Wilhelm Neurohr: „Deutschland ist wahrlich kein Vorbild für Griechenland“
Zum Kommentar von Andreas Herholz: „Griechenland will leben auf Pump – Europa muss Athen auf die Finger sehen.“ (Recklinghäuser Zeitung vom 20.02.2015)
Der ziemlich einseitige Kommentar von Andreas Herholz zum Verhandlungspoker zwischen Griechenland und der EU strotzt nur so vor falschen Behauptungen und Vorurteilen, die einem Faktencheck überhaupt nicht standhalten und mit den tatsächlichen Inhalten des angeblich „substanzlosen“ Briefes aus Griechenland überhaupt nicht übereinstimmen. Weder stimmt seine wohl aus anderen Medien nachgeplapperte Behauptung, Griechenland wolle sich einer Kontrolle der Kreditverwendung entziehen noch stimmt die polemische Aussage, Griechenland wolle zurück zum alten System des Lebens auf Pump. Sein Vorwurf „Frechheit siegt“ trifft deshalb eher auf den unnachgiebigen neoliberalen Hardliner Schäuble mit seinem brandgefährlichen Verhandlungskurs zu als auf die erfrischend auftretenden Reformer aus Griechenland, die sich übrigens aufgeschlossen zeigten gegenüber EU-Kompromissvorschlägen.
In Wirklichkeit hatte Griechenland höchst kompromissbereit einem Verhandlungstext des EU-Finanzkommissars zugestimmt, der aber von Schäuble und dem Niederländer Dijsselbloem im letzten Moment gegen eine andere Version mit dem unflexiblen alten Sanierungsprogramm ausgetauscht wurde, die dann von Griechenland verständlicherweise abgelehnt wurde. Die griechische Seite hatte in ihrem Brief und Konzept eindeutige und nicht „schwammige“ Vorstellungen für ihre Reformprozesse mit Wachstumsaussichten dargelegt. In den veröffentlichten Übersetzungen des Briefes durch die Presseagenturen wurden entscheidende Passagen und Begriffe einfach weggelassen, wie Alexander Herholz in einem journalistisch sorgfältigen Faktencheck hätte überprüfen können. Natürlich darf ein bloßer oberflächliche Zeitungskommentar als Meinungsäußerung über alles das hinweggehen, aber dadurch überzeugt er nicht gerade die Leser.
Auch die völlig richtige Forderung nach Steuererhebung bei den Reichen in Griechenland, die allenthalben erhoben wird, mutiert zur Heuchelei, wenn gleichzeitig eine gerechte Besteuerung der Reichen in Deutschland und im Rest-Europa hartnäckig unterbleibt, sondern die Luxemburger Steuerlöcher nicht einmal in einem richtigen Untersuchungsausschuss ans Tageslicht gebracht werden dürfen. Korruption und Vetternwirtschaft nur in Griechenland?
Schon seit Jahren fällt auf, dass Andreas Herholz in seinen Kommentaren immer dann eifrige Zustimmung von sich gibt, wenn es um eine stramme neoliberale Politikausrichtung geht, und immer dann Tadel ausspricht, wenn es eine menschengemäße Wirtschaftsorientierung eingefordert wird, so auch im Fall Griechenland. Denn die Wirtschaft ist ja (angeblich) für den Menschen da und nicht umgekehrt. Wer bisher glaubte, Europa sei der „Kontinent der Menschenrechte“ und seit 2 Jahren die EU als Institution deshalb Träger des Friedensnobelpreises, der sieht nunmehr die Menschenrechte zumindest für die griechische Bevölkerung mit Füßen getreten. Dies belegt ein Blick in die allgemeine Menschenrechtskonvention sowie in die EU-Grundrechte-Charta. Das dort verankerte Recht auf Arbeit, Gesundheit und ein Leben in Würde wird mit Füßen getreten - übrigens auch in Deutschland, wie der Leitartikel vom gleichen Tage über die gebietsweise auf 25% gestiegenen Armutsquote im reichsten EU-Land Deutschland belegt als Folge der verheerenden Agenda 2010. Wahrlich kein Vorbild für Griechenland!
Wilhelm Neurohr
Bürgerreporter:in:Dietrich Stahlbaum aus Recklinghausen |
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