Rintelner Wirtschaftswunderzeit im Spiegel der Spirituosen
Beim Wort „Wirtschaftswunder“ schweifen die Gedanken zurück in die 1960er Jahre mit Kohleofen, Samstag Badetag, Sonntagsbraten, Musikbox, Sonntagsgarderobe und des allgegenwärtigen legendären VW-Käfers. Und der heute als uriger Schienenoldtimer losbrummende „Uerdinger Schienenbus“ war damals ein hochmodernes, aber profanes Verkehrsmittel. Bahnbeamte saßen am Fahrkartenschalter, und bei der Güterabfertigung der Deutschen Bundesbahn konnte man Stückgut wie einen 10-kg-Eimer Salzheringe und einen Karton Fischkonserven aus Glückstadt in Empfang nehmen. Vorbei war die Knappheit der Nachkriegsjahre, und die damals noch zahlreichen kleinen Kaufmannsläden waren wieder aufgefüllt mit Wein und Verdauungsschnäpsen.
In einem Rintelner Keller hatte davon bis in die Gegenwart eine kleine Auswahl überdauert, und zwar als Nachlass einer alten Dame, den eine wiederum recht alt gewordene Dame geerbt und vor 3 Jahren ihrerseits hinterlassen hat. Als Jugendliche mit dem Mangel während und nach dem 2. Weltkrieg konfrontiert, neigte diese Generation zu ausgeprägter Vorratswirtschaft. Verschenken kam nicht in Frage, und nicht daran gedacht wurde, dass irgendwann der Gang in den Keller zu schwer fällt und das Likörchen durch bittere Arznei ersetzt werden würde. Jedoch haben sich dadurch seltene und vielfältige „spirituoelle“ Erfahrungen ergeben: liegend aufbewahrter lieblicher Wein mit echtem Korken von 1961 schmeckte einfach fantastisch! Trockener Tischwein mit Schraubverschluss dagegen lud erst gar nicht zum Probieren ein. Überraschend war auch der Kräuterlikör „Aromatique“ von Verwandten aus der DDR noch genießbar, während sonst liegend aufbewahrtes Hochprozentiges ebenfalls durch Kontakt mit den Metall- und Plastikverschlüssen nicht zum Verkosten verführte.
Bei näherer Betrachtung der Flaschen zeigte sich auch die wirtschaftliche Bedeutung der Spirituosen für die Stadt Rinteln. Ein leckerer Portwein trug den zusätzlichen Aufdruck der Weinhandlung „Herm. Paulus, Rinteln“. Dazu Heidelbeerwein der „Pomona Kellerei GmbH“, die 1998 leider von Rinteln nach Hessisch Oldendorf umsiedelte. Nicht fehlen darf natürlich „der Gute Pott“, bis 2003 in Rinteln abgefüllt. Die Firma Pott-Rum hat das noch heute bestehende Werk dann an Schwarze und Schlichte verkauft. Die Rumflasche weist das Dreiecksymbol der Rintelner Glashütte Gebr. Stoevesandt auf und brauchte damals zur Abfüllung nur über die Dankerser Straße gebracht werden. Aus dem damaligen Rintelner Einzelhandel ist ein Preisetikett von REAL WERT Kauf (Bahnhofsallee, heute Getränke-Quelle) erhalten geblieben, und von Puls, der Laden war früher in der Weserstraße, hatte eine Flasche der Eigenmarke „Nordlicht“ Rum-Verschnitt die Zeit überdauert.
Interessant auch die Entwicklung der Flaschen selbst: Ein 1957er Höllengrat befand sich in einer 0,7-l-Flasche mit dem sagenhaften Gewicht von 700 Gramm. Die gleiche Menge Beaujolais von 1959 war noch in 575 Gramm Glas enthalten, während die Beaujolaisflasche von 1964 nur noch leichte 425 Gramm wiegt.
Zu weit würde hier die Beschreibung führen, ob die einzelnen Flaschen noch im Blas-Blas-Verfahren oder schon im moderneren Enghals-Preß-Blas-Verfahren entstanden sind und bei welcher Glashütte. Aber wo man hier schon bei Thema "Nostalgie" ist: Zwar gibt es schon lange nicht mehr die Eisenbahn mitten durch die Stadt, aber von Rinteln Süd geht es noch ab per Draisine (http://www.draisinen.de) und ab Bösingfeld per Museumszug: http://www.extertalbahn.de/
Nicht nur für Rintelner bequem ab "Rinteln Nord" (beim Bahnübergang Mindener Straße, Museumsbahnsteig hinter Lidl): mit dem historischen "Uerdinger Schienenbus" durch das Schaumburger Land über Bad Eilsen und Obernkirchen nach Stadthagen; der Fahrplan ist unter http://www.der-schaumburger-ferst.de zu finden! (Fahrradtransport kostenlos)
Seit 2013 gibt es dieses empfehlenswerte Buch, welches sich eingehend mit der Extertalbahn beschäftigt: http://www.myheimat.de/rinteln/kultur/buchtipp-mit...
Bürgerreporter:in:Burkhard Rohrsen aus Rinteln |
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