Das Rätsel der weißen Kugeltöpfe aus Oberg - Vor 50 Jahren entdeckte man seltene Gefäße im Ortskern Obergs
Beim Aushub einer Baugrube im alten Ortskern von Oberg stieß der Spaten 1966 auf mehrere Kugeltöpfe aus weißer Keramik (Irdenware). Der damalige Beauftragte für archäologische Denkmalpflege Fritz Rehbein wurde hinzugezogen. Als er auf der Baustelle eintraf standen 3 unversehrte Gefäße am Grubenrand, ansonsten stand Rehbein wörtlich vor einem Scherbenhaufen. Aus diesem aber ließ sich eine Zahl von weiteren 48 Töpfen errechnen, teilweise mit Tüllen, die da einst in etwa 160 cm Tiefe deponiert waren. Rehbein holte sich Rat bei Fachleuten und fand heraus, das es sich um Importe aus dem alten Töpferort Duingen handelt. Man datierte das geborgene Material auf die Zeit um 1150. Warum aber eine solche Lage Gebrauchskeramik auf dem Boden einer Baugrube im Ortskern deponiert war, konnte nicht befriedigend geklärt werden. Man spekulierte über ein mögliches Abfall-Depot, jedoch schienen die Gefäße nicht zum ursprünglich gedachten Gebrauch benutzt worden zu sein und es gab keine typischen Begleitfunde außer einem Spinnwirtel (Schwungscheibe zum Spinnen mit der Hand), der eher auf eine ehemalige Kemenate (beheizbarer Raum) hindeutet!
Die Kemenaten gehen vermutlich auf kleine, anfangs wohl eingeschossige, steinerne Speicherbauten zurück, die in Braunschweig für die Zeit um 1100 nachgewiesen sind. Bereits diese Bauten wurden immer in Zusammenhang mit größeren Hauptgebäuden errichtet (Foto Stadtbau mit Kemenate um 1100).
Letztlich geriet der bedeutende Fund in Vergessenheit; lediglich 4 Gefäße sind noch in der Oberger Heimatstube eingelagert. Seitens der Bezirksarchäologie wurden später Überlegungen angestellt, ob aufgrund von weißen Tonvorkommen in Oberg die Gefäße dort gar selbst gefertigt worden. Eine frühe mittelalterliche Töpferei konnte dort aber bisher nicht schlüssig nachgewiesen werden.
Ähnliche Funde in Peine und Braunschweig
Solche seltsamen Kugeltopf-Ballungen entdeckte man auch bei Ausgrabungen in den Städten Peine und Braunschweig. Die geborgenen Gefäße waren dabei stets „auf dem Kopf“ fast unbeschädigt in großer Zahl vorgefunden worden.
Die Töpfe wurden umgedreht als dichte Lage auf das feuchte Erdreich ausgelegt und mit Lehm verstrichen und überdeckt. Dadurch schuf man einen statisch erstaunlich tragfähigen Fußboden, der isolierend funktionierte. Die Hohlräume der Gefäße wirkten gegen aufsteigende Feuchtigkeit und bildeten eine Isolierschicht auf der man sich frei bewegen konnte. Ein rekonstruierter Kugeltopf-Fußboden aus der Stederdorfer Straße war einige Jahre im Peiner Kreismuseum ausgestellt.
Das Prinzip der Fußbodenisolierung durch Hohlräume hatten schon die alten Römer nahezu perfektioniert, die zusätzlich in der Lage waren auch Wände mit Hohlziegeln auszustatten um warme Luft zu Heizzwecken durch Böden und Mauern zu leiten.
Kugeltöpfe, also Gefäße ohne Standboden, waren jedoch in Norddeutschland vom Beginn des 10. Jahrhunderts bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts die häufigste Keramik überhaupt. Die Tüllen-Gefäße dürften wohl kein Kochgeschirr gewesen sein. Sie könnten aufgehängt zu Aufbewahrung von Flüssigkeiten gedient haben (siehe Fotos).
Ein Edelmann als Bauherr?
Der Oberger Fundkomplex läßt hinsichtlich der dörflichen Situation für die Zeit um 1150 doch einen gewissen Wohlstand des Erbauers erwarten. Als Vergleich könnte man modern sagen, damals hat sich ein Bauherr bereits Luxusmaterial zukommen lassen.
Wir haben von daher aber vor allem auch einen seltenen Einklang zwischen urkundlicher Erst-Erwähnung des Ortes von 1152 und dem archäologischen Befund.
Es ist sicherlich zu früh die Girlanden aufzuhängen, aber die Generation der jetzt noch jungen Oberger kann ganz entspannt in wenigen Jahrzehnten die 1000-Jahr-Feier begehen, falls bis dato nicht noch ältere Belege auftauchen!