Wilhelm Neurohr: „Wir sollten den Niederländern mit ihrem Referendum dankbar sein"
Zum Kommentar von Rasmus Buchsteiner über das Referendum in den Niederlanden „Es gibt viele Verlierer“. Recklinghäuser Zeitung vom 8. April 2016:
„Wir sollten den Niederländern mit ihrem Referendum dankbar sein"
In seinem Kommentar zum Referendum in den Niederlanden (mit einem Mehrheitsvotum gegen den Ukraine Assoziationsvertrag der EU) spricht der Kommentator Rasmus Buchsteiner davon, dass es daraufhin viele Verlierer gebe“ und angeblich die „populistischen Euroskeptiker von links und rechts“ das Abkommen für ihre Zwecke instrumentalisiert hätten. Ist das nicht eine völlig verzerrte Einschätzung der wirklichen Verhältnisse?
Seine Behauptung (im Einklang mit den übrigen „Mainstream-Medien“) hält nämlich einer differenzierten Betrachtung nicht stand. Zunächst einmal ist nicht jeder EU-Kritiker ein „Europa-Skeptiker oder gar „Europa-Gegner“, wie die Medien populistisch etikettieren – im Gegenteil: Die meisten (wahren) Europäer wollen alternativ ein anderes vereinigtes Europa als das neoliberale EU-Projekt der Eliten mit ihren Demokratie-Defiziten, nämlich ein demokratisches, soziales und humanistisches Europa. Die EU als „Friedensnobelpreisträger“ ist ja gerade dabei, in allen Feldern das Gegenteil zu praktizieren: Sei es in der nationalistisch geprägten Flüchtlingspolitik und zuvor in der Griechenlandkrise, sei es bei den unfairen Freihandelsverträgen mit Afrika als Verstärkung statt Beseitigung von Fluchtursachen, oder sei es die von Eigeninteressen geleiteten Interventions-Kriegseinsätze mitsamt Waffenhandel weltweit, sowie nicht zuletzt bei der anhaltenden neoliberalen Umverteilungspolitik zugunsten der Reichen und zu Lasten der Armen.
Sollen EU-Kritiker das nicht thematisieren? Wenn Rasmus Buchsteiner vorwurfsvoll von Populisten in der Bevölkerung spricht, so trifft der Populismus-Vorwurf doch am ehesten auf die Asyl- und Flüchtlingspolitik der EU selber zu, die in vorauseilendem Gehorsam den rechten Rand der Gesellschaft bedient und dabei in bedenklicher Weise den Boden des Völker- und Menschenrechtes sowie des Verfassungsrechtes schrittweise verlässt.
Noch schlimmer ist die EU-Geheimpolitik bei den umstrittenen Freihandelsverträgen, zu denen auch der sogenannte „Assoziationsvertrag“ mit der Ukraine gehört – in Wirklichkeit nämlich ein fragwürdiger Freihandelsvertrag mit dem willfährigen Oligarchen Poroschenko, der als ukrainischer Staatspräsident ganz oben auf den enthüllten Panama-Papieren mit seinen Briefkastenfirmen steht. (In den Medien wird in diesem Zusammenhang aber nur das nähere Putin-Umfeld erwähnt, seitdem die annähernde Ostpolitik durch neuen kalten Krieg ersetzt wurde). Der Milliardär und „Schokoladenkönig“ Poroschenko hat auch seine Zusage nicht eingehalten, als Staatspräsident seine Firmenbeteiligungen abzugeben. Wenn das Abkommen, von dem er persönlich profitiert, auch ohne Zustimmung aller 28 EU-Staaten vorläufig d. h. unbefristet in Kraft tritt – nach dem Ausscheren der Niederlande durch eine demokratische Volksabstimmung, die in Deutschland leider verwehrt wird – wird das Demokratiedefizit der EU mehr als deutlich.
Und das soll sich bei den von einer Bevölkerungsmehrheit abgelehnten Freihandelsabkommen TTIP und CETA fortsetzen: Letzteres wird nun sogar ohne die versprochene Beteiligung der Nationalparlamente „vorläufig“ von der EU einfach in Kraft gesetzt, obwohl darin weitere demokratische Grundregeln übergangen werden. Warum also der Vorwurf von Rasmus Buchsteiner, die Niederländer hätten „wieder einmal Nein gesagt“? Dabei hatten sie schon 2005 den „richtigen Riecher“, als sie ebenso wie die Franzosen und Iren, den neoliberal geprägten „EU-Verfassungsentwurf“ per Referendum ablehnten, der dann aber durch den gleichlautenden „EU-Lissabon-Vertrag“ ohne Bürgerbeteiligung einfach ersetzt wurde. Und darin steht eben im Artikel 207, dass die EU-Kommission ohne nationale Parlamentsbeteiligung solche Freihandelsverträge abschließen kann. Dem Grundsatz hatte der Bundestag seinerzeit so zugestimmt und wundert sich nun, dass er außen vor ist und die Bevölkerung dagegen rebelliert.
Wir sollten den Niederländern also dankbar sein, statt ihnen Vorwürfe zu machen, Herr Buchsteiner, denn dort gibt es wenigstens so etwas wie Basisdemokratie .mit der Chance, das Projekt „Europa von unten“ vor dem Zugriff der neoliberalen Eliten auf demokratische Weise zu retten und damit auch den politischen Rechtstrend in Europa zu stoppen. Dann gibt es wieder viele Gewinner und wenige Verlierer statt umgekehrt, um die Überschrift von Rasmus Buchsteiner zurechtzurücken.
Wilhelm Neurohr
Neue Rechte Angst vor der Konkurrenz von „unten"
Von Stephan Hebel
Nationalistische Denke ist nicht länger tabu. Die Mitte der Gesellschaft verliert sich im Ressentiment und schimpft nicht auf die Elite, der man doch so gerne angehören würde. Das Feindbild sind die Schwachen und Fremden.
Deutschland bewegt sich, und zwar nach rechts. Pegida ist sicher nicht die stärkste Bewegung, aber an Einfluss auf die öffentlichen Debatten hat sie manche Initiative mit breiterer Basis deutlich überrundet – begleitet von Wahlerfolgen ihrer Geistesverwandten von der AfD.
„Wir sind das Volk“ rufen sie in Dresden, als gäbe es im „Volk“ nicht mindestens ebenso viele Willkommensbefürworter wie Abschottungspropheten. Und sie verkehren den im Kern emanzipatorischen Ruf von 1989 ins Gegenteil: Die DDR-Demonstranten wollten gleiche Rechte für alle und forderten damit diejenigen heraus, die sich des Begriffs „Volk“ für ihre autokratische Herrschaft bemächtigt hatten. Das „Volk“, das Pegida meint – mit Zustimmung der AfD – definiert sich zwar ebenfalls gegen „die da oben“ (ohne den Unterschied zum diktatorischen SED-Regime auch nur zur Kenntnis zu nehmen). Aber vor allem verstehen die Neurechten ihr Volk als ethnisch und kulturell homogene Gemeinschaft, aus der sie die „Fremden“ ausgegrenzt sehen möchten...
Volltext: Neue Rechte Angst vor der Konkurrenz von „unten“