Tatort heute Abend, beginnend mit einem Ackermatch
Ackermatch, vorher noch nie gehört - Beklopptheit hoch drei
Heute Abend, Tatort im Ersten, er beginnt mit einem brutalen Ackermatch von Fußballhooligans, auch wenn es nicht entscheidend ist für den Tatort-Fall. Ackermatch, vorher noch nie gehört, wohl der Phantasie des Drehbuchschreibers entsprungen, dachte ich. Ich musste mich bei meiner Recherche eines Besseren belehren lassen. So schrieb etwa das Süddeutsche Zeitung Magazin schon vor Jahren aufgrund von Aussagen zweier Insider, die es anonymisierend Adrian und Mirko nennt, über die Ackermatches:
"Das harmlose Erscheinungsbild ist nicht das Einzige, was irritiert. Da ist die Sache mit dem Fußball. Der Sport, sagt Mirko, spielt kaum noch eine Rolle. Sicher, es gibt noch immer Hooligans, die für einen Club brennen, aber das sind längst nicht mehr alle. Wenn ihre 50 Mann starke Gruppe im Alter von 17 bis Ende 30 gegen eine andere Gruppe aus Deutschland antritt, dann nicht für den heimischen Verein, sondern für die Heimat selbst: »Wir sind Stadtpatrioten.«
Adrian nickt. Er sagt, ihn interessiert auch nur »die Hauerei«.
Die nächste Irritation: Der jüngere der beiden Hooligans ist dunkelhäutig. Ob er deshalb keine Probleme hat? Zwischen all den prügelnden Neonazis, von denen in jedem zweiten Artikel über Hooligans die Rede ist? Ach was, sagt Mirko, dessen Eltern ebenfalls nicht aus Deutschland stammen. Wenn, dann gibt es auf dem »Acker« höchstens mal einen Spruch, »Ölauge oder Kanacke oder so« – und das auch nur von Gegnern, die Adrian nicht kennen. Wer einmal gegen »unseren kleinen Allrounder« gekämpft hat, hält beim nächsten Mal den Mund.
Muay Thai, klassisches Boxen, Grappling: Adrian trainiert seit Jahren fast täglich Kampfsport, auch für Wettkämpfe. Deshalb ist er vor zweieinhalb Jahren auch gefragt worden, ob er nicht mal vorbeischauen wolle. »Bei der Gruppe.« Seine Premiere war eine Pleite, sagt er. Er und die anderen haben zwei Stunden lang auf einem windigen Hügel irgendwo in Nordrhein-Westfalen gestanden und gewartet. Die Gegenseite sei einfach weggeblieben, vermutlich, weil sie nicht genügend Kämpfer zusammenbekam. Peinliche Sache, sagt er. So etwas spricht sich rum. Ein halbes Jahr später hatte er dann Glück. Der Gegner trat an, sogar mit vier Mann mehr. Adrian nippt am Tee und grinst übers ganze Gesicht: »Wir haben sie trotzdem weggehauen.« Ja, sagt Mirko. Ein Sieg in Unterzahl, das ist etwas Besonderes.
Dass die Sprache der Hooligans so sportlich klingt, ist kein Zufall. Ein »Ackermatch«, also eine organisierte Schlägerei im Wald oder auf einem Feld, ist so straff organisiert wie ein deutsches Vereinsturnier. Vor dem Kampf, erklärt Mirko, gehen die Chefs der beiden teilnehmenden Gruppen das Gelände ab. Dabei werden auch herumliegende Steine oder dicke Äste weggeräumt – »damit die, die umgehauen werden, sich nicht den Schädel brechen«. Als Nächstes wärmen sich beide Seiten etwa eine halbe Stunde lang getrennt voneinander auf. »Wie im Boxclub«, mit Liegestützen und Schattenboxen. Und schließlich beginnt das, was jedem Neuling »die schlimmste Angst« und Mirko selbst »den schönsten Nervenkitzel« beschert: der Marsch ins Gefecht.
Damit die Schlägerei nicht völlig außer Kontrolle gerät, gelten auch auf dem Acker ein paar Regeln, sagt Mirko. Mundschutz, Bandagen und Lederhandschuhe sind erlaubt, Waffen tabu. Wer beim Match am Boden liegt, wird in Ruhe gelassen. Nur wer dann noch mal aufsteht, »klar, der kriegt’s halt wieder«. Verlierer ist die Gruppe, die für alle Beteiligten erkennbar im Nachteil ist. Das ist dann der Fall, wenn in einem Lager irgendwann deutlich mehr Kämpfer auf den Beinen stehen als im anderen.
Welche Gruppe verliert, ist allerdings weniger wichtig als die Frage, wie sie verliert, sagt Mirko. »Wer sich nach der ersten Runde noch mal neu aufstellt, obwohl er in Unterzahl ist und vielleicht ’ne gebrochene Nase hat, der hat meinen Respekt.« Es geht nicht um Hass, ergänzt Adrian: »Es geht darum: Bist du ein Krieger, oder bist du keiner?«
Echte Hooligans suchen Gleichgesinnte – Gegner, keine Opfer
Krieger. Ehre. Treue. Tapferkeit. Solche aus der Zeit gefallenen Wörter nehmen beide immer wieder in den Mund. Wer weiß, vielleicht ist das am Ende auch ein Faktor, der mit darüber entscheidet, ob ein Mann für diese Form von Gewalt anfällig ist oder nicht: der Wunsch, ernsthaft an einem Bild von Maskulinität festzuhalten, das in der sogenannten Mehrheitsgesellschaft längst verpönt ist."
Wie bekloppt ist das alles denn?
Bürgerreporter:in:Helmut Feldhaus aus Rheinberg |
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