Eine Weihnachtsgeschichte
Es war mein erstes Weihnachten an das ich mich erinnern kann.
Der Winter 1946 war kalt. Ich muss erst in die nahe Vergangenheit gehen. Unser Vater war gerade aus der Gefangenschaft gekommen und hatte uns gesucht. Wir wohnten am Ende des Kriegs in einem Dorf, weil wir aus Sicherheitsgründen Hannover verlassen mussten.
Die Unterkunft dort befand sich im ersten Stock eines Bauernhauses mit einer furchtbaren steilen Treppe. In der Wohnung krabbelten Mäuse auf der Tapetenleiste herum , fielen ab und zu hinter der abgelösten Tapete nach unten und verschwanden in ihren Löchern.
Als der Krieg zu Ende ging, kamen viele Menschen die Dorfstraße entlang. Wir mussten reinkommen, weil wir Kinder das nicht sehen sollten. Später erfuhr ich, dass diese Menschen nach Bergen Belsen getrieben wurden. Ab und zu kippte einer um.
Weil keine Wohnung in Hannover zu finden war und unsere alte Wohnung schon belegt war, bekam unsere Familie eine Gartenlaube zugewiesen. Unser Opa baute einen Vorbau, eine Art Windfang an die Laube. In diesem Anbau saßen wir nun an einem wackeligen Tisch, den unser Vater aus dem anderen Zimmer mit dem Küchenherd geholt hatte auf vier verschiedenen Hockern und Stühlen.
Vier Kinder im Alter von 5 bis 9 Jahre.
Unser Vater hatte irgendwo eine Tanne geklaut, die jetzt in der Ecke stand und mit vier alten Kugeln, die den Krieg überstanden hatten. Einige Kerzen sind auch aufgetrieben worden. Die leuchteten viel schöner als unsere Petroleumlampe.
Wir bekamen kalte Füße und Hände. Die Füße standen auf dem festgestampften Sandfußboden.
Die Hände konnten wir dann an neuen Trinkbechern wärmen, die unsere Mutter auf den Tisch stellte. Darin befand sich ein wässeriger Kakao. Jeder bekam noch drei Kekse. Die schmeckten, ich glaube es waren die Leibniz- Kekse mit den Zacken. Die wurden langsam nach und nach abgenagt.
Ich glaube wir hatten dann noch gesungen.
Die Eltern verschwanden dann in den Raum mit dem Herd. Sie froren oder wollten ihre Tränen nicht zeigen.
Im Backofen erwärmten sich zwei Ziegelsteine für unsere Füße nachher im Bett. Es gab zwei Betten in dem Raum für uns Kinder. Sonst passte nichts hinein. Die dreiteiligen Matratzen hatten keine Laken und die Kissen und Deckbetten keine Bezüge. Die wurden aber von uns und den Steinen schnell wärmer.
Was dann an Weihnachten alles noch passierte, weiß ich nicht mehr.
- Gabriele F.-Senger
am 17.12.2022
um 22:06
Kommentar wurde am 17. Dezember 2022 um 22:07 editiertHallo Hartmut,
eben habe ich Deinen Kommentar von heute, als Ergänzung zu Deinem obigen Beitrag gelesen --- was für eine enttäuschende und traurige Erfahrung für einen kleinen Jungen...
So etwas vergisst man nie....
Ich wünsche Dir und Deiner Frau eine gemütliche und friedliche Advents- und Weihnachtszeit!
Gabriele