Labyrinth IV Eröffnung Peter Feßl
„Wer ist Manfred Habl?“ fragte Joseph Beuys im Sommer 2024 auf einer Wolke sitzend seinen Freund und Gegner Andy Warhol anlässlich einer Vernissage.
„Das ist doch der Mann der berühmten Labyrinthmalerin Heike Habl!“ antwortete Warhol entgeistert.
So ähnlich, liebe Besucher, träumte mir in den letzen Nächten, als ich mich tagsüber mit Labyrinthen, Irrgärten und den beiden Habls auseinandersetzte.
Im Habl-Haushalt hat das überschaubare Scheinchaos Einzug gehalten, die Frau des bunten Aktionskünstlers beginnt plötzlich Bilder zu malen, wie besessen, Tag für Tag, immer andere Farben, aber immer das gleiche Motiv. Und der geduldige Ehemann meutert nicht, im Gegenteil: Er bringt seine Managereigenschaften in das System ein und plötzlich beschäftigen sich scheinbar 2 von 3 Internetseiten mit Labyrinthen. Und ebenso plötzlich steht der Laudator vor der Herkulesarbeit, sich im Labyrinth der Informationen zurechtzufinden.
„Das ist doch einfach!“ hört der Laudator die Labyrinthmalerin Heike Habl da rufen, „im Labyrinth kann man sich nicht verlaufen wie im Irrgarten!“
„Warum nicht?“ frage ich.
„Weil der Weg keine Abzweigungen und Kreuzungen hat, sondern auf gewundene Weise zum Mittelpunkt führt.“
„Aha!“ denke ich da, das ist ja gut. Und dass ein Labyrinth ja nicht mit einem Irrgarten verwechselt werden darf, das lerne ich dabei auch gleich. Obwohl bei Wikipedia z.B. zu lesen ist, dass Labyrinth ein Oberbegriff sei und zerfalle in die Labyrinthe im engeren Sinne und Labyrinthe im weiteren Sinne. Heike Habl meint also – nach genauerem Lesen bin ich mir nun fast ganz sicher – Labyrinthe im engeren Sinne:
„Ein verschlungener Weg ohne Abzweigungen, der unter regelmäßigem Richtungswechsel zum Mittelpunkt führt. In einem solchen Labyrinth ist es nicht möglich, sich zu verirren.“
Wovor ich immer etwas Angst hatte als Kind waren somit Labyrinthe im weiteren Sinne: „Ein System mit Wegeverzweigungen, das also auch Sackgassen oder geschlossene Schleifen enthält. Im deutschen Sprachbereich wird eine derartige Struktur auch als Irrgarten bezeichnet. Hier ist ein Verirren möglich und meist Sinn der Anlage.“
Vor Heike Habl und ihren Labyrinthen brauche ich also keine Angst zu haben. Ich brauche keinen Roten Faden und keinen tröstenden Großen Bruder, wenn beim Verirren im Park oder Maisfeld die Nacht allmählich hereinbricht.
Wikipedia, das gerade 10-jährigen Geburtstag feiert, und das Internet allgemein lege ich nun zur Seite, denn dieser moderne Irrgarten der Informationsquellen lässt sich zum Glück mit einem Mausklick wegzaubern. In Sekundenschnelle – und ich kann wieder durchatmen und – frei formulieren, was mir so einfällt.
Gedankenstrich.
Labyrinth klingt gut. Das Wort hat etwas. Stammt aus dem Griechischen wie die meisten gut klingenden Wörter. Genau genommen ist die Minoer-Kultur auf Kreta, Nabel Europas, die Urheimat – wobei ältere Fundstellen auch an anderen Stellen der Erde, etwa auf entlegenen Inseln, hier unberücksicht bleiben. Die Fortsetzung der griechischen Welt findet sich bei den Römern, weiter geht es mit christlichen Labyrinthen. Verzweigungen mit Möglichkeiten von Irrwegen in Sackgassen tauchen wohl erst im 15. Jahrhundert auf, im 16. Jahrhundert werden die echten Irrgärten, mit Hecken in Gartenanlagen zur Mode, im Barock gibt es viele davon. Gärten bieten sich an, aber auch in Prachtbauten, etwa Kirchen, lässt sich das Fußbodenmosaik mit einem Labyrinthmuster gestalten. Dass das christliche Mosaik kein Irrgarten, sondern ein verschlungener Weg zur Mitte ist, versteht sich von selbst: Schließlich ist der Weg zu Gott, der Weg zur Mitte also, meist nicht geradlinig, der ewig Suchende aber wird Gott finden, wenn er unermüdlich weitergeht und darauf vertraut, dass Umwege sein müssen und dass im Grunde suspekt ist, was allzu geradlinig verläuft. Ganz beiläufig wissen wir aus der Bibel, dass Gott zuweilen ein Sünder lieber ist als ein allzu Gerechter. Und vom deutschen Dichterpapst Goethe wissen wir, dass „wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen!“ Das ganze Leben unseres Doktor Faust ist ein Labyrinth, da aber Gott Vater seine Wette gegen Mephisto gewinnen will – denn das steht ihm als Gottvater ja zu – brauchen wir um Faust im Grund nicht zu zittern, er wird von langer Hand geführt gut ankommen.
Diese beruhigende Erfahrung hat Heike Habl in einem begehbaren Labyrinth im Kloster Siessen im Allgäu auch gemacht und entwickelte die Leidenschaft – wie sie selbst sagt – Labyrinthe zu malen. Etwas Meditatives geht vom Labyrinth aus, etwas Meditatives geht vom Malen aus, synergetische Effekte im Meditationsbereich treten wohl ein, wenn beides zusammentrifft.
Synergetische Effekte träfen beim berüchtigten Irrgarten auch zu, allerdings im Sinne einer Negativspirale. Beim Pyramidenbau praktizierten die Herrschenden des Alten Ägypten schon den absichtlichen Wegweiser in die Sackgasse, um Grabräuber vom Schänden des Grabes abzuhalten. Oft endete die Sackgasse tödlich. Das gilt bis zum heutigen Tag. Sackgassen können tödlich enden.
Welche Befreiung dagegen beim Labyrinth, wo das Wissen um den guten Ausgang auch das Schlimmste auf dem Weg gut weggesteckt werden kann. Missbrauch kann freilich auch hier getrieben werden. Denken Sie nur, liebe Zuhörer, wie viele Menschen mit dem Hinweis auf das Paradies, dem guten Ende also, im Laufe des irdischen Lebens schon geknebelt und ausgenützt worden sind. Unterdrückung mit Versprechungen gab es und gibt es in allen Religionen. Es ist eine philosophische Frage, ob der Gläubige auch die Unterdrückung besser ertragen kann, wenn er an das gute Ende glaubt.
Bei Heike Habl gibt es keine Irrwege und keine Unterdrückung auf dem vorgezeichneten richtigen Weg. Im Gegenteil: Der Freude beim Malen folgt die Freude beim Begehen des Labyrinth-Kunstwerks. Man kann ein Labyrinth mit dem Auge begehen – das empfiehlt sich, wenn das Labyrinth an der Wand hängt… Man kann es mit den Füßen begehen, wenn es auf den Boden gemalt ist. Dutzende von Kindern, auch einige Erwachsene, haben als lachende, fröhliche Menschen Habls Labyrinthe begangen, die sie als flüchtige Kunstwerke für wenige Stunden auf den Hauptplatz oder am Platzl gemalt hat. Die Stadt war für ein paar Momente ein Stück reicher, und dafür sollte man sich bei der Künstlerin bedanken.
Schade, dass einige eilige Autofahrer dies anders gesehen haben. Aber vielleicht waren sie mit ihrer Einschätzung auf dem Irrweg.
Es dürfte ihnen, liebe Besucher, längst bekannt sein, dass es auch in unserer bayerischen Heimat immer mehr spontane und temporäre Labyrinthe gibt. Die beständigen zwischen Hecken in Barockanlagen oder botanischen Gärten gibt es schon lange, aber inzwischen sind sie auch im Maisfeld zum Ereignis geworden, Bauern machen mit, wenn es darum geht, eine Attraktion, nicht nur für Kinder, zu installieren. Der Weg im Getreidefeld erfordert ein zurückgehen auf dem selben Pfad. Der Weg über ein Mosaik am Boden lässt es zu, nach erfolgreichem Erreichen der Mitte auch den direkten Weg nach außen zu nehmen, die Vogelfluglinie sozusagen. Bei einem interessanten Gespräch gestern beim Ortstermin hier in der Galerie, musste Manfred Habl eingestehen, dass er zurück jeweils die Vogelfluglinie nimmt, die Labyrinthmalerin Heike Habl dagegen nimmt in jedem Fall den korrekten Labyrinthweg auch auf dem Rückweg. Und Sie, liebe Besucher? Welcher Rückwege-Typ sind Sie? Hängt es vielleicht von verschiedenen Parametern ab? Sie haben noch Zeit zum Nachdenken und können es später der Künstlerin verraten. Mit Begründung natürlich!
Wichtig dabei ist sicher, zu fragen, was das Ziel ihres Gehens überhaupt ist. Ist die Mitte das Ziel? Eigentlich müssen Sie im Ernstfall wieder heraus. Oder ist die Mitte etwas Mystisches, wo man nicht mehr zurück möchte. Ein Synonym für Paradies z.B.? Oder gibt es in der Mitte nur eine Aufgabe zu erledigen, wie oft in der Antike. Und zurück kommt man mit Hilfe des berühmten Ariadnefadens. Sie kennen alle die Redensart „den Faden verlieren“ – die kommt von diesem Vorbild. Ohne Roten Faden, wie er auch oft genannt wird, ist ein unliebsames Ende nicht auszuschließen.
Schließlich wäre auch noch eine dritte Denkrichtung zu würdigen; nämlich den Weg als Ziel zu sehen, was uns von verschiedenen Seiten bekanntlich oft empfohlen wird.
Heike Habl hat mit dem Begehen eines Kloster-Labyrinths eine persönliche Erfahrung gemacht: In der Mitte angekommen, war eine neue Selbsterfahrung einhergegangen: Sie spürte sich selbst wieder, wie sie offen bekennt. Auch im meditativen Vorgang des Malens lässt sich diese geistige und körperliche Erfahrung irgendwie wiederholen. Man darf nicht vergessen: 4 bis 5 Wochen arbeitet Habl oft an einem großen Labyrinth, immer wieder durch Alltagsgeschäfte und tägliche Reproduktion unterbrochen. Kompakt gesehen, würden 50 bis 70 Arbeitsstunden anzusetzen sein. Exaktes Zeichnen, dreifacher Auftrag der Farbe eins und dreifacher Auftrag der Farbe zwei. Perfekteste Handarbeit in höchster Präzision. Ruhige Hand unbedingte Voraussetzung.
Schauen wir uns die ausgestellten Objekte ein wenig an – ein paar spontane Worte hierzu:
…
Fürs Zuhören danke ich Ihnen, das Labyrinth der Wörter hat jetzt doch endlich ein Ende gefunden. Und zwar ein Gutes: Denn jetzt wartet etwas Schönes auf Sie!
Peter Feßl
Bürgerreporter:in:Manfred Habl aus Pfaffenhofen |
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