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Wilhelm Neurohr: Zehn Gebote für Abgeordnete und „Berufspolitiker“

Erstes Gebot:

Du sollst dich in Bescheidenheit und im Zuhören üben, denn du hast lediglich eine dienende Funktion auf Zeit für deine Wähler und für das Wohl der Allgemeinheit..
Nicht deine Meinung und deine Person ist wichtig, sondern die Mehrheitsmeinung der Menschen, deren Interessen du zu vertreten hast. Deine eigenen Interessen und Ambitionen haben hinten anzustehen; Vorrang hat der Wählerwille und der Gemeinnutz.

Zweites Gebot:

Sei stets der Wahrheit und nicht der Lüge verpflichtet, denn die weit verbreitete Lüge im öffentlichen Leben und in Wahlkämpfen ist Gift für die Demokratie. Ehrlichkeit und Transparenz sei deshalb oberstes Gebot bei all deinem politischen Wirken und Handeln, um glaubwürdig zu sein. Hüte dich vor Halbwahrheiten, leeren Versprechungen und „faulen Kompromissen“, denn sie verderben die politische Kultur.

Drittes Gebot:

Beteilige dich nicht an Machtkämpfen und politischen Intrigen, sondern folge dem Gebot politischer Fairness, denn sonst verdirbst du deinen Charakter und verlierst deine Aufrichtigkeit. Die dir verliehene „politische Macht auf Zeit“ dient lediglich der wirksamen Durchsetzung ausgewogener und mehrheitsfähiger politischer Ziele bei gleichzeitigem Minderheitenschutz, nicht der Vorführung der politischen Ohnmacht deines Wahlvolkes oder des politischen „Gegners“.

Viertes Gebot:

Bewahre deine Unabhängigkeit und fühle dich nicht eigennützigen Interessengruppen und Lobbyisten verpflichtet, sondern ausschließlich den gemeinnützigen Anliegen zum Wohle aller. Sei nicht käuflich, denn maßgebend ist nicht die Höhe der Parteispenden zahlungskräftiger Konzerne und Gruppierungen, auch nicht lockende Nebeneinkünfte oder lukrative Jobs nach deiner politischen Laufbahn, sondern allein das Maß der politischen Zu-stimmung in der betroffenen Bevölkerung.

Fünftes Gebot:

Betätige dich stets als Kämpfer für Recht und Gerechtigkeit und halte dich an die von dir selber mitgestalteten Gesetze und Wahlversprechungen. Nehme für dich selber keine Sonderrechte und Privilegien in Anspruch, sondern sei dir deiner Vorbildfunktion und deiner rechtlichen Verpflichtungen bewusst. Und merke: „Ein Staat, dem es an sozialer Gerechtigkeit mangelt, ist nichts anderes als eine große Räuberbande“ (Zitat Staatsrechtslehrer Augustinus).

Sechstes Gebot:

Beteilige die Menschen im Vorfeld an den demokratischen Entscheidungsprozessen und hole ernsthaft ihre Meinung ein. Rufe regelmäßige Wahlkreisversammlungen ein und tau-sche dich mit den Wählern auch außerhalb von Wahlkämpfen aus; begründe deine Entscheidungen und lege Rechenschaft ab. Mache Betroffene zu Beteiligten, sonst entscheiden fälschlich lauer Nichtbetroffene in der angehobenen politischen Subkultur über die menschlichen Schicksale.

Siebtes Gebot:

Folge stets deinem Gewissen und ethisch-moralischen Grundsätzen, weniger irgendeinem Koalitions- oder Fraktionszwang. Mache dich nicht zum Sklaven irgendwelcher Ideologien und Dogmen deiner Partei, sondern trage zu lebendigen und fruchtbaren Debatten bei der offenen Meinungsbildung im Parlament bei. Du bist als gewählter Mandatsträger in erster Linie Delegierter des Volkes, nicht nur Delegierter einer Partei oder Fraktion.

Achtes Gebot:

Sei ebenso bescheiden bei deinen Einkünften und deiner Alterssicherung, wie du es den Bürgerinnen und Bürgern „draußen im Lande“ abverlangst. Orientiere deine Versorgungs- und Diäten-Ansprüche an den Durchschnittsverdiensten der arbeitenden Bevölkerung oder an deinem vorherigen beruflichen Status, weniger an den obszönen Einkommen gewisser Wirtschaftsmanager und Banker. Gehe auch in anderen Bereichen stets sorgsam mit dem Geld der Steuerzahler um.

Neuntes Gebot:

Übe dich in einer allgemeinverständlichen Sprache und Ausdrucksweise und entwöhne dich von den Sprechblasen des Politik- und Medienbetriebes, damit deine Wähler dich verstehen. Verstecke dich nicht hinter bürokratische und technokratische Verschleierungen oder den Parolen der Wahlkampfberater. Sage klar und deutlich, was angesagt ist oder schweige, wenn du nichts Wesentliches mitzuteilen oder beizutragen hast; denn du musst dich nicht zu allem und jedem in den Medien äußern und allzuständige Kompetenz vortäuschen.

Zehntes Gebot:

Nimm dir neben deinem geschäftigen Politikerleben genügend Zeitausgleich für private, kulturelle und innovative Betätigungen, denn das verschafft dir geistige und seelische Bereicherung, neue Ideen und Kontaktmöglichkeiten mit den einfachen Bürgerinnen und Bürgern, die klüger sind, als du vielleicht denkst. Und lass in Ideenwerkstätten mit kreativen Menschen neues Gedankengut an dich heran, damit andersartige Problemlösungsansätze in den Politikbetreib Einzug halten können.

Wilhelm Neurohr, Recklinghausen

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