16. Internationaler Sondershäuser Kristall-Lauf
Ein Lauf-, Veranstaltungs- und Hintergrundbericht
Während dieser Sportveranstaltung befahren Langstreckenläufer eine Strecke von 11,7 Kilometern in Deutschlands ältestem noch in Betrieb befindlichen Kaliwerk. In einer Tiefe von 700 Metern erkunden sie auf drei Runden die Unterwelt von Sondershausen in Thüringen.
Mit den Grundzügen der bergmännischen Sprache sollten die Besucher schon ein wenig vertraut sein. Laufsportler, die bei einem Wettbewerb eine Strecke „befahren“, klingt erst einmal irritierend. Dabei ist es nur so, dass Bergleute jede Fortbewegung unter Tage als „Fahren“ bezeichnen. Bevor die Athleten sich nach der Ankunft zum Start begeben, ziehen sie sich erst einmal im Umkleideraum um. Und der heißt, wie es auf einem Schild steht, „Kaue“. Von einem Bergmann wird ein Besucher ganz nachdrücklich mit „Glückauf“ begrüßt. Als Antwort wird ebenso ein „Glückauf“ erwartet und nicht etwa ein lässiges „Guten Tach auch“ - oder so. Ein wenig später werden sich die Sportler auf der Laufstrecke nach kühlerer Luft sehnen, was dann korrekt mit „frische Wetter“ bezeichnet werden muss. Auf einer „Wettertafel“ kann der Interessierte sich aber schon vorher über den Zustand der Atemluft informieren, die der „Wettermann“ dort eingetragen hat. Zu den Aufgaben dieses Bergmanns gehören auch die „Wettermessungen“ in den einzelnen Grubenbauen.
Für den Kristall-Lauf besteht ein Teilnehmerlimit von 500 Athleten. Das Startareal befindet sich im Hauptstollen zwischen der Förderkorbanlage und der 50 Meter entfernten Startlinie. Während sich einige Sportler im Stollen noch warmlaufen, finden sich immer mehr Läufer hinter dem Startbanner ein. Es folgt der gleiche Ablauf wie bei jedem Wettbewerb: Ungeduldiges Warten und Anspannung. Endlich eine Durchsage - aber im hinteren Starterfeld ist nichts zu verstehen. Das Läuferfeld setzt sich in Bewegung - und geht. Nach einer ganzen Weile immer noch und zerstreut sich dann. Von einem Zuschauer erfahre ich, dass der Start um eine halbe Stunde verschoben ist. Durch einen Defekt am Förderkorb sind noch nicht alle Teilnehmer eingefahren.
Dreißig Minuten später erfolgt tatsächlich der Start. Nach kurzer Zeit verlassen die Sportler den geräumigen und hellen Hauptstollen und tauchen in das spärliche Licht der normalen Stollen ein. Ein Schutzhelm und eine Lampe sind für jeden Starter vorgeschrieben. Diejenigen, die sonst keinen Sicherheitshelm tragen, sind gut beraten, vorher das Teil unter Praxisbedingungen zu testen. Erst recht, wenn daran noch eine Lampe befestigt wurde.
Gleich nach dem Abbiegen wartet schon die erste Steigung auf das Läuferfeld. Die ist noch halbwegs moderat und schon geht´s wieder bergab. Rasch wird allen Beteiligten bewusst, dass ein Bergwerkslauf auch ein Berglauf ist. Die Anstiege werden nun stärker oder länger oder auch schon mal beides. Gefälleabschnitte fordern volle Aufmerksamkeit für den Untergrund und verführen zur Leichtsinnigkeit. Der Höhenunterschied beträgt 85 Meter pro Runde (3,9 km). Da beim Kristall-Lauf drei Runden zu absolvieren sind, addieren sich die Höhenmeter zum Schluss auf 255.
Wie bei den meisten Laufveranstaltungen habe ich meine Kamera während des Laufs dabei. Ich will soviel wie möglich bei diesem Abenteuer am 26. Oktober 2013 unter Tage fotografieren. Das erweist sich aber schwieriger als gedacht. Im Stollen ist es durch den großen Abstand der Lampen (bis zu 50 m, gefühlt) recht dunkel. Dadurch hat die Kamera Probleme mit dem Fokussieren. Es dauert lange oder führt zu keinem Ergebnis. Aufnahmen in der Nähe der Leuchtstoffröhren geben ein gutes Bild von der Situation im (Halb)-Dunkel, mit der die Athleten zurechtkommen müssen.
Fotos mit Blitzlicht erhellen den Stollen von der Decke bis zur Sohle und die Akteure werden gut ausgeleuchtet. Da der Boden überwiegend mit gemahlenem Salz bedeckt ist, wirbeln die Laufsportler Salzstaub auf, der das Licht vom Blitz in der Nähe der Linse reflektiert. Diese runden Lichtreflexe sind mehr oder weniger auf jedem Foto mit Blitz zu sehen.
Erwartungsgemäß befinden sich auf dem Parcours durch die Stollen keine Zuschauer. Man ist mit sich (und natürlich den anderen Ausdauersportlern) allein im Bauch der warmen Erde. Die Temperaturangaben in Berichten sind unterschiedlich. Ob aber ein Besucher jemals ein Thermometer dabeihatte, bezweifele ich. Die Betreiber vom Besucherbergwerk sprechen von durchschnittlich 23 Grad Celsius. Nach meinem Empfinden lag die Temperatur eindeutig höher. Mit dem geothermischen Gradienten kann man den Wärmezustand in der Tiefe ziemlich genau bestimmen. Dieser Wert besagt, dass pro 100 Meter die Temperatur um 3 °C ansteigt. Ausgehend von einem konstanten Temperaturwert von 10 °C in 10 Meter Tiefe (Sommer wie Winter) ergibt sich für 700 Meter ein Wert von 31 °C (Gesteinstemperatur). Und dieser Wert kann dann nur durch die Belüftung reduziert werden. Nur an einer Stelle auf dem Rundkurs konnte ich einen merklichen Frischluftstrom feststellen.
Mittlerweile habe ich zum dritten Mal am Kristall-Lauf teilgenommen. Es war wieder ein ganz besonderes Erlebnis in den Resten eines 250 Millionen Jahre alten prähistorischen Meeres zu laufen. Die Strecke ist nicht leicht zu meistern, aber mit der nötigen „Leiden“schaft erlebt man etwas ganz und gar Einmaliges in 700 Metern Tiefe unter der Region Sondershausen.
Das Kaliwerk „Glückauf“, manchmal auch als „Brügman-Schacht“ bezeichnet, ist das älteste noch befahrbare Kaliwerk der Welt. Im Jahr 1892 erfolgte die erste Bohrung. Die Lagerstätten erstrecken sich auf eine Fläche von 23 km², in der sich Stollen von einer Gesamtlänge von fast 500 Kilometern befinden. Zum Zeitpunkt der Schließung (1991) arbeiteten fast 3.000 Menschen am Standort Sondershausen. Heute sind noch 230 Mitarbeiter beschäftigt, die ein Erlebnisbergwerk betreiben, sich um den Versatz (Verfüllung) kümmern und seit 2006 wieder Steinsalz für den Winterdienst fördern.
Wie schon beim 13. Kristall-Lauf haben wir wieder in der Burg Großfurra übernachtet. Sie befindet sich mitten im gleichnamigen Dorf Großfurra (1350 Einwohner), das nur fünf Kilometer vom Brügman-Schacht entfern ist. Die Burg wurde von einem thüringischen Landgrafen im 11. Jahrhundert erbaut. Das heutige Besitzerpaar betreibt in dem alten Gemäuer eine Privatvermietung von Zimmern und Ferienwohnungen. Wer neben dem Untertagelauf nach einem weiteren Highlight sucht, liegt mit diesem mittelalterlichen Ambiente hinter dicken Mauern genau richtig. Die Familie war jedenfalls begeistert. Und den Berichterstatter faszinieren Burgen seit jeher.
1. Plätze - Sondershäuser Kristall-Lauf 2013 - 11,7 km
Michael Müller, SV Glückauf Sondershausen, 39:13 min
Irene Bell, LG Team Erdinger, 51:13 min
www.spargelsprinter.de.vu
Bürgerreporter:in:Rainer Lingemann aus Uetze |
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