Lorenz Gösta Beutin: Falsche Friedensfreunde
Was „Chemtrails“, „Reichsregierungen“ und die „Querfront“ mit den neuen „Mahnwachen für den Frieden“ zu tun haben. Ein Erfahrungsbericht
von Lorenz Gösta Beutin
„Mahnwachen für den Frieden“, „Friedensbewegung 2014“, jeden Montag in immer mehr Städten. Angesichts der gegenwärtigen Weltlage, des Ukraine-Konflikts und der Konfrontation zwischen USA/EU und Russland nur allzu verständlich, dass Menschen für den Frieden auf die Straße gehen wollen. Doch als ich den Aufruf las, wurde ich stutzig: „Unpolitisch“ sollte das Ganze sein, aber gegen die „FED“ (das US-Zentralbank-System) ginge es?
Und dann treten Leute auf wie Ken Jebsen, Jürgen Elsässer oder Andreas Popp, die sich sonst eher in rechten Ecken herumtreiben (aber selbst von sich meinen, weder links noch rechts zu sein). Und in den Kommentaren auf den Facebook-Seiten aber auch massenhaft bei Fernsehsendern und Zeitungen sind dann solch steile Thesen zu lesen, wie die BRD sei eine „Kolonie“ der USA, kein souveräner Staat und alle „Lügen-Medien“ seien „gleichgeschaltet“. Vieles erinnert mich an einen Vorfall innerhalb der LINKEN in Schleswig-Holstein vor vier Jahren. Zwei Genossen in Neumünster vertraten da äußerst seltsame Ansichten:
Was die Freimaurer mit dem 11. September und der Ermordung von Karl und Rosa zu tun haben
„9/11 inside job“ stand auf den T-Shirts der beiden Genossen, die mir bei einer Veranstaltung in Neumünster gegenübersaßen. Ich fragte also: Warum sie als LINKE mit so einem Slogan herumliefen? – Sie seien überzeugt, die "Freimaurer" steckten hinter den Anschlägen auf das "World Trade Center". Aha… Wir verabredeten ein Treffen. Ich wollte ihrem Weltbild etwas auf den Grund gehen.
Mir und dem Genossen, der mitgekommen war, um mich zu unterstützen, erschloss sich ein ganz neuer Kosmos an vermeintlichen Verschwörungen und Wahngebilden: Die beiden erzählten uns, sie wären „Infokrieger“. Die USA würden die Bürger der BRD mit „Chemtrails“ vergiften, um ihre Gedanken zu kontrollieren. Die BRD sei kein souveräner Staat, sondern eine GmbH (das würde man allein schon an der Bezeichnung „Personalausweis“ erkennen). Die EU wiederum sei eine „EUdSSR“, kontrolliert von „Freimaurern“ (andernorts auch gerne „Illuminaten“). Überhaupt würden „Freimaurer“ hinter allem stecken, bspw. neben „9/11“ auch hinter der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Und schließlich, die wahren Faschisten heutzutage seien die Antifaschisten, und links und recht, die Kategorien gäbe es heutzutage auch nicht mehr. Und „Sexualstraftäter“ müsse man härter, am besten mit dem Tod, bestrafen. Das alles seien keine Verschwörungstheorien, sondern die Wahrheit, und ihre Aufgabe sei es, uns in der LINKEN zu helfen, auch zu erwachen.
Kurz und gut: Als Landesvorstand leiteten wir ein Parteiordnungsverfahren ein, in dessen Folge die beiden aus der Partei ausgeschlossen wurden. Im Zuge dessen beschäftigte ich mich mit den „Infokriegern“, „Aufgewachten“, „Wahrheitssuchern“ oder wie auch immer sie sich nannten. Ich stieß auf den „Kopp-Verlag“, der neben Eva Hermann oder etwa dem Geschichtsrevisionisten und Antisemiten Jan Udo Holey (auch „Jan van Helsing“) diverse rechte, verschwörungstheoretische Schriften herausgibt, mit Themen von A wie „Aliens“ bis Z wie „Zionisten“. Auch Jürgen Elsässer begegnete ich, vormals Kommunist, dann einer der Mitbegründer der „Antideutschen“, Journalist u.a. für „Junge Welt“ und „Neues Deutschland“, der nun die Querfront von „Linken“ und „Rechten“ gegen das „Finanzkapital“ propagiert und Konferenzen ausrichtet, auf denen „Chemtrail“-Gläubige, Homophobe und andere Rechte aller Schattierungen zu Wort kommen. Neuerdings promotet er passenderweise auch die „Alternative für Deutschland“. Auf diverse Seiten von „Reichsdeutschen“, die die Legitimität der BRD bestreiten, eine eigenen „Reichsregierung“ gegründet haben, sich eigene „Reisepässe“ ausstellen usw. wurde ich ebenso verwiesen.
Ein wahres Universum des Wahnsinns tat sich mir auf, unzählige Homepages, Blogs und Gruppen, die sich teilweise überschnitten, aufeinander bezogen, teilweise spinnefeind waren, weil die Vorstellungen der einen nicht zu denen der anderen passten.
Die „Mahnwachen für den Frieden“ – nicht „unpolitisch“, sondern gefährlich
Bei der Beschäftigung mit den „Mahnwachen“ schaute ich mir bspw. die Seite von „Anonymous“ (die mittlerweile von Rechten gekapert worden ist; „Anonymous Deutschland“ hat sich distanziert!) an, die Seite von Lars Mährholz (dem Anmelder der „Mahnwachen“) oder Ken Jebsen (einen Radiomoderator, der den Holocaust relativiert, indem er manisch Israel und das „Dritte Reich“ gleichsetzt, und der gleichermaßen „Linke“ wie Rechte interviewt) und entdeckte viele bekannte Namen und das ganze Universum der esoterisch-rechten und faschistoiden Verwirrtheit.
Vermischt das Ganze dann mit realer Kriegsangst, auch mit dem einen oder anderem Kommentar, bei dem es wirklich um „Frieden“ zu gehen schien, die gutgläubig auf diese Seiten und auf die „Friedensdemos“ gelangt sein mögen. Vielleicht ist dafür auch ein Grund, dass Veranstaltungen wie die traditionellen Ostermärsche oder linke Parteien nicht mehr ausreichend in der Lage sind, Themen zu besetzen und junges, vielleicht auch uninformiertes Publikum anzusprechen.
Ich schaute mir Videos von Reden an, aus Hamburg und Berlin. Die Reden glichen sich: Irgendwie für Frieden, gegen die „Lügenmedien“, gegen Parteien, mit der Behauptung „unpolitisch“ zu sein, weder links noch rechts (Im Übrigen eine Behauptung, die sich eher auf der Rechten findet; jede und jeder, die sich zur gegenwärtigen Gesellschaft äußern, verhalten sich politisch!). Der eine oder die andere berichtete dann noch über die fehlende Souveränität der BRD, dass Deutschland sich immer noch im „Kriegszustand“ befände, über „Chemtrails“ oder davon, dass Michael Jackson „das“ alles ja schon habe kommen sehen und deshalb umgebracht worden sei. Und natürlich ging es gegen die „FED“ (Federal Reserve System), fälschlicherweise als „Privatbank“ deklariert, tatsächlich aber eine öffentliche Institution der USA (allerdings in Teilen privatwirtschaftlich organisiert). Die „FED“ sei schuld an allen Kriegen der letzten hundert Jahre. Und hinter der „FED“ stünden die „Rotschilds“ (tatsächlich eine jüdische Familie, deren Mitglieder vor allem als Bankiers bekannt geworden sind und die seit Jahrzehnten antisemitischen Angriffen ausgesetzt sind). Ein antisemitisches Konstrukt sondergleichen, aber ohne den Judenhass direkt zu artikulieren, sondern mit Anspielungen arbeitend.
So ist es möglich, in einem Atemzug den antisemitischen Kern zu leugnen und gleichzeitig anschlussfähig nach allen Seiten zu bleiben. Keinen der Redebeiträge, mögen sie auch noch so weit hergeholt erscheinen, wurde widersprochen, ob sie antisemitische oder reichsdeutsche Propaganda verbreiteten, war egal im allgemeinen Wir-Gefühl. Auch die Anwesenheit von NPD-Mitgliedern wurde geduldet, niemand wurde des Platzes verwiesen.
Von den „Mahnwachen für den Frieden“ wird berichtet, dass sich dort eine merkwürdige Melange trifft: Beinharte Verschwörungs-Gläubige in allen Schattierungen, einige Neo-Nazis, AnhängerInnen der AfD, aber auch Menschen, die sich selbst als unpolitisch bezeichnen, die aber aus einem Bauchgefühle heraus etwas gegen Krieg und für Frieden tun möchten.
Die ersten drei Gruppen sind sicher nicht zu überzeugen, sie stecken in ihren unterschiedlichen, abgeschirmten Wahnwelten fest. Aber um die letzte Gruppe geht es, die, die enttäuscht sind von den Parteien, von „der Politik“, die aber etwas tun wollen, für Frieden demonstrieren. Hier sollte die Aufklärung ansetzen, der Versuch, diese Menschen zu überzeugen, dass es bessere Möglichkeiten gibt, für Frieden einzutreten, als gemeinsam mit Reichsdeutschen, Querfrontlern und Antisemiten.
Für eine Friedensbewegung ohne Antisemitismus – in Kiel und überall!
Am Montag, 28. April, soll nun in Kiel auf dem Asmus-Bremer-Platz die erste „Mahnwache“, am 5. Mai auf dem Bahnhofsvorplatz die zweite stattfinden. Auf Facebook sammeln sich auch hierfür die UnterstützerInnen. In dem Aufruf zum ersten „Event“ finden sich, fast wie erwartet, dann die typischen esoterisch-rechten, antisemitischen und reichsdeutschen Argumentationsmuster: Das Geldsystem sei böse, die FED weltweit quasi für alle Übel verantwortlich, die BRD sei kein souveräner Staat, besitze keine Verfassung, das Besatzungsstatut gelte weiter und überhaupt gäbe es gar keinen Friedensvertrag.
Allein aus meinem Bekanntenkreis habe ich zwei Personen gefunden, die mit zu diesen „Mahnwachen“ aufrufen, rechten Gedankenguts beide unverdächtig. Die Hoffnung habe ich aber nicht aufgegeben, dass sie sich angesichts des konkreten Aufrufs zum 28.4. von diesem braunen Allerlei distanzieren. Aber es mag ihnen, wie anderen, eben um den Frieden gehen.
Und das macht die Gefahr dieser „Mahnwachen“-Bewegung aus, weshalb sie von uns keineswegs unterschätzt werden sollte: Es funktioniert nach dem Motto: Gegen Frieden kann ja niemand etwas haben. Das mag formal stimmen. Aber: Auch der Friedensgedanke ist nicht neutral, schon gar nicht in Deutschland. Mitgedacht werden sollte auch hier der antifaschistische Grundgedanke, das Nie Wieder! Deshalb sollten wir diese „Mahnwachen“ ablehnen, über ihre Strippenzieher aufklären und uns die Worte Konstantin Weckers zu Herzen nehmen:
„Es ist klar: wir müssen auf die Strasse, für den Frieden! Aber lasst uns besser genau hinschauen, wer da alles mit welchen Parolen mitrennt. Für eine machtvolle Friedensbewegung ohne Antisemitismus!“
Lorenz Gösta Beutin
Anmerkung:
Ich verzichte, aufgrund des Wusts der ganzen eso-rechter Seiten usw. auf konkrete Verweise. Bei „Facebook“ und bei „google“ braucht mensch einfach nur die zentralen Begriffe zu suchen, schon landet mensch auf den einschlägigen Seiten. Vielleicht baue ich das hier noch zu einem längeren Artikel aus, auch mit konkreten Berichten zu diesen „Friedensdemos“. Dann sollen auch die entsprechenden Verlinkungen folgen.
Weiterführende Links:
Konstantin Wecker: http://www.wecker.de/de/weckers-welt/item/450-Fuer...
Bericht von Kersten Artus: http://blog.kerstenartus.info/gefaehrliches-market...
Stellungnahme von ATTAC Deutschland: http://www.attac.de/startseite/detailansicht/news/...
Stellungnahme "Kooperation für den Frieden": http://www.koop-frieden.de/fileadmin/Pressemitteil...
Dokumentation über die esoterisch-rechten Zirkel: http://www.spiegel.tv/filme/opendoku-die-mondversc...
Kolumne in der Frankfurter Rundschau: http://www.fr-online.de/meinung/verschwoerungstheo...
Bürgerreporter:in:Dietrich Stahlbaum aus Recklinghausen |
1 Kommentar
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.