritten, ob Atomkraft verantwortbar, zumutbar, nötig ist. Aber – kein Gericht hierzulande hat jemals entschieden, dass Kernkraftwerke abzuschalten seien, weil von ihnen unmittelbare Gefahr ausgehe.

Im Brustton der Überzeugung beschwören die politischen Gabriels und Trittins nach wie vor die Gefährlichkeit der Atomkraft. Doch sie schlossen 2002 den Laufzeitbegrenzungsvertrag. Sie haben bewusst die Gefahr für die Öffentlichkeit in Kauf genommen, sie dem Risiko ausgesetzt, weil ja währenddessen bis zum Abschalten nichts passieren kann, was sie zu verantworten hätten. Sie scheuten sich, das politische Risiko einer Milliardenentschädigung der Kernkraftwerksbetreiber einzugehen. Dass ist, mit Verlaub gesagt, ein moralischer Gau. Nun ereifern sich Grüne und Rote über die Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke und versuchen im Aufwind des Stuttgart-21-Widerstandes und der Gorlebendemonstrationen politisch Profil zu gewinnen. Ich schäme mich für diese Doppelmoralisten, die mit dem ehrlichen Anliegen der Castorgegner kaum noch was am Hut haben, sondern die Gelegenheiten nutzen, sich medienwirksam in Szene zu setzen.

Wir haben die Atomkraft. Wir alle müssen diese Bürde tragen. Das ist eine Generationenverantwortung, die man durch bloße Demonstration nicht los werden wird. Rund 24 Millionen Euro wird der Castoreinsatz der Polizei kosten. Das ist Geld, dass auch die Befürworter der Atomkraft zu zahlen haben. Was der Demonstrationstourismus kostet oder kosten wird, dürfte auch in die Millionen gehen. Es liegt mir fern, den Demonstranten gute Ratschläge zu geben, aber das Geld, das sie in die Teilnahme investieren, sollte besser auf einem Notaranderkonto landen. Mit diesen Millionen könnte auf dem Rechtsweg für die Abschaltung gefochten werden. Dieser Weg dauert seine Zeit. Geduld ist gefragt. Kernkraft gibt es seit den fünfziger Jahren und zumindestens noch über die Restlaufzeit.

Welcher Weg des Ausstiegs auch beschritten werden wird – die Verantwortung für die Endlagerung von radioaktivem Müll aus Atomkraftwerken, Krankenhäusern und Forschung bleibt bis zum Sanktnimmerleinstag bestehen. Es ist die Ironie des Schicksals, dass am Ende Gegner und Befürworter der Atomenergie gemeinsame Sache machen müssen, denn es gibt keinen Weg zurück in den Zustand der Unschuld - wir sitzen alle im selben Boot. Es lohnt also nicht, sich gegenseitig weh zu tun.

Bürgerreporter:in:

Friedrich Schröder aus Springe

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