Psychiater Allen Frances: „Nicht Donald Trump ist verrückt, wir sind es!“

"Trump ist in der Selbstdarstellung und der Ausbeutung anderer ein Genie. Er ist schrecklich. Aber zugleich ein Spiegelbild unserer selbst und unserer Demokratie."

Die eigentliche Krankheit steckt in der Gesellschaft, sagt der US-amerikanische Psychiater Allen Frances. Und er mahnt.

Professor Frances, wie fühlen Sie sich als Psychiater unter einer Präsidentschaft von Donald Trump?

Es ist wirklich wie ein Alptraum und ich fürchte Schreckliches für meine Kinder und Enkel. Ich hoffe natürlich, dass dies nur ein vorübergehender Wahnsinn für Amerika ist und daraus ein stärkeres Land hervorgehen wird. Zugleich habe ich Angst, dass er der Tod für unsere Demokratie sein könnte.

Würden Sie sagen, dass Trump ein Verrückter ist, also eine psychische Störung hat?

Trump ist ein Weltklasse-Narzisst, nicht nur in Bezug auf unsere Zeit, sondern für ein ganzes Zeitalter. Aber ein Narzisst zu sein, bedeutet nicht zwangsläufig, geisteskrank zu sein. Im Gegensatz zu wirklich Kranken leidet er aber nicht an einer psychischen Krankheit. Trump stresst stattdessen die anderen. Man kann keine Dysfunktionalität bei ihm erkennen. Er hat Millionen von Amerikanern dazu gebracht, ihn zu wählen. Er wurde mit dem höchsten und mächtigsten Amt in der Welt betraut. Er hat also Erfolg, auch wenn er verloren, zerstörerisch und selbstsüchtig ist. Mir ist es sehr wichtig, dass wir sein abscheuliches Verhalten nicht mit einer Geisteskrankheit verwechseln. Ich schäme mich für ihn und dieser Präsident macht mir wirklich Angst. Aber er ist nicht geisteskrank.

Aber dieser Mann setzt merkwürdige Tweets – wie jetzt zu Syrien – in die Welt und scheint unberechenbar zu sein.

Ja, aber es gibt unterschiedliche Gründe, die gegen eine Krankheit sprechen. Viele Kranke haben sehr gute Verhaltensformen und besitzen viel Kultur. Sie sind anständige Leute. Entscheidend ist: Sie leiden an ihrer Krankheit. Das alles trifft nicht auf Trump zu. Bei Patienten mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung ist es so, dass sie ihre Krankheit in ihrem Alltag beeinträchtigt. Bei Trump ist davon nichts zu sehen. Er hat ja Erfolg. Abgesehen davon befreien sich diejenigen von einer politischen Auseinandersetzung mit Trump, die sagen, er sei geisteskrank. Eine psychiatrische Ferndiagnose wird ihn nie aus seinen Amt entfernen.

Was hilft stattdessen?

Ganz einfach: Der politische Prozess! Wir müssen ihn in den Wahlen bezwingen, die politischen Repräsentanten so beeinflussen, dass er keinen Krieg wie im Syrien-Konflikt entfachen kann, dass ein Atomkrieg ausgeschlossen bleibt. Wir müssen ihn politisch besiegen, aber nicht durch Ferndiagnosen.

Wie können Sie so sicher sein aus der Distanz, dass er nicht geisteskrank ist?

Ich denke, es ist einfach irrelevant. Trump ist in der Selbstdarstellung und der Ausbeutung anderer ein Genie. Er ist schrecklich. Aber zugleich ein Spiegelbild unserer selbst und unserer Demokratie.

Das müssen Sie näher erklären.

Einige glauben, dass er wahnhafte Ideen hat, weil er an Verschwörungstheorien glaubt. Allerdings gilt das auch für 25 Prozent der Gesellschaft, die ebenfalls Verschwörungstheorien anhängen. Man müsste also gleich mehr als ein Viertel der Amerikaner für krank erklären, weil auch sie diese Neigung haben. Aber das ist alles wenig zielführend. Auch seine unglaubliche Ignoranz ist kein ausreichender Grund, eine Demenz zu diagnostizieren, auch wenn sie in keiner Weise zu seinem hohen Amt passt. Zudem waren schon viele Präsidenten vor ihm Narzissten. Viele wollen ihn einfach für verrückt erklären, um ihn aus dem Amt zu jagen, damit Amerika wieder zu einem normalen Land wird. Sicher, Trump hat ein hässliches Image. Aber es bringt nichts, Trumps Verrücktheit in den Mittelpunkt zu rücken und unsere eigene zu ignorieren. Nicht Trump ist verrückt, wir sind es!

Wie kommen Sie jetzt darauf

35 Prozent der Amerikaner billigen doch Trumps Verhalten. Es geht also um den Zustand unserer Gesellschaft und das ist viel, viel wichtiger als der Geisteszustand von Trump. Wie konnte man diesen Mann wählen, der eine besondere Verbindung zu Russland hat, der für Korruption steht, eine ungerechte Politik betreibt und einfach der schlimmste anzunehmende Präsident ist. Wir können uns keinen schlimmeren vorstellen. Aber mehr als ein Drittel unserer Bevölkerung unterstützt ihn dennoch, das ist viel beunruhigender. Sie will Sicherheit und autoritäre Führung. Trump wurde ja wie Hitler, Mussolini oder Franco von einer Minderheit an die Macht gebracht. Das war nur möglich, weil die US-Bürger bestimmten Wahnideen nachhängen. Wenn wir ihn als Verrückten und Ausnahmefall ansehen, machen wir es uns zu einfach. Die eigentliche Krankheit steckt in der Gesellschaft. Nur deshalb konnte Trump an die Macht gelangen. Nur sie hat seinen unglaublichen Aufstieg möglich gemacht...

Volltext → http://www.fr.de/kultur/gesellschaft-nicht-donald-...

[Frankfurter Rundschau.14. April 2018]

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4 Kommentare

...und es ist ziemlich oberflächlich. Man sollte sich zwar gegen Ferndiagnosen wenden, sie dann aber bei der gesundheitlichen Einschätzung dieses Präsidenten nicht selbst anwenden. Man sollte nicht postulieren, "Er wurde mit dem höchsten und mächtigsten Amt in der Welt betraut", denn "das höchste" ist es sicher nicht - alle Staatspräsidenten stehen auf der gleichen Ebene - und ob es noch "das mächtigste" ist, bleibt mal dahin gestellt.

"Trump wurde ja wie Hitler, Mussolini oder Franco von einer Minderheit an die Macht gebracht", ist eine Falschbehauptung aufgrund fehlender Geschichtskenntnisse. Trumps Wahlsieg beruht zwar "nur" auf der Mehrheit der Wahlmännerstimmen und nicht auf der der Wähler, doch ist die Anzahl der Wähler/innen, die für ihn gestimmt haben, nicht bedeutend geringer als die Zahl derer, die für Frau Clinton stimmten.

Eins verstehe ich nicht: Nahezu die gesamte europäische Presse schreibt, dass Trump nicht zurechnungsfähig, schwachsinnig oder sonst nicht ganz bei Trost ist. Und dennoch folgen ihm die europäischen Staatenlenker_innen wie Lemminge.

Vielleicht deshalb, weil Trump tatsächlich auf dem Posten des "mächtigsten Mannes" der Welt sitzt. Oder sind die 700 Milliarden Dollar jährlich - von Trump angekündigt - für Kriegseinsätze, Kriegsausrüstung und Kriegvorbereitung kein überzeugendes Argument?

Das angeblich ach so aggressive Russland kommt nur auf einen Bruchteil der Ausgaben, wie diese Grafik von Statista.com belegt.

Zu den Ferndiagnosen an sich habe ich schon oben etwas angemerkt. Natürlich gilt das auch für den Fall Trump und die Feststellung, er wäre "nicht zurechnungsfähig, schwachsinnig oder sonst nicht ganz bei Trost", ist zumindest leichtfertig. Was seine Auftritte in der Öffentlichkeit angehen, sowie seine Twitterei, so könnte man eher zu dem Schluss kommen, dass er seinem Amt nicht gewachsen ist. Politik - insbesondere Weltpolitik - geht nicht nach dem Grundsatz, "let's make a deal", den Trump von seinen Privatgeschäften kennt und worüber er sich sogar schriftlich ausgelassen hat. Dass sowas z.B. auf wirtschaftspolitischer Ebene anders läuft, hat er ja nach vielen großen Worten und Ankündigungen bereits im Falle seiner Einfuhrsteuerpläne erfahren müssen. Die Chinesen lachen über ihn und die Europäer grinsen verstohlen.

Es ist nicht zu erkennen, dass "die europäischen Staatenlenker/innen [ihm] wie Lemminge" folgten. Wenn Frankreich und das UK sich an dem sehr begrenzten Militärschlag gegen Syrien beteiligt haben, dann wohl eher, weil auch sie dem Assad den erneuten Giftgasgebrauch nicht durchgehen lassen wollten. Man kann sicher sein: Das passierte nicht ohne vorherige Gespräche mit Russland. Natürlich müssen beide Seiten aus Gründen der Gesichtswahrung hinterher in der UNO die üblichen Rollen spielen; der angekündigte Vergeltungsschlag erfolgte aber nicht und das spricht Bände. Übrigens könnte man auch behaupten, Trump folgte Frau May im Fall Skripal wie ein Lemming.

Und, wer eine große Streitmacht, wie sie die USA unterhalten, zu dem dort bezahlten Sold erhalten will (und da gelten Bestimmungen, von denen könnten europäische Soldaten, insbesondere russische, nur träumen), der muss bereits auf dem Feld sehr viel mehr ausgeben als anderswo. Da hat man die Ausstattung mit Waffen und Material sowie die einschlägigen Forschungen noch gar nicht betrachtet.

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