Uroma, hier ein Stück Reisebericht aus...

Auf den Backwaren tummelten sich die
Fliegen und am Boden spielten die Mäuse Nachlauf. Ich dachte:
Eine kleine Portion von diesem Eis genügt sicher, um Bernd
den Magen zu verderben, aber er wollte sein Eis.
Wir waren froh, als wir wieder heil im Auto saßen und weiterfahren
konnten, denn feindselige Blicke verfolgten uns.
Ernst tröstete mich und meinte: „Nicht alle hier im Land sind
so. Es gibt viele Völkergruppen. Manche sind deutschfreundlich,
manche sind neutral und andere hassen uns. Letztere
sagen ‚Schwaba’ zu uns, dass ist ein Schimpfwort, und diese
Leute hier gehören wohl zu besagter Gruppe.“
Na ja, dann wollen wir einmal weiter sehen.
Wir sahen zu, dass wir auf die Autobahn in Richtung Belgrad
kamen. Diese vielbefahrene Nord-Süd-Verbindung hatte nur
zwei Spuren – eine zum Norden und eine zum Süden. Die
Betonplatten hatten am Ende immer Querrillen, sodass es
ständig klack – klack – klack – machte und entsprechend holperte.
Unser armer Christian. Ob ihm das wohl bekam?
Da wir Hunger hatten, fuhren wir verschiedene Dörfer an,
aber kein Bäckerladen und kein Metzgerladen hatten geöffnet,
obwohl es mitten unter der Woche war. Ernst fand schließlich
mit seinen Sprachkenntnissen heraus, dass just heute ein nationaler
Feiertag ist und deshalb alle Geschäfte geschlossen
waren.
Aber auch an normalen Werktagen hatten die Läden nur
in den frühen Morgenstunden geöffnet, bis die Ware verkauft
war, dann wurden sie geschlossen.
Und dann gab es ganz einfach nichts mehr!
Was nun? Armer Magen! Hätten wir nur mehr Reiseproviant
mitgenommen! Aber bei der Hitze wäre das auch
keine gute Idee gewesen. Die Abstecher in die Dörfer waren
auch nicht gefahrlos. Obwohl ich Schritt fuhr, oder vielleicht
gerade deswegen, drängten sich die Kinder in bedenkliche
Nähe des Fahrzeugs, um zu betteln. Darum fuhr ich
etwas schneller und hätte um ein Haar fast ein Schwein erwischt,
ein andermal war es ein Esel. Nicht zu reden von den
Hühnern, die auf der Straße zuhause waren. Erboste Fäuste
schüttelte man uns entgegen.
„Verdammte Schwaba!“ Und gaben uns zu verstehen, dass
wir das Dorf verlassen sollten. Man war an Autos und seine
Gefahren nicht gewöhnt. Na, das konnte heiter werden!
Und uns Fremde sah man auch nicht gern.
Bernd schlief vor Erschöpfung und Hunger ein, so hatten
wir wenigstens vor seinem Quengeln Ruhe. Wieder auf der
Autobahn, das gleiche Geräusch: klack – klack – klack, bis ein
anderes Geräusch auftrat und dann die große Ruhe kam. Und
diese Ruhe war schlimmer als jedes Geräusch. Unser Christian
hatte ausgehaucht. Was jetzt?!
Von Autos verstanden weder Ernst noch ich etwas. Wir wissen
zwar, es braucht Benzin, ab und zu auch Öl, vier Räder
muss es auch haben, aber sonst?
Wir hielten am Straßenrand, stellten das Warndreieck auf
und warteten in der Hoffnung, wenn der Motor abgekühlt ist,
wird er es wohl wieder machen. Überraschenderweise hielt ein
Auto neben uns und ein gut deutsch sprechender Mann fragte
uns, ob er behilflich sein könne.
Mit Kennermiene öffnete er die Motorhaube und stellte
fest, dass die Benzinzufuhr unterbrochen war. Mit zwei, drei
Handgriffen war der Schaden behoben und er meinte: „Das
sind unsere Straßen hier, das ist normal. Ihr dürft halt nicht so
schnell fahren!“ Einer der Schnellsten war unser „Christian“
sowieso nicht und wir lachten noch über unsere Naivität, den
Motor kalt werden lassen und so weiter …
Der Mann war freundlich, und Geld nahm er auch
nicht. Ein ganz krasser Unterschied zu unseren bisherigen
schlechten Erfahrungen. Er wies uns auch den Weg zu etwas
Essbarem. In der nächsten Stadt sei ein Fest, dort hätten
auch Restaurants offen.
Wir nichts wie hin. Wir mussten aber noch durch einige
dieser verwahrlosten Dörfer und sicherheitshalber mussten
meine Beifahrer mit nach dem streunenden Viehzeug
Ausschau halten, denn ich hatte genug mit dem Ausweichen
der Schlaglöcher zu tun.
Wir erreichten die Stadt und hatten den Eindruck, alle
Bewohner dieser Stadt sind auf den Beinen. Es gab keine Bürgersteige
und das Leben spielte sich mitten auf den Straßen ab.
Mühsam kroch unser Auto durch die Menge, und wir waren
froh, als wir einen Parkplatz entdeckten. Welch chaotische
Zustände. Oder nur eine andere Art zu leben?
Wir fanden ein Gartenlokal, aber zu essen gab es auch hier
nichts. Ernst trank einen echten schwarzen türkischen Kaffee,
den er in Erinnerung an früher genoss. Bernd und ich nahmen
Milch. Dann suchten wir weiter, denn unser Magen hing uns
mittlerweile fast in den Kniekehlen. Wir fragten uns durch und
man zeigte uns den Weg zu einer Volksküche, die eine gewisse
Ähnlichkeit mit unseren Selbstbedienungskantinen hatte.
Wir zeigten mit den Fingern auf das, von dem wir glaubten,
dass es uns munden würde und suchten uns mit den vollen
Tellern einen Platz. Dem Essen sah man nicht an, was es hätte
sein sollen. Es schmeckte aber prima! Oder war der Hunger
der gute Küchenmeister?
Doch kaum war der Teller leer gegessen, lauerten schon im
Hintergrund Kinder in zerlumpten Kleidern, ausgemergelt
und mit gierigen Blicken, ob ein Gast noch Reste auf dem
Teller ließe, um es mit Heißhunger hinunterzuschlingen. Was
war das für ein armes Land! Mir verging der Appetit und ich
schämte mich für das, was wir hatten.
Und weiter ging es. Wir strebten Sarajewo zu, wo Ernst
die meiste Zeit seiner vierjährigen Gefangenschaft verbringen
musste. Trotzdem es kilometermäßig zu schaffen gewesen
wäre, wurde uns bald klar, bei diesen Straßenverhältnissen
war es ein Unding! Zumal wir nun die Autobahn verlassen
mussten, um dahin zu kommen.
Durch unsere schlechten Erfahrungen schlauer geworden,
durchfuhren wir die Ortschaften mit äußerster Vorsicht.
Schließlich hingen wir an unserem Leben. Nachdem wir die
fruchtbare Ebene verlassen hatten, kamen wir durch unwegsames
Gebirge. 1964 war man in dieser Gegend noch nicht
auf Touristen eingestellt. Zunächst bewunderten wir die wilde
Landschaft, machten Fotos von der untergehenden Sonne und
aßen von unserem mitgebrachten Obst. Doch die Romantik
sollte uns schnell vergehen.
Kaum war die Sonne untergegangen, verbreitete sich die
Nacht im Eiltempo und rundum war alles schwarz. Kein
Mond, keine Sterne, kein Dorf, ja nicht mal eine Hütte mit
Licht. Und viele Straßen, die eingezeichnet waren, befanden
sich im Bau, ohne Schilder und Wegweiser. Nur Schotter mit
Baumaschinen, oft mitten auf dem Weg. Hin und wieder lehnte
ein Fahrrad am Berghang und ein Mann saß daneben ganz
allein in der Dunkelheit.
„Was wollen diese Männer hier?“, fragte ich Ernst. „Kein Dorf,
keine Hütte weit und breit zu sehen. Sind das Wegelagerer?
Wollen die uns etwa umbringen?“
Ernst lachte: „Fahr nur weiter, im nächsten Dorf versuchen
wir zu übernachten.“
„Ohne mich!“, war meine Antwort. „Ich habe Angst, und
sicher gibt es dort auch Flöhe!“
Die Hütten, die wir bisher gesehen hatten, schienen alle
nur einen Raum zu haben. Da war mir eine Nacht im Auto
schon viel lieber.

Bürgerreporter:in:

Waltraud Meckel aus Offenbach

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