Erdogan hat gewonnen
Schon Mesut Özil sprach damals von "meinem Präsidenten" - wohl klar mehrheitsfähig unter den türkischstämmigen Menschen in Deutschland

Foto: Pixabay

Ich bin kein Türke, lebe auch nicht in der Türkei. Das Bild, das unsereiner sich von der politischen Türkei, wenn ich es mal so formulieren darf, macht, ergibt sich aus Nachrichten und öffentlichen Berichten. Türkischstämmige Menschen, besonders türkischstämmige Jugendliche und ihre Eltern, habe ich zur Genüge durch meinen Beruf als Lehrer kennen und menschlich zumeist schätzen gelernt. Als ich vor Zeiten mal wieder eine fünfte Klasse übernahm, fragte ich die Kinder, woher sie kämen. Von einem Schüler, einem durchweg netten Schüler, hörte ich: Aus der Türkei. Dabei stellte sich heraus, dass er als Nachkomme einer Gastarbeiterfamilie in Deutschland geboren wurde und auch die deutsche Staatsangehörigkeit besaß bzw. besitzt. Ob zusätzlich die türkische Staatsangehörigkeit, weiß ich nicht. Nur eine kleine Begebenheit, ich befürchte aber, bezeichnend für ein übergeordnetes Phänomen, zu dem auch das gehört, was sich gestern nach der knappen Wiederwahl Recep Tayyip Erdogans zum Staatspräsidenten der Türke, die dieser womöglich rechnerisch den türkischstämmigen Menschen aus Deutschland zu verdanken hat, auf deutschen Großstadtstraßen abgespielt hat.

Zur Veranschaulichung hier ein Link zu einem Artikel der WAZ Duisburg:
https://www.waz.de/staedte/duisburg/duisburger-tuerken-feiern-erdogan-mit-autokorso-und-wahlparty-id238524935.html

Womöglich, nein, vielleicht wahrscheinlich waren unter den den Sieg Erdogans feiernden zumeist jüngeren Menschen, augenscheinlich hauptsächlich jüngere Männer, auch manche ehemalige Schüler von mir, habe ich doch in der Nachbarschaft unterrichtet. Was wäre wohl in Duisburg-Hamborn und auf deutschen Straßen anderswo gewesen, hätte Kilicdaroglu, Erdogans Gegenkandidat, gewonnen, der schließlich 48 Prozent bei der Stichwahl erringen konnte und mit seiner politischen Agenda dem Westen, insbesondere Deutschland, wesentlich näher steht als Erdogan? Ich vermute: Nichts.

Man muss den Eindruck haben, in Deutschland lebende und dort zumeist geborene Menschen mit türkischem Migrationshintergrund, auch wenn nicht selbst migriert, sehen sich in ihrer Mehrheit eher als gesellschaftliche Mitglieder der Türkei denn als gesellschaftliche Mitglieder Deutschlands und haben ein großes Interesse an Erdogans autokratischer Führerpolitik, an nationalistischem Selbstbewusstsein, was sie jetzt mächtig kundgetan haben. Sogar das wirtschaftliche, schon lange anhaltende Desaster für viele Türken und Türkinnen, die in der Türkei leben, spielt da überhaupt keine Rolle. 

Mich irritiert das alles zutiefst. Was ich wahrnehme, spricht jedenfalls nicht für gelungene Integration. Liegt es an fehlender Begleichung der Holschuld oder fehlender Begleichung der Bringschuld - oder an beidem? Aber was heißt hier misslungene Integration, wenn ich an die jungen Menschen denke, deren Zuwanderungsgeschichte auf ihre Großeltern oder Eltern beschränkt ist und die jetzt auf die Straße gegangen sind? Die leben doch seit ihrer Geburt in Deutschland, sind mit unseren Verhältnissen groß geworden.

Hat die deutsche Gesellschaft, hat Deutschland da versagt, haben die Migranten versagt, wobei für mich angesichts des Geschehens die erste Einwanderungsgeneration gar nicht im Fokus steht?

Mesut Özil, Gelsenkirchener Jung, lange Jahre erfolgreicher Fußballspieler, sogar Regisseur in der deutschen Fußballnationalmannschaft, hat sich offensichtlich völlig von Deutschland abgewandt, hat jetzt bei den türkischen Parlamentswahlen für Erdogans AKP kandidiert.

Und was ich mit meinem Beitrag hier thematisiere, hat im Wesen vermutlich nur am Rande zu tun mit der Frage "Erdogan oder Kilicdaroglu".

Nebenbei, und doch so wichtig nach meinem Dafürhalten: Doppelte oder mehrfache Staatsangehörigkeiten erscheinen mir äußerst kontraproduktiv.

Übrigens fände ich es toll, wenn auf solch einer Plattform wie myheimat auch einmal diejenigen sich zu Worte melden würden, über die man spricht. Miteinander zu sprechen, wäre sicherlich zielführend. Aber vielleicht bedürfte das eines Quantensprungs, von dem man sich natürlich zu Recht fragt, warum er nicht geschieht.

Bürgerreporter:in:

Helmut Feldhaus aus Rheinberg

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