Der besondere Film: „Nachttransport“

2016: Blick vom Hotel Donner in Cuxhaven über die Elbe zum Kaiser-Wilhelm-Koog mit dem Windpark Westküste...
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  • 2016: Blick vom Hotel Donner in Cuxhaven über die Elbe zum Kaiser-Wilhelm-Koog mit dem Windpark Westküste...
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In meinem vorletzten my-heimat-Artikel berichtete ich über den Windpark Dahle in der Gemarkung Bad Münder. Unterdessen hat sich viel getan, obwohl infolge von Starkwind das 25-köpfige Montageteam zeitweise kürzer treten musste. Überdies kam der Arbeitsablauf ins stocken, weil die Anlieferung wichtiger Bauteile aus verkehrstechnischen Gründen ins Stocken geraten war. In der Nacht zum 6. April erreichten die Rotorblätter für den Turm 2 die Baustelle. In der Nacht zum 9. April folgten die Rotorblätter für den Turm zwei. Ich war auf Einladung Live dabei. Darüber möchte ich jetzt berichten:

Am Am 8. April informierte mich der Nordex-Bauleiter des Windparks Dahle, dass die Rotorblätter für den Turm 1 in der Nacht zum 9. April gegen 01.00 Uhr an der Baustelle eintreffen sollen. Bloß nicht zu spät kommen, sagte ich mir. So war ich bereits gegen 00.30 Uhr vor Ort. Die enge Zufahrt zur Baustelle führt direkt am Hof Priesett an der Hannoverschen Straße vorbei. Im Haus war es stockduster. War ich der einzige Neugierige? Vorsorglich hatte ich eine Thermoskanne mit Tee dabei. Ich bezog meine Position an der Straße. Aufkommender Wind vertrieb den Nebel – es wurde frisch. Die Kälte kroch an meinen Beinen hoch. Ich setzte mich ins kalte Auto und trank heißen Tee.

Kommt Zeit, kommt Erinnerung

Die Zeit des Wartens überbrückte ich mit einer Rückschau auf meine ersten Begegnungen mit der Windenergie. Ich erinnerte mich an das Jahr 1983. Damals wurde GROWIAN – die Große Windenergieanlage mit 3 Megawatt Leistung (1 Megawatt - MW = 1.000 Kilowatt - kW) auf dem schleswig-holsteinischen Kaiser-Wilhelm-Koog in Betrieb genommen. GROWIAN war ein Gemeinschaftsprojekt von RWE, Schleswag und HEW und wurde überdies durch das BMFT gefördert. Es sollte Erkenntnisse liefern über den Betrieb von Windenergieanlagen sowie deren Entwicklungschancen als Zukunftstechnologie. Wegen technischer Probleme musste die Anlage jedoch nach etwa 420 Betriebsstunden „vom Netz“ genommen werden. 1987 wurde sie demontiert.

In den Führungsetagen von Elektrizitätswirtschaft und Politik war man über den Mißerfolg nicht überrascht. Schon vor dem Scheitern sagte RWE-Vorstandsmitglied Günther Klätte, Zitat: “Wir brauchen GROWIAN, um zu beweisen, dass es nicht geht.“ Ähnlich äußerte sich der damalige Forschungsminister Hans Matthöfer, Zitat: „Wir wissen, dass es uns nichts bringt. Aber wir machen es, um den Befürwortern der Windenergie zu beweisen, dass es nicht geht.“ Diese Einstellung ist mittlerweile auf dem Misthaufen der Geschichte gelandet.

Die Aufgabe GROWIAN’s hatte allerdings keine Signalwirkung, künftig die Finger von der Windenergie zu lassen. Im Gegenteil: Anstelle des GROWIANS entstand auf dem Kaiser-Wilhelm-Koog der erste Windpark Deutschlands. Mit insgesamt 30 Windenergieanlagen unterschiedlicher Leistung war er der erste seiner Art in der Bundesrepublik. MAN, Windkraftzentrale und Enercon lieferten die Anlagen, deren Gesamtleistung 1 Megawatt betrug. Der „Windpark Westküste“ ein Treppenwitz der Geschichte mit Blick auf den Bau des Kernkraftwerks Brokdorf in der Nachbarschaft?

Windpark Westküste: technologische Keimzelle

Weit gefehlt: Der Windpark Westküste wurde im August 1987 in Betrieb genommen. Die Akteure nutzten dabei die Erfahrungen aus dem Betrieb von GROWIAN, was den Anschluss von Windenergieanlagen an regionale Stromnetze, Materialverhalten der Anlagenkomponenten sowie die Anordnung von Anlagen in einem Windpark angeht. Seither sind die Windenergieanlagen „gewachsen“, wie man am Windpark Dahle sehen kann. Der Windpark Westküste war unbestritten die technologische Keimzelle für diese Entwicklung.

Natürlich gab es damals auch Widerstand gegen den Ausbau von Windkraftanlagen. Von ihnen gehe Lärm aus, Vögel könnten von den Propellern gehäckselt werden und die Landschaft werde verschandelt, mutmaßte man. Davon wusste auch der damalige Bürgermeister der Gemeinde Kaiser-Wilhelm-Koog, Hinrich Kruse, zu berichten: „Die
Windenergie habe nicht nur Freunde“, sagte er anlässlich der Einweihung des Windparks Westküste. „Diese Technik brauche daher eine engagierte Öffentlichkeitsarbeit“, adressierte er mit Blick auf den Vorstand des regionalen Stromversorgers. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund baute die Schleswag auf dem Kaiser-Wilhelm-Koog ein ein Informationszentrum zur Geschichte und zum Nutzen der Windenergie. Es wurde 1988 seiner Bestimmung übergeben. 2008 wurde es einer anderen Nutzung zugeführt.

Bürgermeister Hinrich Kruses Worte gelten noch heute. Denn mit jeder neu geplanten Windenergieanlage wächst die Zahl ihrer Kritiker. Es gibt aber einen gewaltigen Unterschied, denn die heutigen Argumente kommen verfeinert und subtiler, oft wissenschaftlich begründet, daher. Und die Windkraftgegner haben sich bundesweit organisiert. Fast 29.000 Windräder sind hierzulande installiert. Fast an jedem Standort stehen Investoren vor einer Mauer aus Ablehnung und Misstrauen. Was politisch beschlossen wird, muss privatwirtschaftlich umgesetzt werden. Das war schon immer so, ob bei Kohle-, Gas-, oder Kernkraftwerken. Kritik hin oder her: Öffentlichkeitsarbeit ist nach wie vor ein „hartes Brot“ und sie ist oft auch für die Protagonisten schwer verdaulich. Aber sie ist unentbehrlich. 

GROWIAN war gestern, die Technik der Windenergie hat unterdessen einen rasanten Sprung gemacht. Es werden hocheffiziente Anlagen mit bis zu 6 Megawatt Nennleistung gebaut. Wie hier im Windpark Dahle. Die Masten sind schlanker. Die Maschinenhäuser (Gondeln) sind im Vergleich zum Growian elegant. Die Steuerungen sind optimiert. Die Rotorblätter sind strömungstechnisch deutlich verbessert worden. Sie liegen nun mit größerer Effektivität besser im Wind. Überdies erzeugen sie im Betrieb deutlich geringere Windgeräusche als ältere Anlagen.

Eine wichtige vertrauensbildende Maßnahme organisierte die „Landwind-Gruppe“ vor kurzem. Sie lud an einem Samstag im April via Zeitung und „Buschfunk“ zu einem Informationstag auf der Baustelle des Windparks Dahle ein. Die Resonanz war überragend. In drei separaten Führungen erfuhren die Teilnehmer mehr über technische Details, als eine Broschüre sie vermitteln könnte. Die Landwind-Mitarbeiter wurden nicht müde, auch spontane Fragen zu beantworten. Das war Vertrauensbildung pur.

Nachttransport

Plötzlich wird mein Auto in grelles Licht getaucht. Mit aufgeblendeten Scheinwerfern, Warnblinkleuchten und hellerleuchteten Verkehrszeichen an Front, Seiten und Heck braust ein Vorausfahrzeug des Konvois an mir vorbei und sperrt die Landesstrasse 421 in Fahrtrichtung Springe. Ich schaue nach links. Eine riesige Zugmaschine mit Aufleger kommt auf mich zu. Darauf ruht auf einem Drehschemel die Wurzel des Rotorblatts, dessen Ende in Dunkelheit getaucht ist. Der Nebel teilt sich, der „Nachläufer“ rollt ins Bild. Auf ihm ist gut zehn Meter vor seinem Ende das Rotorblatt auf dem sogenannten Hubadapter abgelegt. Dieser ermöglicht mit hydraulischer Unterstützung das Heben und Senken des Rotorblatts auf dem Drehschemel. Zwischen dem Nachläufer und der Zugmaschine ist ein Stahlseil gespannt. Daran ist eine Girlande mit hellgelben Warnlampen zur Längensicherung befestigt.

Das Gespann verringert die Geschwindigkeit. Die Zugmaschine steuert die enge Einfahrt zur Baustelle an. Der geneigte Laie fragt sich, wie dieses lange Ungetüm ohne anzuecken um die Hindernisse am Priesett’schen Hof vorbei kommt. Immerhin ist das Gespann von der vorderen Stoßstange bis zur Spitze des Rotorblatts rund hundert Meter lang. Der Trick: Hinter dem Nachläufer fährt ein Begleitfahrzeug, aus dessen Cockpit der Nachläufer „ferngesteuert“ wird. Dieses Fahrzeug folgt dem Gespann sozusagen auf dem „Fuß“ - vom Beladen bis zum Entladen. Der Fahrer steuert die Räder des Nachläufers während die Zugmaschine in die Kurve fährt. Im Begleitfahrzeug ist jetzt höchste Aufmerksamkeit angesagt, denn der Fahrer muss den Nachläufer behutsam in die Fahrtrichtung der Zugmaschine steuern und dabei besonders darauf achten, dass das Rotorblatt nirgendwo „aneckt“.

Was erlebe ich gerade? Spannung pur, gebe ich mir selber die Antwort. Ich bin begeistert, mit welch einer Präzision der Schwertransport vor meinen Augen vorbeidefiliert. Natürlich sind das eingespielte Teams, die den Konvoi begleiten. Respekt, kann ich nur sagen, Respekt, zumal solcherart Transporte nur des Nachts zu verkehrsarmen Zeiten abgewickelt werden können. Was sagt mir das aber auch noch? Vor vierzig Jahren brauchte man für den Antransport von deutlich kleineren Windanlagen eher einige Umzugswagen denn einen „Convoi Exceptionnel“.

P.S.: Heute wurde das dritte Rotorblatt der Windenergieanlage Nr. 2 montiert. 



Bürgerreporter:in:

Friedrich Schröder aus Springe

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