Anmerkungen und Materialien zu meinem Leserbrief vom 4. November
Sehr geehrte Redakteurinnen und Redakteure,
zuerst einmal Lob und Anerkennung dafür, dass in Ihrer Zeitung die unterschiedlichsten Meinungen zu Wort kommen und diskutiert werden können. Viele Leserbriefe, die Sie veröffentlichen, werden allerdings auch nur zu emotionaler Entlastung geschrieben.
Sehr bedenklich aber finde ich die positive Berichterstattung über die Sarrazin-Lesung und die kritiklose Hinnahme von Sarrazins Äußerungen. Die Ideen, die er mit Fakten zu untermauern versucht und verbreitet, offenbaren eine deutsch-völkisch-nationale Gesinnung und übelste Ressentiments. Ihm wird nun auch dort zugestimmt, wo er sich positioniert: in der "Mitte der Gesellschaft", "aus der" er, wie er im Hinblick auf das Parteiausschlussverfahren sagt, „argumentiere“.
Die „Mitte der Gesellschaft“ war, bis auf wenige Ausnahmen, eine der tragenden Säulen des Nationalsozialismus! Zum Teil naiv und verblendet wie mein eigener Vater, der als Student in deutsch-völkisch-nationales Fahrwasser geraten ist und in einem Freikorps mitgekämpft hat, haben nach dem Ersten Weltkrieg deutschtümelnde Akademiker Hitler nahezu angehimmelt. Sie wurden NSDAP-Funktionäre und –propagandisten und haben über die Gräueltaten des Regimes zumindest hinweggesehen.
Ich erinnere mich noch an Gespräche meines Vaters bei Tisch und anderen Gelegenheiten, in denen er „die Juden“ für die Arbeitslosigkeit und das soziales Elend in Deutschland verantwortlich gemacht hat. Jüdische Bankiers, Juristen, Ärzte, Künstler, Schriftsteller und Journalisten hätten Deutschland in den Ruin getrieben, dem habe der Führer ein Ende bereitet. „Die Volkschädlinge“ mussten „unser Land verlassen.“ Das sagte mein Vater 1944. Ob er wusste, was mit diesen Menschen geschah, habe ich nie erfahren. Mein Vater starb im Januar 45 auf dem Weg nach Sibirien in einem Viehwaggon.
Was hat dies mit Sarrazin und seinen Sympathisanten zu tun? Heute müssen anstelle „der Juden“ Araber und Türken , „bildungsferne“ und „integrationsunwillige“ Anatolier, Muslime als Sündenböcke herhalten. Ich warne vor einer gefährlichen Entwicklung, die sich in den USA ausbreitet und jetzt auch in Deutschland „aus der Mitte der Gesellschaft“ betrieben wird.
Sarrazin hat Behauptungen und Thesen, die in seinem Buch weiter ausgeführt worden sind, bereits 2009 in einem Interview geäußert. Dazu gibt es eine umfangreiche Expertise, erstellt im Auftrag des SPD-Kreisverbandes Spandau und der SPD-Abteilung Alt-Pankow. Darin wird detailliert die Frage erörtert, ob Sarrazins „Äußerungen“ in der Zeitschrift Lettre International „als rassistisch zu bewerten“ „sind“…
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Nun zu Sarrazins „Juden-Gen“ und zu den Untersuchungen jüdischer Genforscher:
Joachim Müller-Jung in der FAZ:
«Sarrazins Biologismus Phantasma „Juden-Gen“»
Dieselben Genvarianten sind keinesfalls exklusiv, sondern allenfalls gehäuft bei einzelnen Ethnien zu finden. Für ein spezielles „Juden-Gen“ trifft dasselbe zu wie auf ein „Intelligenz-Gen“: Es ist die Prosa biologistischer Fälscher.
„Alle Juden teilen ein bestimmtes Gen“, sagte Sarrazin. Kein Zufall. Allein in den vergangenen Wochen sind drei wegweisende Studien in „Nature“, dem „American Journal of Human Genetics“ und den „Proceedings“ der amerikanischen Nationalakademie über die genetischen Wurzeln und Merkmale des jüdischen Volkes veröffentlicht worden, die Sarrazin offenbar zur Kenntnis bekommen hat. Verstanden hat er sie nicht….
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http://www.faz.net/s/Rub9B4326FE2669456BAC0CF17E0C...~ECC46C81351DA40E7B3219E328A122494~ATpl~Ecommon~Scontent.html
[FAZ.NET vom 30. August 2010]