Die Völker der Ukraine. Anmerkungen zum Verständnis des gegenwärtigen Konflikts
Leserbrief an das Medienhaus Bauer, Marl
– Von: Dietrich Stahlbaum, Recklinghausen
– Betr.: Der Ukraine-Konflikt: Berichte, Kommentare, Leserbriefe
– Vom: Oktober/November
Wir Deutsche sollten hier schon aus historischen Gründen nicht für eine Seite Partei ergreifen, uns nicht an Wirtschaftssanktionen gegen die andere Seite beteiligen und womöglich militärisch intervenieren, sondern zwischen den Kontrahenten vermitteln und helfen, den Konflikt zu lösen.
Die Ukrainer/innen haben unter den Zaren leiden müssen, dann unter Stalin und Hitler. Als sie 1941 die deutschen Soldaten als Befreier begrüßten, ahnten sie noch nicht, dass sie ebenso Opfer des Rassenwahns werden sollten wie „die Russen“, – Slawen wie sie, als „Untermenschen“ stigmatisiert und als Sklaven behandelt. Ich erinnere mich an eine Wanderausstellung der Nazis, bei der in meiner ostpreußischen Heimatstadt auf Großbildern halb verhungerte und arg zugerichtete Gefangene als „Untermenschen“ vorgeführt wurden. Die Ukrainer und Weißrussen, die sich den Faschisten anschlossen hatten, nannte man „Hiwis“, Hilfswillige, auch sie Menschen zweiten Grades.
Mal Russland zugeschlagen, mal Polen und von anderen Völkern überrannt, zu Hunderttausenden nach Sibirien deportiert, als Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter in Deutschland ausgebeutet und dann auch noch einer Jahrtausende nachwirkenden Katastrophe ausgesetzt (Tschernobyl), – trotzdem haben die Ukrainer/innen allen Versuchen, ihre Kultur zu vernichten, sie zu russifizieren, zu unterjochen, Stand gehalten und ihre Identität bewahren können.
Einige der bedeutendsten Dichter und Schriftsteller, die in der Literaturgeschichte und im allgemeinen „Bildungsbewusstsein“ als Russen gelten, waren Ukrainer. Wahrnehmung und Diktion sind typisch “russisch“. Auch dies ist Europa! Hoffen wir, dass sich dieser – slawische – Volkscharakter im Zuge der Globalisierung nicht verliert.
Es gibt einen ukrainischen Komponisten, der beides in seine Musik integriert hat, das Slawisch-Ukrainische und das Europäische: Walentyn Sylvestrow (geb.1937). An seiner Postludja für Klavier und Orchester kann man sich nicht gar nicht satthören.
Am 18.November überarbeitet.
Am 19. November in der Frankfurter Rundschau und in den Zeitungen des Medienhauses Bauer veröffentlicht.