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Alle Jahre wieder - Ein Weihnachtsmärchen für Erwachsene

Das Wort Weihnachten löst bei mir nicht immer Vorfreude aus. Ich liebe dieses Fest nicht mehr so wie früher, als ich selbst noch ein Kind war und alle meine Lieben um mich hatte. Die vorweihnachtliche Hektik ist mir zuviel, mit seiner unnatürtlichen Flimmer-Glitzer-Atmosphäre, sie erschlägt mich, wenn ich nur ein Kaufhaus betrete. Ich kann sie nicht mehr hören, die geliebten Weihnachtslieder, wenn sie nur dazu dienen, meine Kauflust zu steigern! "Oh du fröhliche, oh du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit?"
Was ist los mit mir? Habe ich denn gar nichts mehr übrig für einen schön geschmückten Christbaum in einem schön geschmückten Einkaufsmarkt? Gleich um die Ecke, im "Billig-Kauf-Paradies" steht ein solcher Christbaum. Drei Meter hoch ist er und ein wahres Wunderwerk an Polyäthylen, garantiert "umweltfreundlich, nadelfest und immergrün"! Wenn das nichts ist, was kann dann noch mein Herz höher schlagen lassen und Weihnachtsstimmung zaubern?
Mein schlechtes Gewissen bringt mich auf eine glänzende Idee:
Heuer werde ich statt zehn Sorten Weihnachtsgebäck gleich fünfzehn auserlesene Sorten köstlichster Backkunst aus meiner duftenden Weihnachtsküche hervorzaubern und damit alle meine Freundinnen schlagen! Gleich morgen fange ich damit an, Ehrenwort ! Auch könnte ich in diesem Jahr ein besonders raffiniert zusammengestelltes Festmenü vorbereiten, das alle Erwartungen meiner Lieben übertreffen wird. Zwar weiss ich, dass meine Jüngste am Heiligen Abend am liebsten Würstchen mit Kartoffelsalat isst, aber ich werde ihr dann schon erklären, dass wir nicht jedes Jahr das gleiche essen können. Und außerdem wäre es ja geradezu peinlich, wo doch Tante Anni und Onkel Otto heuer wieder zu Besuch kommen und sie ganz bestimmt etwas besseres gewöhnt sind, als Würstchen mit Kartoffelsalat.
Übrigens: Im vorigen Jahr hatten wir auch schon diesen lieben Besuch zu Weihnachten. Die beiden sind schon etwas älter, ohne Kinder, dafür aber mit einem reizenden kleinen Hündchen und sonst ganz dankbar, wenn sie Weihnachten nicht allein feiern müssen. Ihr Struppi, so heißt das reizende kleine Hündchen, ist an Weihnachten immer so melancholisch und jault jedesmal, wenn er "Stille Nacht, heilige Nacht" hört. Da kann ihm selbst die beste Weihnachtswurst nicht mehr helfen. Er schnuppert zwar immer an der zartrosa eingewickelten Köstlichkeit, aber dann geht es wieder los, er jault und jault. Armer Struppi!
Ganz spannend wird es aber bestimmt erst, wenn die Kinder ihre Geschenke auspacken dürfen. Haben wir doch genau jene Herzenswünsche erfüllt, die im Brief ans "Liebe Christkind" aufgelistet waren. Oft tut man sich da als Mutter etwas schwer, aber im "Freundlichen Fachgeschäft" erfahre ich dann alles Wichtige. Ein "Freundlicher Fachberater" erklärt mir, dass es heute nur noch "pädagogisch sinnvolles " Spielzeug gibt. Jedes Kinderherz muß einfach höher schlagen, wenn es so einen niedlichen Kuschelteddy bekommt, der sage und schreibe sechzehn Sätze sprechen kann. Sollte ich aber Zweifel haben, könnte ich ja den putzigen weißen Plüschhund nehmen. Er macht einen Salto rückwärts und wedelt sogar mit dem Schwanz, wenn man an der kleinen goldenen Kette zieht, die er um den Hals trägt. Und das alles zu dem sagenhaft günstigen Preis, von 19,95 € Ein echtes "Zugreifangebot"!
Hat man aber autofanatische Söhne zu beschenken, besticht geradezu das neueste und technisch-sensationell aufgestylte "Super-Auto". Ein echtes Verwandlungsauto und natürlich mit Kabelfernsteuerung! Es fährt traumsicher in alles Richtungen und läßt sich, das ist der Clou, in einen Roboter verwandeln. Drückt man dann noch auf einen Knopf, ertönen vier elektronische Sound-Signale, und die Augen des Roboters leuchten auf. Einfach phantastisch!
Nach solchen und ähnlichen Erfahrungen wird der Weíhnachtseinkauf zu einem echten "Erlebnis", ganz wie es im Werbeprospekt versprochen wird.
Habe ich dann alle meine Einkäufe erledigt, meine Plätzchen gebacken, mein Festmenü vorgekocht und portionsgerecht eingefroren, steht ja alles bestens! Wäre nur noch die Weihnachtspost zu schreiben, die Wohnung zu putzen und weihnachtlich herzurichten, und die Päckchen an Oma und Patentante rechtzeitig abzuschicken, dann- ja dann, kann ich eigentlich recht zufrieden sein mit mir. Wieder einmal habe ich alles bestens im Griff. Alles ist doch nur eine Frage der richtigen Einteilung! Eine erfahrene Hausfrau wie ich, hat dann immer noch genügend Zeit, um all die Dinge zu tun, die ihr Weihnachten so liebenswert machen. Vielleicht stricke ich mal wieder? Vater könnte zu Weihnachten noch gut einen Pullover gebrauchen...!
Naja, eigentlich bräuchte ich mir um dieses Weihnachtsfest wirklich keine Sorgen mehr zu machen. Kann es sein, dass Sie mir das nicht glauben?
Ich erzähle doch keine Märchen! Oder doch?

(C)Heidi Kjaer 2008

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9 Kommentare

Wie schön, dass meine Geschichte so verstanden wird, wie sie gemeint war: ein inneres Aufbegehren gegen Konsumzwang und Wertediktat. Der christliche Hintergrund bleibt Nebensache oder wird gar nicht mehr beachtet.

Liebe Heidi,

ich bin erst heute, mitten im Frühling, auf dein Weihnachtsmärchen gestoßen. Schon beim Lesen ist bei mir der Streß bewusst geworden, den uns unsere Konsumgesellschaft und die Werbefachleute und wir selbst ja auch mit ... immer schöner, immer mehr, immer weiter entfernt vom eigentlichen Sinn des Weihnachtsfestes, ab September machen. Seit einigen Jahren mache ich da nicht mehr mit. Und es geht mir gut mit dieser Einstellung. Die Weihnachtszeit ist wieder eine Zeit der Besinnung für mich geworden.

Ich wünsche dir einen schönen Frühling, Sommer, Herbst und eine besinnliche
Weihnachtszeit.
LG,Ruth

Danke, liebe Ruth, für diesen Kommentar.

Die Geschichte ist schon viele Jahre alt und es wundert mich tatsächlich, dass es einen Menschen gibt, der jetzt im Frühjahr diese Geschichte lesen will.
Im Rahmen eines Autorenwettbewerbes wurde sie mit dem 1.Preis ausgezeichnet. Das war vor mehr als 30 Jahren und deshalb kann es hier auch erwähnt werden. Aber, da kann man mal sehen, wie lange ich mich schon mit schreiben von Geschichten und Gedichten beschäftige. Er wird wohl meine Freude bleiben, so lange ich lebe.

Auch auch dir, liebe Ruth, eine gute Zeit durch das Jahr.
LG Heidi

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