Augen auf beim Verkehr

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von Jens Deppner | Paris |
Sightseeing oder Intensivstation, die Fortbewegung in Paris hat so seine Tücken, kann aber auch sehr angenehm sein. Tipps für den Parisreisenden.
„Am nächsten Kreisverkehr die NEUNTE Abfahrt nehmen.“

Das waren Uschi’s Worte, als ich mich das erste Mal dem Triumphbogen näherte. Uschi ist meine nette Reisebegleitung, welche durch ihre guten Kontakte zu den uns umkreisenden GPS-Satelliten, mir zwar nett, aber sehr bestimmt sagt, wo ich lang zufahren habe.

Von den zwölf abzweigenden Straßen bot sie mir also die Neunte an. Sicher hat sie recht, aber genauso sicher ist sie sich auch nicht im Klaren darüber, dass ich meine Schulzeit in einem Dorf verbracht habe, welches damals kaum mehr als neun Straßen hatte. Und in dem sich selbst zu Stoßzeiten (Volksfest am dritten Juli-Wochenende) deutlich weniger Personen und Autos befanden, als sich jetzt mit mir zusammen um den Arc de Triomphe herum bewegten. Der Verkehr in Paris ist also mit dem, was wir Deutschen im Allgemeinen kennen, nicht zu vergleichen.

All denjenigen, die mit dem Gedanken spielen, das Auto nach Paris mitzunehmen, kann ich nur sagen, das ist nicht nötig, hier gibt es schon genug davon. Auf jeden Fall mehr als Parkplätze. Wenn man tatsächlich einen erwischt, darf man sich für 4 bis 6 € pro Stunde zuparken lassen. Da ist manches Leasing günstiger und andere Fortbewegungsarten sind eh sinnvoller.

Da ich einen Grossteil meines Lebens in der norddeutschen Tiefebene (Woltorf-Peine), an der Nordseeküste und zuletzt am Niederrhein verbracht habe, gehört ein gutes Fahrrad natürlich zum Hausstand. Auch wenn Paris nicht oder noch nicht als Mekka der Radler gilt, wenn man mal von den anonymen Anabolikern der Tour de France absieht, verändert sich die Stadt doch zunehmend positiv für die Zweiradfahrer.

Zum Beispiel gibt es vielerorts Leihräder und eigene Spuren für Radfahrer, diese jedoch meistens etwas abseits vom Stadtkern. Mittendrin hat man sich was Besonderes ausgedacht. Es gibt extra abgeteilte Spuren, die auch Radfahrer benutzen können. Auf denen ist kein normaler Autoverkehr zulässig. Diese Spuren teilt man sich sinnvollerweise nur mit Bussen aller Art und den für ihre rücksichtsvolle Fahrweise bekannten Taxis. Diese Mischung ist äußerst interessant und für Menschen mit chronisch niedrigem Adrenalinspiegel auch eine echte Offenbarung.

Nicht alle Besitzer eines Personenbeförderungsscheins wissen nämlich mit dieser sonderbaren Spezies ohne Knautschzone etwas anzufangen. Wer noch nie das Gefühl hatte, irgendwo wirklich gar nicht erwünscht zu sein, ist auf dieser Busspur genau richtig.

Die Nähe zu den motorisierten Verkehrsteilnehmern hat den Vorteil, dass man deren Mienen genau studieren kann. Die Reaktionen gehen vom ungläubigen Staunen über heftiges anhupen, welches man leider mit der Fahrradklingel nur schlecht erwidern kann, bis hin zu cosanostra-ähnlichem Lächeln, gepaart mit dem Versuch aus dem Sicherheitsabstand mit Sicherheit keinen Abstand zu machen.

Um hier mitzuhalten zu wollen, muss man sich einfach dem Verkehr anpassen. Das heißt, eine gemütliche Radtour beinhaltet unzählige kurze Sprints, harte Bremsvorgänge und Ampelpausen um wieder zu Atem zu kommen und die aus den Autos geworfenen Kippen auf der Oberbekleidung zu löschen. Außerdem ist es ratsam, dass man seine Absichten klar und deutlich zu erkennen gibt.

Der Blinker eines Radfahrers ist ja sein Arm und den sollte man zur eigenen Sicherheit auch reichlich einsetzen. Vorsicht ist allerdings beim Linksabbiegen geboten. Ein knapp vorbeirauschender Doppeldeckerbus kann dem vorbildlich herausgestreckten menschlichen Fahrtrichtungsänderungsanzeiger schnell zu einem komplizierten Trümmerbruch verhelfen. Damit wäre man dann allerdings in der glücklichen Lage, mit einer einzigen Handbewegung, die Ein- und Ausfahrt in einen doppelten Kreisverkehr anzeigen zu können.

Wem das zu stressig ist, kann natürlich auch zu Fuß gehen. Da Paris eigentlich recht klein ist, nämlich nur ca 11 x 13km, und sich die meisten Sehenswürdigkeiten auf noch kleinerem Raum befinden, ist dies auch kein Problem. Theoretisch. Für die Praxis gibt es auch hier ein paar Kleinigkeiten zu beachten. Zum Beispiel haben Ampeln nur einen rein informativen Charakter. Eine grüne Fußgängerampel bedeutet, dass vielleicht kein Auto kommt, oder vielleicht doch. Eine Rote bedeutet eigentlich gar nichts.

Der typische Pariser überquert die Straße, wenn der Grad der möglichen Schwerbehinderung nach der Überquerung unter 50% liegt. Dafür möchte meine Versicherung zum Beispiel, dass ich für den Rest meines Lebens auf ein Bein verzichte. Damit das auch klappt, wird die Fußgängerampel in der gleichen tausendstel Sekunde auf Grün geschaltet, in dem die normale Ampel auf Rot springt. Wenn da ein vorwitziger Touri zu Fuß auf den Pseudo-Geländewagen eines Parkplatz suchenden Auswärtigen trifft, kann schon mal ein Unterschenkel auf der Strecke bleiben. Oder irgendwo anders, wo er von Rechts wegen nicht hingehört.

Nehmen wir also die Metro. Steven Clarke hat in seinem Buch „One Year in the Merde“ (im Original sehr zu empfehlen) eigentlich schon alles gesagt, was man wissen muss. Man braucht selten weiter als 500m zu laufen um auf eine Station zu treffen, und wartet dann weniger als 3 Minuten auf die nächste Metro. Sie ist zuverlässig, pünktlich, günstig und einfach immer da. (Wer diesen Satz auf Deutsche Nahverkehrsmittel anwenden kann, den lade ich unter Umständen in Paris zum Essen ein).

Die Metro ist zum Kritisieren also eher ungeeignet, da trifft es sich gut, dass ich letzte Woche mit dem Zug unterwegs war. 450km sind es von Paris nach Lyon und eigentlich dachte ich, dass diese Reise genug Stoff für einen längeren Artikel gibt. Aber was soll ich sagen, die Reise fing pünktlich an, unterwegs war es untypisch leise und nach 2 Stunden (man beachte, für 450km) war die Reise ca 2 Minuten früher als geplant zu Ende.
Die deutsche Bahn AG hat ja den Term „pünktlich“ gegen den Begriff „zeitlich flexibel“ ausgetauscht und kann deswegen ja auch nie unpünktlich sein. Trotzdem ziehe ich die französische Variante vor.

Auf der Rückfahrt habe ich mir die Frage gestellt, was hier denn so anders ist und bemerkt, dass hier niemand lautstark mit seiner Sekretärin den Terminkalender auf den neuestens Stand bringt oder mit einem wichtig blinkenden Bluetooth-Headset die Mitreisenden an den letzten Firmenprojekten teilhaben lässt. Der typische Reisende hier verlässt zum Telefonieren die erste Klasse und führt die Gespräche leise außerhalb der Abteile, nicht ohne sich vorher mehrfach dafür zu entschuldigen. Ansonsten hört man im TGV nur die leise Tastatur einiger weniger Laptops und das Rauschen des Windes.

Rauschen tut es auch gewaltig am Triumphbogen, und zwar rauschen die Autos und Motorroller auf beiden Seiten an Uschi und mir vorbei um möglichst schnell eine der 12 Abfahrten zu nehmen. Die Wahl der Fahrbahn hat mit dem eigentlichen Ziel wenig zu tun und möglichst häufiges Zickzackfahren scheint mir eine Art von organisierter Touristenbelustigung zu sein. Zum einen bringt es den Nicht-Pariser dazu, vielleicht doch lieber die Metro zu nehmen, zum anderen wird den Leuten auf dem Triumphbogen ein unvergleichliches Schauspiel geboten und alle haben ihren gqnz eigenen Spaß dabei.

Was allerdings den typisch deutschen Autofahrer (ich meine den mit Stern, Hut und Klorolle) völlig aus der Bahn wirft, ist die völlige Abwesenheit von Fahrbahnmarkierungen. Wir bleiben ja gern in der Spur, lassen dann da auch keinen anderen rein und haben somit eine auf Asphalt gemalte preußische Ordnung, an die wir uns halten können. Dem entgegen setzt Paris sehr breite Strassen, auf die zwar jeder deutsche Oberamtsrat zuerst einmal die genormten Markierungen aufbringen würde (natürlich erst nach einem gründlichen und umfangreichen Genehmigungsverfahren, während dem die Strasse selbstverständlich gesperrt bleibt), aber hier befindet sich gar nichts, keine einzige Linie. Was nun, wohin der Herr? Wenn die Strasse Platz für drei bietet, finden die Franzosen Platz für fünf. Und wenn sich einer links von mir einordnet, schließt das nicht aus, dass er eigentlich rechts abbiegen will. Und das schafft er tatsächlich auch. Weil nämlich alle ein wenig Gelassenheit an den Tag legen, für den anderen ein bisschen mitdenken und die Abwesenheit der Fahrbahngrenzen nicht einschränkend wirkt, sondern den (Fahrbahn-) Horizont erweitert. Es müssen nur alle aktiv am Chaos teilnehmen, es ist ein ständiges reindrängeln und abgedrängelt werden, aber irgendwie funktioniert es.

Nach ca drei Runden hatte ich das dann auch begriffen und näherte mich der 45. Abfahrt, die ich dann auch freudestrahlend auf Uschi’s x-te Ansage „Jetzt hier abbiegen“ erfolgreich hinter mir lassen konnte.

Die Gelassenheit der anderen hat sich offensichtlich auch auf meinen Wegweiser übertragen. Keine Hysterie und auch kein Ärger machen sich in der Stimme bemerkbar, deshalb heißt Uschi ab jetzt Chantal. Vive la France. Sie haben ihr Ziel erreicht.
Fotoquelle: Privat, (ganz normaler Verkehr)

Bürgerreporter:in:

Willi Deppner aus Peine

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