Pidder Lüng (Liliencron)
Homo homini lupus - und die Menschen zerrissen im Spannungsfeld zwischen "Lewwer duad üs Slaav" und "Lewwer Slaav üs duad" - und viele Fragezeichen
Ach ja, der Klügere gibt nach, wie so schön und doch selten umgesetzt ein altes Sprichwort sagt. Man will ja schließlich nicht als der Dumme und Leidtragende dastehen. Denke ich an die Ukraine oder Israel oder an andere Kriege, aber auch an Auseinandersetzungen auf niedrigeren Ebenen bis hin zur privaten Ebene, so entpuppt sich das Sprichwort als hohles Gerede. Ich erkenne überall Liliencrons Pidder Lüng mit dessen Wort "Lewwer duad üs Slaav" (Lieber tot als Sklave). Plädoyers, wenn auch nicht explizit so ausgesprochen, für "Lewwer Slaav üs duad" hört man dennoch, in der Regel von Außenstehenden oder nicht unmittelbar Betroffenen. Gute Absicht oder Verlogenheit? Schwierig.
Hier einfach mal als Denkanstoß oder zur Erbauung das Gedicht:
Pidder Lüng Detlev Freiherr von Liliencron, 1844-1909
»Frii es de Feskfang,
frii es de Jaght,
frii es de Strönthgang,
frii es de Naght,
frii es de See, de wilde See
en de Hörnemmer Rhee.«
Der Amtmann von Tondern, Henning Pogwisch,
schlägt mit der Faust auf den Eichentisch:
»Heut fahr' ich selbst hinüber nach Sylt
und hol' mir mit eigner Hand Zins und Gült.
Und kann ich die Abgaben der Fischer nicht fassen,
sollen sie Nasen und Ohren lassen,
und ich höhn' ihrem Wort:
Lewwer duad üs Slaav.«
Im Schiff vorn der Ritter, panzerbewehrt,
stützt finster sich auf sein langes Schwert.
Hinter ihm, von der hohen Geistlichkeit,
steht Jürgen, der Priester, beflissen, bereit.
Er reibt sich die Hände, er bückt den Nacken.
»Die Obrigkeit helf' ich die Frevler zu packen,
in den Pfuhl das Wort:
Lewwer duad üs Slaav.«
Gen Hörnum hat die Prunkbarke den Schnabel gewetzt,
ihr folgen die Ewer, kriegsvolkbesetzt.
Und es knirschen die Kiele auf den Sand,
und der Ritter, der Priester springen ans Land,
und waffenrasselnd hinter den beiden
entreißen die Söldner die Klingen den Scheiden.
Nun gilt es, Friesen:
Lewwer duad üs Slaav!
Die Knechte umzingeln das erste Haus,
Pidder Lüng schaut verwundert zum Fenster heraus.
Der Ritter, der Priester treten allein
über die ärmliche Schwelle hinein.
Des langen Peters starkzählige Sippe
sitzt grad an der kargen Mittagskrippe.
Jetzt zeige dich, Pidder:
Lewwer duad üs Slaav!
Der Ritter verneigt sich mit hämischem Hohn,
der Priester will anheben seinen Sermon.
Der Ritter nimmt spöttisch den Helm vom Haupt
und verbeugt sich noch einmal: »Ihr erlaubt,
daß wir Euch stören bei Euerm Essen,
bringt hurtig den Zehnten, den ihr vergessen,
und Euer Spruch ist ein Dreck:
Lewwer duad üs Slaav!«
Da reckt sich Pidder, steht wie ein Baum:
»Henning Pogwisch, halt deine Reden im Zaum!
Wir waren der Steuern von jeher frei,
und ob du sie wünscht, ist uns einerlei!
Zieh ab mit deinen Hungergesellen!
Hörst du meine Hunde bellen?
Und das Wort bleibt stehn:
Lewwer duad üs Slaav!«
»Bettelpack,« fährt ihn der Amtmann an,
und die Stirnader schwillt dem geschienten Mann,
»du frißt deinen Grünkohl nicht eher auf,
als bis dein Geld hier liegt zu Hauf.«
Der Priester zischelt von Trotzkopf und Bücken
und verkriecht sich hinter des Eisernen Rücken.
O Wort, geh nicht unter:
Lewwer duad üs Slaav!
Pidder Lüng starrt wie wirrsinnig den Amtmann an,
immer heftiger in Wut gerät der Tyrann,
und er speit in den dampfenden Kohl hinein:
»Nun geh an deinen Trog, du Schwein!«
Und er will, um die peinliche Stunde zu enden,
zu seinen Leuten nach draußen sich wenden.
Dumpf dröhnt's von drinnen:
»Lewwer duad üs Slaav!«
Einen einzigen Sprung hat Pidder getan,
er schleppt an den Napf den Amtmann heran
und taucht ihm den Kopf ein und läßt ihn nicht frei,
bis der Ritter erstickt ist im glühheißen Brei.
Die Fäuste dann lassend vom furchtbaren Gittern,
brüllt er, die Türen und Wände zittern,
das stolzeste Wort:
»Lewwer duad üs Slaav!«
Der Priester liegt ohnmächtig ihm am Fuß,
die Häscher stürmen mit höllischem Gruß,
durchbohren den Fischer und zerren ihn fort;
in den Dünen, im Dorf rasen Messer und Mord.
Pidder Lüng doch, ehe sie ganz ihn verderben,
ruft noch einmal im Leben, im Sterben
sein Herrenwort:
»Lewwer duad üs Slaav!«