Abtanzball
Heute ist mir zufällig ein Fotoalbum in die Hände gefallen, in das mein Vater vor etlichen Jahren meine gesammelten Jugendfotos eingeklebt hat. Ich schlage es beiläufig auf und schon springt mir das Gruppenbild meines Abtanzballs entgegen.
Ich dachte, ich hätte diese Zeit des Tanzunterrichts erfolgreich verdrängt, aber die Vergangenheit ist gnadenlos und holte einen immer mal wieder ein.
Ich habe auch heute noch nichts gegen den gepflegten Gesellschaftstanz, aber seinerzeit empfand ich den Tanzunterricht eher als grausliche Angelegenheit.
Wir halbstarken "Herren" in einer Reihe auf der einen Seite, die Damen - ebenfalls gereiht - auf der anderen. Nach eindringlichen Ermahnungen des Tanzlehrers, sich doch gesitteter zu betragen als beim letzten Mal, geht's ans Auffordern. Eine Meute von 18 Jungmännern stürzt sich unter Einsatz ihrer Ellenbogen auf die drei vermeintlich hübschesten Damen, was auf dem glatten Parkett nicht immer ohne Stürze vonstatten geht. Zwangsläufig gucken dabei 15 Tanzeleven damenmäßig in die Röhre. Nun ja, gegen Ende des Tanzkurses hatten sich die Paare gefunden und dem Abtanzball stand nichts mehr im Weg.
Aber von Entspannung keine Spur. Die Herren mussten ihre Dame mit einem Blumenstrauß von zu Hause abholen. Wobei - wohlgemerkt - die Blumen der Mutter der Tanzpartnerin mit einem tiefen Diener überreicht werden mussten. Dazu die Frage an beide Eltern, ob man denn ihre Tochter zum Ball ausführen dürfe. Ich durfte.
Meine Partnerin war ein sehr sympathisches und hübsches Mädchen und da auch ihre Eltern eher von der lockeren Art waren, zerstreuten sich meine Ängste vor den gesellschaftlichen Zwängen zusehends.
Die nächsten Ängste kamen dann direkt vor dem Ball. Kann man vor den unbestechlichen Augen des Tanzlehrerehepaars und vor allem vor der versammelten Elternschar bestehen ?
Blamiert man sich womöglich ? Es gibt doch so viel, was man bei Foxtrott, Rumba etc. falsch machen kann. Dazu noch als Krönung den Walzer links herum. Meine Beine fühlten sich leicht gummihaft an. Dass auch unsere Damen nervös waren, konnte man daran sehen, das sie sich mehrfach gruppenweise zu "Restaurierungszwecken" zurückzogen.
Mein Vater hatte wohl ein tiefes Verständnis für meine Nöte. Er stellte mir mit einem wohlwollenden Nicken ein Glas Weißwein hin. Dies war ich von meinem alten Herrn nicht gewohnt, genauso wie ich Alkohol nicht gewohnt war. Jedenfalls hatte der Wein eine höchst beflügelnde Wirkung auf meine Beine. Kurz gesagt, niemand hat sich blamiert, Eltern und Tanzlehrer waren stolz auf uns und ich auch ein kleines bisschen auf mich selbst.
Wir waren ein Stück erwachsener geworden.
Bürgerreporter:in:Günther Eims aus Sehnde |
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